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Ausgabe:

1911

Spalte:

1-3

Autor/Hrsg.:

Goldziher, Ignaz

Titel/Untertitel:

Vorlesungen über den Islam 1911

Rezensent:

Horten, Max

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schürer und Adolf Harnack

Fortgeführt von Professor D. Arthur TitiUS und Oberlehrer Hermann Schuster

Jährlich 26 Nm. Verlag: J. C. Hinrichs'iche Buchhandlung, Leipzig_Halbjährlich 9 Mark

Manufkripte und gelehrte Mitteilungen find ausschließlich an
fifi Jahri? Nr 1 Profeiror D. Titius in Göttingen, Friedländer Weg 26, zu fenden. /. Jailllclr Vdll

uu. uunir,, " Rezenfionsexemplare ausfchließlich an den Verlag.

Goldziher, Vorlefungen über den Islam(Horten).

Gefenius'Hebräifches und aramäifches Handwörterbuch
über das Alte Teftament (Rahlfs).

Müller, Studien zum Text der Pfalmen (Beer).

v. Soden, Die Schriften des Neuen T. (Bouflet).

Bauer, Vom Griechentum zum Chriftentum (P.
Wendland).

Röfch, Bmchftückedes i.Clemensbr.(C.Sehmidt).
Schermann, Der liturgifche Papyrus von Der-

Balyzeh (Drews).
Zehetbauer, Das Kirchenrecht bei Bonifatius

(Werminghoff).
Zekhof, De Questierders van den Aflaat in de

noordelijke Nederlanden (W. Köhler).

Flugfchriften aus den erften Jahren der Reformation
(Schornbaum).

Tfchackert, Die Entftehung der lutherifchen
und der reformierten Kirchenlehre (O. Ritfehl).

Seil, Chriftentum und Weltgefchichte feit der
Reformation (Stephan).

de le Roi, Neujüdifche Stimmen über Jefum
Chriftum, gefammelt (Fiebig).

Monod, Le probleme de Dieu et la theologie
chretüenne depuis la Reforme (Lobftein).

Jordan, Comparative Religion (Scholz).

Walt her, Vernünftiges Chriftentum (Knoke).

Ludwig, Weibliche Kleriker in der altchrift-
lichen und mittelalterlichen Kirche (v. d. Goltz).

Richter, Briefe üb. Synodaldiakonie (v. d.
Goltz).

Dorfmann, Ausgeftaltung der Paftoraltheologie
zur Univerfitätsdisziplin (E. Chr. Achelis).

Referate: Weinel, Gleichniffejefu. Mayer, Bistum
Chur. Neunter Jahrebericht der Guten-
berg-Gefellfchaft. Praktifche Fragen des modernen
Chriftentums.

Mitteilungen: (1) Ein neuer Pergamentkodex der
Evangelien. (2) Feuchtwang, Das Wafleropfer.
(3) Zeitfchrift für Miffionswiffenfchaft. (4) Tey-
ler'fche Theologifche Gefellfchaft, Preisaufgaben
.

Wichtige Rezenfionen. — Neuefte Literatur.

Goldziher, Prof. Ignaz: Vorlefungen über den Islam. (Re- I
ligionswiffenfehaftliche Bibliothek, hrsg. von W. Streitberg
u.R.Wünfch. I.Band.)Heidelberg, C.Winter 1910.
(X, 341 S.) 8° M. 8.40; geb. M. 9.20

Der Islam hat durch die politifchen Ereigniffe der
letzten Zeit die Aufmerkfamkeit großer Kreife in Europa
wachgerufen. Damit ift zugleich der Wunfeh rege geworden
, über fein Wefen und feine Gefchichte näheres
zu erfahren. Prof. G., der Altmeifter auf diefem Gebiete,
kommt dem genannten Wunfche in ausgiebiger Weife
nach, indem er feine durch jahrzehntelange Forfcher-
arbeiten gewonnenen Kenntniffe des Islam in fyftematifcher
Weife als ,Vorlefungen über den Islam' zufammenftellt.

Als Religion ift er die Hingebung an den abfoluten,
alle Gefchicke der Welt und des Menfchenlebens determinierenden
Willen Gottes. Der Islam bedeutet alfo die
monotheifUfche Verfeinerung des alten aftralen Fatalismus.
Dabei gelingt es der neuen Religion jedoch nicht, den alten
Glauben an die Macht der Geflirne, deffen Refte noch
heute im Oriente vorhanden find, völlig auszumerzen.
Sechs abgefchloffene Bilder entwirft G. mit der feiner
Feder eigenen Klarheit, Sicherheit und Farbenpracht von
dem Islam als I. Religion (Muhammed als Stifter diefer
Religion), 2. Rechtsfyftem und Rechtspflege, 3. Theologie,
4. Myftik, 5. Sektenbildungen und 6. fpätere Geftaltungen.

