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Ausgabe:

1911 Nr. 6

Spalte:

183-184

Autor/Hrsg.:

Grupp, Georg

Titel/Untertitel:

Jenseitsreligion. Erwägungen über brennende Fragen der Gegenwart 1911

Rezensent:

Scholz, Heinrich

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Seite 1

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183 Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 6. 184

im Menfchen ift das, was er mit allen andren Perfönlich-
keiten gemein hat, der göttliche Untergrund des Menfch-
lichen'. Uabei verfchweigt Collin die beiden fchärfften

logen nie beftritten, fondern im Gegenteil überall auf das
nachdrücklichfte betont worden. Aber zwifchen der Religion
der reinen Immanenz und der der reinen Transfeen-

Sätze nicht, die Ibfen je gegen das Chriftentum fchrieb; ! denz liegen zahlreiche Zwifchenftufen, deren forgfältige
übrigens ift man, da diefe Stellen fich nur in feinen Nach- I Unterfuchung eine der wichtigften und dringendften Auf-
laß-Notizen vorfanden, und nicht in die Dramen über- gaben der gegenwärtigen Dogmatik und Religionsphilo

gingen, nicht gezwungen, fie als maßgebende Bekenntniffe
aufzufaffen. Zwei Anfchauungen kreuzen (ich noch um
1870 herum im Geift des Dichters: mit dem Chriftentum
ebenfo Ernft zu machen, wie Kierkegaard dies wollte,
oder es durch eine neue Religion der Verformung von
Natur und Geift zu erfetzen; fpäter hegte die zweite.
Hegels Auffaffung von der ,Lift der Vernunft' wird an

fophie ift. Indem der Verfaffer fich diefer Prüfung
überhebt, nimmt er uns die Möglichkeit, den zweiten
Hauptfatz feiner Schrift in der Eorm, wie er dafteht, zu
unterfchreiben. 3. Es gibt nur Eine Jenfeitsreligion ohne
Halbheiten und Kompromiffe. Der Verfaffer findet fie,
wie zu erwarten, im Katholizismus und erreicht damit
das Ziel feiner ganzen Beweisführung: daß die Menfch-

Ibfens Idee der ,Schlachtopfer unter dem Zorn der Not- j heit der Gegenwart, wenn fie wahrhaft voranfehreiten
wendigkeit', auf die der Weltwille lauert, nahe herangerückt. | wolle, wieder katholifch werden müffe und die Velleitäten
Auch wer vielfach anders denkt als der Verfaffer, wird j des Proteftantismus endlich den Transfeendenzen opfern,

Collin beiftimmen dürfen: ,Und wenn auch Ibfen noch fo
fehr an den Ketten des Chriftentums zerrt, wir behalten
doch den Eindruck von ihm, daß er weit mehr zum
ftrengen Ernft und der Bedenklichkeit des Chriften als
zu der unbekümmerten Lebensfreude des Heiden ge-
fchaffen war'. Collins Buch, das durch Kenntnis der nor-
difchen Sprache und Literatur an Wert gewinnt, erfcheint
geeignet, ernfthaft chriftlich Gefilmten den Zugang zu
lbfens Werken, insbefondere aus feiner erften Schaffenshälfte
, zu erleichtern; wer, wie der Referent, nicht an eine al

die im Dogma und Kultus der römifchen Kirche kräftig
und fieghaft ausgeprägt find.

Es ift überflüffig, mit dem Verfaffer über diefes Ergebnis
zu diskutieren. Es fteht und fällt mit der Giftigkeit
des zweiten Hauptfatzes feiner Schrift, deffen erzwungenes
Entweder-Oder der Zartheit und Pulle der
Religion zu nahe tritt und ihr die fynthetifchen Kräfte ausbricht
, die feit den Tagen der Reformation die feften
Stamina des Chriftentums find.

Die Sprache des Schriftchens ift edel und warm; fie

leinfeligmachende Deutung von Dichtungen glaubt, fondern will nicht fchrecken, fondern werben — ein freundlicher

meint, in jedem Kunftwerk fei je nach der Perfönlichkeit j Zug, der nicht verfchwiegen werden foll. Nur fcheinen

des Kunftgenießenden vielerlei Sinn verborgen, kann es i mir Text und Anmerkungen nicht im rechten Verhältnis

getroft empfehlen. zu flehen. Der hiftorifch - gelehrte Apparat ift vielfach

t— *it> * 1 zu fchwer für den leichten Text, der darüber fteht.
Wien. Emil Reich.

