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Ausgabe:

1911 Nr. 7

Spalte:

211-213

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Josef

Titel/Untertitel:

Ambrosius Catharinus Politus (1484 - 1553), ein Theologe des Reformationszeitalters. Sein Leben und seine Schriften, dargestellt 1911

Rezensent:

Bossert, Gustav

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211

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 7.

212

Nachrede nicht erfpart blieb, zeichnete zu feiner Rechtfertigung
das Gefpräch bald darauf auf, veröffentlichte
es aber erft 1540, als es ihm in Worms wieder unter
die Hände gekommen war. Die Gegnerfchaft der beiden
Männer wird uns durch diefe Schrift verftändlich; fie
konnten fich wegen prinzipieller Verfchiedenheit in ihren
Auffaffungen nicht verftehen. Auch nach Enders Abdruck
der Schrift im Briefwechfel Luthers wird man die be-
fondere Edition freudig begrüßen. — Das erfte Heft
bringt uns eine der intereffanten Flugfchriften aus dem
Beginn der Reformationszeit, den ,Karfthans'. In neuerer
Zeit hat man feine Bedeutung für die damalige Zeit richtig
einzufchätzen gelernt. Die Forfchung hat fich feitdem
eingehend mit ihm befchäftigt. Der Herausgeber Burkhardt
nimmt zu allen Fragen eingehend Stellung. Gegen
Boffert hält er an der Einheitlichkeit der Flugfchrift feit,
worin man ihm fchon aus pfychologifchen Gründen bei-
ftimmen wird; den Verfaffer fieht er in Vadian. Die fehr
beachtenswerten Gründe dürften nicht fo leicht erfchüttert
werden.

Alfeld bei Hersbruck. Schornbaum.

Schweizer, DD. Jofef: Ambrolius Catharinus Politus (1484
—1 S53)i ein Theologe des Reformationszeitalters. Sein
Leben und feine Schriften, dargeftellt. (Reformations-
gefchichtliche Studien und Texte. Heft 11 u. 12.)
Münfter i. W., Afchendorff 1910. (XVI., 308 S.) gr. 8°.

M. 8.50

Schweizers Arbeit bietet eine willkommene Ergänzung
unferes Wiffens von den Gegnern der Reformation
und ihren Schriften und zugleich einen Beitrag zur
vortridentinifchen Theologie. Freilich ift es ihm nicht
gelungen, alle Rätfei im Leben des beweglichen Sienefen
zu löfen, der bald hier bald dort in Italien und Frankreich
auftaucht; war es ihm doch nicht zuzumuten, ,aufs
Geratewohl die Archivbeftände des Vatikans für die Zeit
von Leo X bis Paul III für feine Zwecke durchzuftöbern'.
,Auch die Forfchung nach Inedita aus der Feder des
Catharinus in Frankreich (Paris, Lyon), blieb ohne Re-
fultat'. Aber wir erhalten doch eine kritifch gefichtete,
auf gründlichen Quellenftudien aufgebaute Biographie,
für welche Schweizer im Anhang (S. 242—286) 34 Dokumente
gibt, eine genaue reichhaltige Bibliographie (S. 287
—302) der Schriften des federgewandten einfügen Juriften
und fpäteren Dominikaners und ein Verzeichnis feiner
Briefe (S. 302—305), vor allem aber eine Analyfe feiner
zahlreichen Schriften und ihre Würdigung nach der dog-
matifchen und dogmengefchichtlichen Seite. Schweizer
wollte den Lefern ,einen Einblick in Catharinus theo-
logifches Denken gewähren'. Vieles ift jetzt auch gegenüber
dem fchönen Artikel Benraths RE. io3, 190 fr.
richtig gehellt. Der eigentliche Name des Mannes ift Lan-
cellottus de Politi. Sein Geburtsjahr dürfte Schweizer
annähernd richtig auf 1484 beftimmt haben, da die Grab-
fchrift, welche von feinem Nepoten Clemens, Bifchof
von Groffeto, ftammt, fein Alter mit 70 Jahren angibt.
Da Catharinus am 8. Nov. 1553 ftarb, fo wird man annehmen
dürfen, daß er um Weihnachten 1483 geboren
wurde, mit dem vielfach das Jahr begann; dann würde
die Zahl 70 ziemlich genau ftimmen. Mit Benrath hält
Schweizer an dem Jahr 1517 als Zeit des Eintritts ins
Dominikanerklofter S. Marco in Florenz feft und bringt als
Datum diefes Schrittes aus Razzis Moria degli huomini
illuftri (1596) den 5. April bei. Daß Catharinus auf feinen
Reifen in Italien mit Erasmus zufammengetroffen fei,
findet Schweizer mit Recht unwahrfcheinlich. Da fich
der Jurift erft mit fpäteren Jahren der Theologie zuwandte
und ein reiner Autodidakt war, fo erklärt fich in erfter
Linie die unreife, minderwertige Polemik gegen Luther
in feiner Apologia, deren Titel Schweizer mit Recht unzutreffend
findet. Wir verftehen aber auch den öfteren

