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Ausgabe:

1911 Nr. 7

Spalte:

209-210

Autor/Hrsg.:

Hauck, Albert

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der geistlichen Territorien 1911

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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2C9

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 7.

210

fchienenen .Einleitung' fich gerade mit der Frage fehr
eingehend befchäftigt, wie eine ftoffliche und zeitliche
Abgrenzung zu finden ift. Da M. dies Werk felbft zur
Vergleichung heranzieht, kann es um fo weniger überfehen
werden, daß er über diefe Fragen glatt hinweggeht. Ohne
jede Vermittlung beginnt nach einer kurzen Einleitung
der erfte Abfchnitt: Die univerfalen Schriftfteller. 1. Boe-
thius, 2. Cassiodorus ufw., und fo reiht fich ohne erkennbare
Verbindung ein Name an den andern. Warum
gerade Boethius den Reigen eröffnet, erfehen wir ebenfo-
wenig als wie weit der Verfaffer die lat. Lit. des MA.
erftreckt, womit er Bd. II zu beenden gedenkt. Und
ebenfowenig erkennt man, warum der erfte Band nun
grade mit Widukind v. K. abfchließt, während z. B.
Liutprand v. C. dem zweiten vorbehalten bleibt. Überhaupt
erfcheint die Einteilung diefes erften Bandes nicht fehr
glücklich: L von Juftinian bis auf Karl d. Gr., II. der
karolingifche Humanismus und fein Verfall. Ich weiß
wirklich nicht, wie z. B. Ekkehard I, Hrotsvit v. G., uaa. unter
der Rubrik .Verfall des karol. Humanismus' behandelt
werden können. Und fchließlich fcheint mir auch die
fchwierige Frage nach der beften Teilung des Stoffes
durch die Gliederung 1. Univerfale Schriftfteller, 2. Theologie
, 3. Philofophie, Naturkunde, Mufik, 4. Philologie
und Grammatik, 5. Dichtung, 6. Gefchichte und Geographie
nicht grade gefchickt gelöft zu fein. So erfcheint
Aldhelm v. M. unter Philologie und Grammatik, ebenfo die
Hiftoria de preliis des Leo, Godescalc unter der Rubrik
Dichtung, nachdem fchon an etwa 20 Stellen, z. B. bei
Hraban notgedrungen auf ihn als Profaiker Bezug genommen
werden mußte.

Ich bedaure es lebhaft, daß durch folche und andere
Ärgerniffe die Freude an dem fo außerordentlich fleißigen
Werke etwas getrübt wird, und hoffe für den zweiten
Band vor allem, -daß es dem Verfaffer gelingen möge,
uns ein anfchauliches Gefamtbild der Literatur und ihrer
Vertreter zu entwerfen.

Berlin. K. Strecker.

Hauck, Albert: Die Entftehung der geirtlichen Territorien. Des

XXVII. Bandes der Abhandlungen der phil.-hift. Klasse
der Königl. Sächf. Gefellfchaft der Wiffenschaften
Nr. XVIII. Leipzig, B. G. Teubner 1909. (28 S.)
gr. Lex.-8°. M. 1.20

In diefer Abhandlung kommt des Verfaffers bekannte
Art, die verfchiedenften Entwicklungsreihen zufammen-
zufaffen und die leitenden Gefichtspunkte aufzufinden
und zur klaren Darfteilung zu bringen, nicht minder ausgezeichnet
zur Geltung, als die fichere hiftorische Methode,
die von gegebenen feften Punkten aus das Unfichere und
das verschiedener Deutung Fähige richtig zu deuten und
in ftraffen Zufammenhang zu ftellen weiß.

Während die weltlichen Territorien im wefentlichen
durch die Umbildung der Graffchaften entftanden, war
die Bildung der geiftlichen Territorien komplizierter. Sie
beginnt damit, daß die Bifchöfe Stadtherren wurden; am
Anfange des 13. Jahrhunderts hatten die Bifchöfe die
Herrfchaft über ihre Bischofsfitze erreicht; in derfelben
Zeit, in der die bifchöfliche Herrfchaft in den Städten
begründet wurde, bildete fich auch das geiftliche Herr-
fchaftsgebiet auf dem flachen Lande. Das geiftliche
Territorium ift nicht sowohl eine Schöpfung des Königtums
, als vielmehr durch die Kleinarbeit der geiftlichen
Fürften in der Behauptung, Fortbildung und Ausdehnung
der ihnen verliehenen Rechte allmählich entftanden. In
der erften Hälfte des 12. Jahrhunderts tauchte die Vor-
ftellung des geiftlichen Territoriums zuerst auf; feit den
letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts fetzt die bewußte
Territorialpolitik ein und, was zum größten Teil unter
dem Trieb und Zwang der Verhältniffe und doch nicht
ohne bewußte Abficht geworden war, fand die reichsrechtliche
Anerkennung befonders durch die Gefetz-
gebung Friedrichs II. Seitdem ift das geiftliche Territorium
eine fertige Größe. In welcher Weife diefe Entwicklung
in den einzelnen Bistümern, in Stadt und Land,
vor fich gegangen ift, wird durch eine reiche Fülle konkreten
Materials, das in lichtvoller Gruppierung vorgeführt
wird, dargelegt.