Als befonders beachtenswert für den religionswiffen-
fchaftlichen Standpunkt feien folgende Einzelheiten hervorgehoben
. Das Auftreten von Propheten ift eine durchaus
gefetzmäßige Erfcheinung des Völkerlebens, befonders
für den Orient. Der große Abftand zwifchen dem
Sittlichkeitsideale, das in der Bruft Muhammeds lebte,
und den tatfächlichen Verhältniffen des flttlich fo tief
flehenden Treibens feiner Landsleute ließ in Muhammed
das Bewußtfein des Prophetenberufes entliehen und trieb
ihn dazu, als Sittenlehrer und Weltverbefferer aufzutreten
und vor allem auf das nahende Weltgericht
(vgl. den Gedanken der Parufie in der Predigt Chrifli)
hinzuweifen.

Entgegen den Darflellungen, die von chriftlich-apolo-
getifchen Tendenzen beeinflußt find, ift die hohe Sittlichkeit
des Islam zu betonen. Die Gefinnung ift dasjenige
Moment, das den äußeren Werken ihren Wert verleiht.
Sie muß in der Form der guten Abficht vorhanden
fein, den Willen Gottes zu erfüllen und das Gute zu tun.
Aus Liebe zu Gott muß man den Armen helfen, das

Verfprechen halten, Geduld im Leiden haben ufw. Man
hat nach dem zu handeln, was das Gewiffen fagt. Der
größte Wert wird auf die ungetrübte Reinheit und
Frömmigkeit des Herzens gelegt. Das Gebet, das
jemand im füllen Kämmerlein verrichtet, wo ihn niemand
fleht als Allah, ift verdienftvoller als jedes öffentliche
Gebet. ,Der befte Islam befteht darin, Hungrige
zu fpeifen und Frieden in aller Herzen zu verbreiten.'
Die Menfchenliebe ift das Hauptgebot des Islam.
Allah ift der Allerbarmer, der liebevolle, der Alle
liebt, die feinem Propheten folgen. Ebenfo aufklärend
und berichtigend gegenüber chriftlich-apologetifchen Vorurteilen
wirken die Beweife für die Toleranz des Islam
gegen Chriftentum und Judentum, die um fo felbftver-
ftändlicher ift, als Muhammed die Propheten jener beiden
Religio nen als Propheten anerkennt. Die herrfchende
Lehre im Islam hat intolerante Doktrinen und Maßnahmen
immer abgelehnt.

Sehr zu betonen ift ferner, wie Goldziher meifter-
haft zeigt, daß der Islam des Propheten durchaus kein
fertiges Syftem, fondern ein amorphes Gebilde war,
das fleh erft mit der Zeit unter dem Anfturme neuer
Verhältniffe in den eroberten Kulturländern zu einem
gefchloffenen Syfteme ausgeftaltete. Diefer Prozeß verläuft
in durchaus gefetzmäßiger Weife in der dogmati-
fchen Entwicklung im Zeichen helleniftifcher, perflfeher
und indifcher Gedanken, in der gefetzlichen unter dem
Einfluffe des römifchen Rechtes, in der ftaatlichen unter
dem perflfeher Staatsideen, in der myftifchen unter neu-
platonifchen, indifchen (Pantheismus) und chriftlichen
Anregungen. Die Kunft ift eine Weiterbildung des ar-
tiftifchen Hellenismus, dem zahlreiche Motive aus Indien
und China (Wolkenbrand und Fabeltiere in Malerei und
Teppichkunft) zuftrömen, während die Wiffenfchaften ganz
ausgefprochene helleniftifche Züge tragen und indifche
Einflüffe (z. B. in der fpekulativen Theologie) allmählich
abftreifen, um fleh mehr und mehr der Gedankenwelt des
Ariftoteles anzufchließen. Das faft kulturlofe Arabertum
hat, wie diefe Andeutungen zeigen, zur islamifchen Kultur
faft nichts beigetragen. Die Kultur des Islam ift eine
eigenartige Weiterentwicklung des Hellenismus (vgl. die
Zeitfchrift: Der Islam Bd. I S. 1—21. C. H. Becker: Der
Islam als Problem, in diefer Zeitfchr. 1910 Nr. 23).

Befonders wohltuend wirkt in dem vorliegenden
Buche das Streben, die großen Züge der Entwicklung
fcharf zu zeichnen, die für ganze Epochen und Richtungen

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