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Ausgabe:

1911 Nr. 7

Spalte:

213-214

Autor/Hrsg.:

Branca, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der Stand unserer Kenntnisse vom fossilen Menschen 1911

Rezensent:

Otto, Rudolf

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 7. 214

fetzen Zu dem nicht erklärten Ausdruck «Genealogen'
S. 49, 50, wäre auf 1 Tim. 4. 7 ™ verweifen.

Stuttgart. G- Boffert

Bodeilchwingh, F.F. v.: Friedrich v. Bodelfchwingh. 1831-
1910. Ein Blick in fein Leben. Bielefeld, Verlagshandlung
der Anftalt Bethel 1910. (95 S.) 8° M. — 50
Bunke, Ernft: Vater Bodelfchwingh. Blätter der Erinnerung,
gefammelt. Berlin, Buchhandlung der Berliner Stadt-
miffion 1910. (212 S. m. Abbildgn.) 8° M. 1.25

Die erfte diefer beiden Schriften ift eine erweiterte
Ausführung der kurzen Darftellung des Lebens, Wollens
und Wirkens des lieben und weithin bekannten feltenen
Mannes, der faft 40 Jahre hindurch von Bethel aus eine
ungewöhnlich gefegnete Wirkfamkeit im Dienfte desReiches
Gottes entfalten durfte. Schon in ihrer kürzeren Form,
die den Freunden des Entfchlafenen von ihrem Verfaffer,
dem Sohne und Nachfolger in der Leitung der umfangreichen
, vom Vater begründeten Anftalten, überfandt
worden, ift den Zeitgenoffen ein anziehendes Bild von
diefer in der neueren Gefchichte der chriftlichen Liebestätigkeit
einzig daftehenden gottbegnadeten Ferfönlichkeit
gezeichnet, in das fich der Lefer mit innerer Anteilnahme
und Erbauung gern verfenkt. In erhöhtem Maße wird
folches von diefer neuen Ausgabe gefagt werden dürfen.
Wir find dem Verf. dafür dankbar, daß er feine ebenio
mit kindlicher Pietät, wie mit zurückhaltender Befonnen-
heit gefchriebene Biographie feines Vaters weitern Kreifen
zugänglich gemacht hat, weil fie geeignet ift, das Andenken
des Heimgegangenen in lebendiger Erinnerung
zu erhalten. Der Verf. wird, das wiffen wir, gleichwohl
darin mit uns derfelben Meinung fein, daß in feinem
Buche diejenige Biographie v. Bodelfchwinghs noch nicht
vorliegt, welche die Wiffenfchaft erwarten darf. Eine
lolche zu fchreiben ift ja für jetzt noch nicht möglich, fie
muß erft von einer fpäteren Zeit erhofft werden. Aber wir
vertrauen auch darauf, daß fie dann von ebenfo kundiger
Hand gefchrieben werden wird, wie die vorliegende Skizze
das Leben des Entfchlafenen zu zeichnen verftanden hat.

Der Verf. der zweiten Schrift fagt felbft von ihr:
,Sie macht nicht den Anfpruch einer allfeitigen Würdigung
feiner (Bodelfchwinghs) weit verzweigten und umfaffenden
Arbeit, noch einer gefchloffenen Darftellung der kirchen-
gefchichtlichen Ferfönlichkeit'. Sie erweift aber dem
Lefer wie dem künftigen Biographen gute Dienfte, fofern
fie außer den wichtigften Daten aus dem Leben Bodelfchwinghs
und den unmittelbaren Eindrücken des Ver-
faffers von ihm eine wertvolle Zufammenftellung von
mündlichen und fchriftlichen Äußerungen diefer groß
angelegten und doch fo demütigen chriftgläubigen Per-
lönlichkeit, fowie eine überaus reiche Sammlung von
Ausfprüchen uud charakterifierenden Urteilen von Männern
der Gegenwart bringt, die Bodelfchwingh im Leben wie
in der gemeinfamen Berufsarbeit nahegeftanden haben.

Beide Schriften, die mit bildlichen Darftellungen reich
gefchmückt find, verdienen in weiten Kreifen eingehende
Beachtung.

Göttingen. K. Knoke.

Branca, Prof. Dr. Wilhelm: Der Stand unferer Kenntniffe
vom foffüen Menfchen. Mit zahlreichen Abbildungen.
Leipzig, Veit & Co. 1910. (VII, 112 S.) gr. 8° M. 2.50

Nächft den anschaulichen Auffatzen Teichmanns im
vorigen Jahrgange der Chriftlichen Welt ift diefes knappe,
uberfichthche Heft wohl am meiften zu empfehlen, wenn
jemand fich über die für den Religiöfen herzlich gleich-
gütige ,Frage der Fragen' — so stilifiert sie Häckel —
belehren will, von welcher niederen Lebensform das
menfchhche Gefchlecht feinen Ausgang genommen hat.