Wechfel feines Standpunktes und feiner Anfchauungen.
Der Dominikaner wird als Sohn von Siena, wo der Marienkult
mächtig blühte, ein Verteidiger der coneeptio
immaculata, die doch das Schiboleth der Franziskaner
war, und kommt darüber in Zwiefpalt mit feinem Orden.
Der Mönch von S. Marco befreundet fich mit Savona-
rolas Lehren und dem Freundeskreis der Vittoria Co-
lonna und wird ein Mann der Vermittlung und Verhöhnung
. Ja, Schweizer hält es nicht für ausgefchloffen, daß
an Catharinus die Verfuchung herantrat, den neuen und
Savonarola verwandten Ideen fich anzufchließen und die
Bahn einzufchlagen, die mehr als ein Jahrzehnt fpäter
Ochino und Vergerio wandelten, und daß ihn vielleicht
kein anderer Grund vor folchem Schritt bewahrte, als
die Scheu, aus einem der heftigften Luthergegner ein
Nachahmer oder gar ein Schüler Luthers zu werden
(S. 232 ff.) Aber dann wendet er fich von diefem
Kreife ab, tritt ganz in den Dienft der Kurie und wird
wieder ein eifriger Verteidiger der Suprematie des Pa-
pftumsundein bitterer Ketzerfeind vollHaß gegenErasmus,
Luther und Ochino und voll biffiger Kritik. Wie 1520,
fo appelliert er an die Gewalt und das Feuer als ultima
ratio. Ihn als füllen Gelehrten zu bezeichnen, wie Schweizer
tut, ift nicht begründet, denn er ift ein hervorragender
Rufer im Streit, der heute feinen Ordensgenoffen
Cajetan angreift, dann mit Carranza, Domingo de Soto
und Spina fich herumbeißt. Es ift lehrreich zu fehen,
wie die rabies theologorum keineswegs proteftantifche
Eigenart ift. Catharinus war ,bald Thomift, bald Scotift,
bald Eklektiker oder Synkretift; in der Frage der certitudo
gratiae machte er fogar unabfichtlich eine Anleihe beim
Subjektivismus Luthers' (S. 235). Aber jurare in verba
magiftri, wie feine Ordensgenoffen mit Thomas von Aqui-
no taten, war ihm zuwider. Offene Augen hatte er für
die Schäden der Kirche, für die Mißftände im Ablaß-
wefen, in der Anwendung des Bannes, dem ärgerlichen
Leben, Pomp und Luxus des Klerus, der Verleihung von
Benefizien an Unwürdige, was er mit ftarker Übertreibung
omnium fons et radix malorum nennt, ferner für
Simonie, fchlechte Predigtweife, Lehrabweichungen der
Scholaftiker über die Freiheit des Willens und den Zu-
ftand nach dem Fall, für Mißftände in der Bußdisziplin,
Überfchätzung der Satisfaktionen und guten Werke, für
Auswüchfe in der Verehrung der Heiligen, der Bilder,
der Reliquien, in den Seelenmeffen und der Lehre vom
Fegfeuer. Vgl. auch den Tierkampf vor S. Peter, ja in
ipso veftibulo am Sonntag (S. 250). Aber die Heilung
diefer Schäden erwartete er vom Papft und Konzil. Nicht
übel hat Franz Romeo de Caftiglione von ihm gefagt,
er fei mehr Jurift als Theologe (S. 236). Gerne möchte
man Genaueres hören, welche Schriften von Luther Catharinus
wirklich gelefen hat. Was Schweizer darüber
(S. 27ff85und 161) bietet, ift nicht genügend. Jedenfalls
hat Catharinus nicht die Auslegung der Bergpredigt von
1532 (E. A. 43,309fr), wie es nach S. 85, Anm. 6 Rheinen
könnte, fondern deren lateinifche Überfetzung von Vinc
Obfopöus benützt. Denn Deutfch verftand er nicht. Für
feine Konzilsrede am 6. Okt. 1546 über die certitudo
gratiae, wobei ,er an Luthers Hauptreformationsfchriften
anknüpfte und deffen fpätere Schriften nur fpärlich benützte
', hält Schweizer für möglich, daß er Zitate, welche
ihm Cochläus lieferte, benützte (S. 161). Für Luthers
Religiofität hatte der Italiener kein Verftändnis, fo wenig
als für Erasmus.

Schweizers Urteil ift nüchtern. Sein Stil ift ab und
zu ungewöhnlich. Vgl. 183.: Er war bereits auf Jahren,
S. 84: Nachlaffenfchaften. Was Eleutherobaptiften find,
wäre zu erklären (S. 135). Es ift ein ungewöhnlicher
Ausdruck für Anabaptiften. Sehr fraglich ift die Behauptung
, Jak. Sadoleto fei von Melanchthon beeinflußt worden
S. 78. Vgl. dazu RE. i73-330f- Der Text S. 283,
Z. 29 ift in Ordnung, fobald ein Komma nach falsa gefetzt
wird. Ebd. letzte Zeile ift nach nam wohl quod einzu-