Die Lokalforfchung wird von folchen Unterfuchungen,
die die großen Gefichtspunkte fcharf herausarbeiten, die
reichften Anregungen empfangen.

Kiel. G. Ficker.

Flugfchriften aus den erften Jahren der Reformation. 8°. Leipzig,
R. Haupt.

4.1. Karfthans (1521). Herausgegeben von Herbert Burkhardt. 1910.
(133 S.) M. 3.60

4.2. Das Vaterunfer, ausgelegt durch Matthiam Bynwalth, Prediger
zu Gdantzk (1525). Herausgegeben von Hermann Freytag. —
Haushaltungsbüchlein. Herausgegeben von Otto Gemen. 1910.
(41 S.) M. 1.20

4.3. Colloquium Cochlaei cum Luthero Wormatiae olim habitum
(1521). Herausgegeben von Jofeph Greving. 1910. (42 S.) M. 1.20

4.4. Ägidius Mechler, Apologia oder Schutzrede. —Agricola Boius,
Bedenken. Herausgegeben von Otto Clemen. 1910. (55 S.

M. 1.60

Der 4. Band der bekannten Sammlung bringt uns in
den erften 4 vorliegenden Heften wiederum eine Reihe
bedeutfamer Flugfchriften. Daß die Herausgabe und
Kommentierung allen Anforderungen entfpricht, braucht
nicht befonders mehr bei diefer Sammlung bemerkt zu
werden. Eine befondere Stellung nimmt das ,Haushaltungsbüchlein
' ein. Es befchäftigt fich ja gar nicht
mit der religiöfen Frage; enthält dafür aber eine Fülle
von Lebensweisheiten in Sprichwörterform in der Weife
der moralifchen Traktate des ausgehenden Mittelalters.
Clemen hat auch eine der Quellen in den Proverbia des
Johannes Fabri de Werdea ausfindig gemacht. (Heft 2.) —
Den Ton der fonftigen Elugfchriften fchlägt Mechler in
feiner Apologia oder Schutzrede an (Heft 4). Der Erfurter
Prediger verteidigt feine Verehelichung. Es ift
wahr, das Thema wird mit ermüdender Breite behandelt;
aber trefflich fchildert fie uns, welche Zuftände die erzwungene
Ehelofigkeit herbeiführte. An dem Zeugnis
des Mannes, das fich auf eigene Erfahrung gründet,
kann nicht gut gezweifelt werden. — Die Auslegung des'
Vater Unfers durch den Danziger Prediger Matthias
Bynwalth (Heft 2) zeichnet fich durch tiefe Religiofität
aus. Die Erklärung der 4. Bitte verfteht das tägliche
Brot nur im geiftlichen Sinne. Durch die Aufnahme
in diefe Sammlung ift diefe Schrift der Vergeffenheit
entriffen worden. — Bedeutfam ift das Bedenken des
Agricola Boius (Heft 4). Wie der Herausgeber mit
Recht hervorhebt, hat es einen pofitiven Zweck. Am
Einreißen des alten Kirchengebäudes hat es keine Freude-
es will vielmehr Richtlinien zu einem Neubau der Kirche
geben. Hier befonders bedauert man es, daß der Verfaffer
nicht eruiert werden kann. Faft könnte man
verfucht fein, die Schrift dem Markgraftum Brandenburg
zuzuweifen. Die Tendenz des Verfaffers, unter möglich-
fter Beibehaltung der alten Gebräuche etwas Neues zu
fchaffen, das die Mängel des alten Kirchenwefens be-
feitigt, — man rüttelt auch nicht an der Autorität der
Bifchöfe — klingt an manche Beftrebungen aus der
Zeit des Markgrafen Kafimir an. Die Schrift ift auch
in Rothenburg o/T. vorhanden: Georgii Schnizlein, die
Miscellanea reformatoria der Rothenburger Bibliothek
(1910. Rothenburg.) S. 25. N. 22. — Am wichtigften find
aber die beiden noch übrigen Schriften, Heft 3 u 1
Cochläus hatte am 24. April 1521 eine eingehende Unterredung
mit Luther. Sie war entfeheidend für das Verhältnis
der beiden Männer; von da an datiert ihre Gegner-
fchaft. Cochläus, dem fchon dazumal manche üble