_______ Manche Zitate find geradezu dunkel. Wer weiß, wenn er z. P>.

S. 61, 68 u. ö. Caes. dial. lieft, fofort, daß die Dialoge des Cäfarius von
Griipp, Dr. Georg: Jenfeitsreligion. Erwägungen über bren- Heifterbach gemeint find? Eine Kantifche Schrift von der Macht der

nende Fragen der Gegenwart: Diesfeits- oder Jenseits- Jii°bil.d.un^!cra,ftf '7 Anm ) p mir nicht bekannt Gemeint ift natür-

° & ^ ]lch die ^irnmt: des Gemütes': wenn kathobfehe Forfcher uns immer

religion, Lebensrichtungen, Religion und Kultur, Zu- wieder unfere Unkenntnis der fcholaftifchen Arbeit vorrücken, fo dürfen

kunftsreligion. Freiburgi. B., Herder 1910. (XI, 202 S.) Jwoh! vo° ihnren erwarten. daß ^ Schriften des größten Philo-
fl ö 0 M lophen des Proteftantismus wenigftens dem Titel nach richtig zitieren.

er' n. • c 1 v r er a' a t c a Berlin- Heinrich Scholz.
Es ift eine Polge von Konfeffionen, die der Verlader--

der vorliegenden Schrift, erfüllt von der Größe und dem

Glanz feiner Kirche, in kräftiger Sprache, mit Wärme und

Gelehrfamkeit, unter dem Titel Jenfeitsreligion' vorträgt.

Ein Kirchen- und Kulturhiftoriker von Beruf, der fich

aus Talent und Neigung in die Prinzipienfragen vertieft

hat, Idealift ohne Modernismus, den er im Gegenteil fcharf

bekämpft, überzeugter Kirchenchrift ohne blinden Kultur-

peffimismus, glaubensfeft und glaubenstreu ohne dogma-

tifche Kupidität — das ift, in den Hauptzügen, das Bild

des Mannes, der in der vorliegenden Kundgebung zu uns

fpricht.

Drei Wahrheiten follen wir von ihm lernen: 1. Es
gibt keine dauerhafte, fittlich-ftarke, charaktervolle Kultur
ohne das Fundament der Religion. Jeder Verfuch, Mora-
lität und Kultur von der religiöfen Grundlage, auf deine
ruhen, an die fie unlöslich gebunden find, zu trennen,
führt zum Verfall, zur Verödung, zum Bankerott. ,Die
Kultur entfprang aus der Religion und muß immer wieder
zu ihr zurückkehren' (S. 106). Ein Bekenntnis, auf das
auch der Proteftantismus immer wieder zurückkommen
muß, und, je ernfter er fich erfaßt, um fo energifcher
zurückkommen wird. 2. Jede wahrhaft-lebendige Religion
ift dezidierte Jenfeitsreligion. Die Religion der Immanenz,
wie fie von modernen Proteftanten (Harnack und Eucken),
Katholiken (Renan und Loify) und Freigeiftern (Strauß
uud Nietzfche) nach dem Vorbilde der großen Philofophen
der Neuzeit (Spinoza, Leffing, Kant) gelehrt und gepredigt
wird, ift ein Hirngefpinft, das allenfalls den Erfolgreichen
und Beglückten, nie den Befchwerten und Gedrückten
feffeln und zur Hingabe reizen kann. Es fragt
fich nur, was man unter Immanenz verfteht. Daß eine

Lütgert, Prof. Wilhelm: Natur und Geift Gottes. Vorträge
zur Ethik. Leipzig, A. Deichert Nachf. 1910. (VII,
144 S.) gr. 8° M. 2.80

Lütgert entfchuldigt die Herausgabe der vorliegenden
9 Vorträge zur Ethik und einer Predigt über die chrift-
liche Freiheit damit, daß der Abdruck gewünfeht fei.
Das Popularifierungsbeftreben, in dem viele Theologen
heute wetteifern, hat auch dies Buch hervorgerufen.
Warum aber erfchwert Lütgert dem Bibliographen die
Arbeit, indem er nicht genau angibt, welche Auffätze
und in welchen Zeitfchriften fie z. T. früher erfchienen
find? Als einheitlichen Grundgedanken der Vorträge
nennt die Vorrede: die Ethik muß theozentrifch fein und
das Schwanken der modernen Welt zwifchen Naturalismus
und Spiritualismus überwinden. Für die Wiffen-
fchaft wäre eine förderlichere Leiftung entftanden, wenn
L. feine Vorträge zu einem gefchloffenen fyftematifchen
Ganzen verarbeitet hätte. Indeffen mag ja die lofere
Vortragsform dem Bedürfnis mancher Lefer entgegenkommen
.

Der 1. Vortrag ,der Gott Jefu Chrifti' vertritt den
theozentrifchen Grundgedanken: der überweltliche Gott
ift die oberfte beftimmende Realität für Jefus. Der 2. Vortrag
,die Ethik Jefu' zeigt, daß zwifchen Religion und
Sittlichkeit bei Jefus keine Spannung vorliegt. Die
Probleme der Ethik Jefu werden kurz angedeutet. Der

3. Vortrag Jefus und die Natur* führt aus, daß fowohl die
Natur als auch Jefus Offenbarungen Gottes find. Die Frage
nach den Wundern wird nicht gründlich genug behandelt.

4. ,Die Liebe Chrifti und die chriftliche Liebe' entwickelt
Religion der reinen Diesfeitigkeit aufhört, Religion zu fein, J die Tiefe, den Umfang und Inhalt der Liebe Jefu, die
Tt meines Wiffens von ernfthaften proteftantifchen Theo- I für uns nur durch eine Bekehrung zu gewinnen ift