Die Affenabftammung fcheint, befonders durch den Fund
in den Mauerfchen Sanden, ja beruhigend in die Ferne
zu entfchwinden. (Beruhigend.denn diese Tiere sind wirklich
unangenehm). Auch der pithecanthropus erectus,
trotz feines gelehrten Namens, feiner vielgepriefenen
Schädelkalotte und den zwei intereffanten Backenzähnen,
die er uns hinterlaffen hat, muß fich vielleicht unrühmlich
aus unferm Ahnenkreife weiter zurückziehen. Und
die Beweiskraft der geimpften Schimpanfen Friedentals,
die ich mit der Tollkühnheit vollendeter Laienfchaft fchon
vor heben Jahren zu bezweifeln wagte, wird heute von
manchen Meiftern angefochten, von Branca nicht auf
direkte Verwandtschaft gedeutet. Daß das alles nichts
gegen Abstammung felber und gegen Entwicklung ver-
fchlä°-t,und daß diefe zwar fehr entfchieden dem antiken und
damit auch dem biblifchen Weltbilde, aber nicht dem Gottes-
und Ewigkeitsglauben widerfprechen, ift in unfern Kreifen
fo bis zum Übermaß ausgeführt worden, daß hier darüber
nichts nachzuholen ift. Was Branca felber in diefer
Hinficht vorbringt, ift theoretifch ein wenig knapp geraten
, hat aber offenbar fchon hingereicht, ihm die Feind-
fchaft der moniftifchen Orthodoxie auf den Hals zu
ziehen. — Bezeichnend übrigens für die Wirkungsweite
unferer theologifchen Literatur und betrüblich besonders
für den, der fich felber in diefer Hinficht bemüht hat,
ift, daß diefem 'an. der religiöfen Seite der Sache offen-
fichtlich intereffierten Verfaffer aus ihrem ganzen Schwall
nur ein einziges einfchlägliches Werk, und dieses, wie es
fcheint, nur durch eine Art Zufall bekannt geworden ift.

Göttingen. R. Otto.

Calfirer, Ernft: Subftanzbegriff und Funktionsbegriff. Unter-
fuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik.
Berlin, B. Caffirer 1910. (XV, 459 S.) Lex. 8° M. 12.50

Der Verfaffer ift einer der tüchtigften, konfequen-
teften und, man darf wohl auch fagen, aktivften Vertreter
der fogenannten Marburger Schule. Er hat fich bereits
früher durch ausgezeichnete Publikationen hervorgetan,
wie beifpielsweife feine Monographie über Leibniz und
feine umfaffende Schrift über das Erkenntnisproblem.

Auch das vorliegende Werk, ob man nun feinem
Inhalt zuftimme oder nicht, ift unter allen Umftänden
eine beachtenswerte Erfcheinung. Wie es fich als der
Zielpunkt ausnimmt, auf den die vorhergegangenen Publikationen
des Autors zuftreben, fo ift es in gewiffem
Sinne als typifch für eine beftimmte Form des heutigen
Neukantianismus zu bezeichnen. Die Grundgedanken
mögen daher in aller Kürze hier wenigftens angedeutet
werden.

Der erfte, größte Teil des Werkes befchäftigt fich
mit rein erkenntnistheoretifchen Problemen, insbefondere
mit der Frage der wiffenfchaftlichen Begriffsbildung.
Unter befonderer Bezugnahme auf die Arithmetik, Geometrie
und Naturwiffenfchaften wird dargetan, daß die
wiffenfchaftliche Begriffsbildung es nicht, wie feit Arifto-
teles vielfach behauptet wird, auf eigentliche Gattungsbegriffe
abgefehen habe, das heißt, auf folche Begriffe, die
durch Abftraktion von den individuellen Verfchiedenheiten
und Zufammenfaffung der gemeinfamen Merkmale gewonnen
werden, und die, je höher man in der Skala der Begriffe em-
porfteigt, um fo farblofer und inhaltsleerer find. Wohl aber
ziele die Wiffenfchaft auf „Relationsbegriffe" ab, das heißt,
auf folche Begriffe, die eine Gefetzmäßigkeit, ein „Gefetz
der Beziehung" zum Ausdruck bringen, die auf „kon-
ftante Relationen" hinweifen. Die „Funktion der Begriffe
" ift das „Fefthalten identifcher Beziehungen in
dem wechfelnden Vorftellungsinhalt". Derartige Begriffe
find dann nicht mehr fo nichtsfagend und leer, daß fich
aus ihnen im Grunde nichts ergibt. Sie find geeignete
Anhaltspunkte für die Determination des einzelnen. Das
alles wird in glänzender und fpannender Auseinander-