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Ausgabe:

1910

Spalte:

150-152

Autor/Hrsg.:

Foerster, Erich

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten nach d. Quellen erzählt. Ein Beitrag zur Geschichte d. Kirchenbildung im deutschen Protestantismus.

Rezensent:

Schön, Paul

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i49

Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 5.

Goetz, Prof. Dr. Leopold Karl, Staat und Kirche in Alt-

ruBland. Kiever Periode 988—1240. Berlin, A. Duncker
Verlag 1908. (VIII, 214 S.) gr. 8° M. 7 —

Im Jahrgang 1906, Nr. 15 befprach ich zwei Werke
des altkatholifchen Theologen in Bonn, der im Verfolg
feiner Studien über das altruffifche Kirchen- und Volksleben
nunmehr das oben bezeichnete Buch herausgegeben
hat. Er hatte fchon in dem erften, das dem
Kiever Höhlenklofiter galt, zwei weitere Spezialunter-
fuchungen in Ausficht gehellt, zunächft diejenige, die ich
1906 bereits mit zur Anzeige zu bringen in der Lage
war (fie betitelte fich ,Kirchenrechtliche und kulturgeschichtliche
Denkmäler Altrußlands'), und dann diejenige,
die jetzt vorliegt. Alle diefe drei Schriften find doch
nur Vorarbeiten für ein vielleicht bald erfcheinendes
Werk mit dem Titel .Christentum und Kultur im Kiever
Rußland'. Es fcheint mir geftattet, und der Verfaffer
wird es felbft nicht als unberechtigt empfinden, wenn
ich diefe dritte ,Vorarbeit' nur kurz charakterifiere. Der
Verfaffer faßt den Begriff der ,Kultur', wie gerade auch
in ihr zu erfehen ift, fo weit (wobei er auch nicht unrecht
hat), daß er die Geftaltung des Rechtslebens mit
einfchließt. Wie er diesmal fchon von den früheren
Werken, befonders von dem zweiten, als Darlegung der
.Quellen', die für die altruffifche Gefchichte in Betracht
kommen, Gebrauch macht, manches daraus im Grunde
nur repetierend, fo wird das Abfchlußwerk die dritte
/Vorarbeit' natürlich auch teilweife wiederholen. Ich
fchelte die Weitläufigkeit der Goetzfchen Schriftftellerei
doch deshalb nicht, weil fie bei der Unkenntnis, die
über das ältefte Rußland bei uns noch waltet, wohl
nötig ift, um die Aufmerkfamkeit der Hiftoriker zu
wecken, und weil vieles hier vollständig darzulegen ift,
was bei einem mehr bearbeiteten hiltorifchen Forfchungs-
thema zum voraus als ,geläufig' angenommen werden
kann.

Das Jahr 1240 bildet für Rußland dadurch einen bebenderen
Abfchnitt, daß in ihm auch Kiev von den
Mongolen eingenommen wurde. Damit begann im vollen
Umfange die Periode der Abhängigkeit des ruffifchen
Volks von land- und raffefremden Eroberern. Das .Volk'
als folches war ja auch zuvor fchon unter fremde ,Herr-
fcher' getreten, aber diefe waren mit ihm zufammenge-
wachfen, zumal feit der gemeinfamen Chriftianifierung
(988). Solange es mit diefen zufammen in feinem Lande
frei gewefen, hatte es in Kiev feine Hauptftadt gehabt.
Hier refidierten fein oberftes Staatliches Haupt und zur Seite
Stehend das oberfte kirchliche: der Großfürft und der Metropolit
. Seit dem Tode Vladimirs des Apoftelgleichen
(des Bekehrers) 1015 hatte es eine Anzahl ,Teilfürften'
gegeben, die alle das gleiche Fürstenhaus darftellten und
nach einem Erbrecht, ähnlich dem, welches noch heute
in der Türkei gilt, für den älteften die Würde des ,Groß-
fürften' vorbehalten fahen. Jeder Teilfürft konnte zum
Großfürften aufrücken. Natürlich war diefes Fürften-
recht nicht gerade geeignet, das ruffifche Volk durch
Einheit Stark zu machen. Etwa feit der Mitte des
12. Jahrhunderts fand der Großfürft von Kiev einen
Rivalen um die Vormacht an dem Teilfürften von
Roftov-Suzdal, der in Vladimir an der Kljaz'ma refidierte.
Eine eigentümliche Stellung, in gewiffem Maße den
Charakter einer republikmäßigen Freiftadt (immerhin
doch auch unter einem ,Teilfürften') erlangte fchon feit
dem 11. Jahrhundert das Handelsemporium Novgorod.
Die Kirchengefchichte, zumal die Entwicklung des Kirchen-
ftaatsrechts der Zeit ift aufs engfte verflochten mit den
Streitigkeiten zwifchen dem Kievfchen Großfürften, den
Teilfürften, zumal dem genannten größten unter ihnen,
und mit den Sonderformen der Verfaffung, die Novgorod
herausbildete. In Kiev allein gab es einen Metropoliten,
für Vladimir erftrebte der dortige Gernegroßfürft aber
auch (freilich erfolglos) eine (oder die?) Metropolie, und

i Novgorod erlangte einen ,Erzbifchof. Der Kievfche
Metropolit wurde von Rechts wegen von Konftantinopel
aus ernannt und war dann Stets ein Grieche. Zweimal
verfuchte der Großfürft von fich aus einen Metropoliten
zu bestellen, in beiden Fällen einen Ruffen; er Stiftete
damit nur Wirren. Aber wenn die Spitze der Kirche
griechifch blieb, fo wurde der untergeordnete Epifkopat,
die Gefamtzahl der einfachen Bifchöfe doch vom Großfürften
, wie nicht minder von den Teilfürften, für die
Nation felbft gewonnen: hier fcheint der Metropolit
(indirekt der ökumenifche Patriarch) fehr früh bedingungslos
nachgegeben zu haben. Wie hier eine bedeutfame
Konzeffion an das Ruffentum als folches gemacht werden
mußte, fo zeigt Goetz, wie es auch fonft mannigfach zu
Kompromiffen zwifchen dem griechifchen kanonifchen
Rechte und der ruffifchen Sitte oder den Anfprüchen
der Fürften kam. War die Macht vorhanden, fo wurde
das kirchliche ,Recht' in Kiev, Vladimir und Novgorod

1 gleich oft gebeugt, allmählich überhaupt mannigfach erweicht
. Der Metropolit und die Bifchöfe erhalten eine
Menge rechtlicher Befugniffe auch im Staatlichen Leben,
und fie werden von den Fürften reichlich mit Einkünften
ausgestattet. Goetz hat in den nicht gerade reichen
Quellen Sorgfältige Umfchau gehalten und bietet zum
Teil ein konkretes, intereffantes Bild der Zuftände. Bemerkenswert
ift die Abneigung der Ruffen gegen die
Lateiner, die ihnen faft als Heiden gelten.

Halle. F. Kattenbufch.

Foerlter, Erich, Die Entftehung der Preußischen Landeskirche

unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des
Dritten nach den Quellen erzählt. Ein Beitrag zur
Gefchichte der Kirchenbildung im deutfehen Prote-
ftantismus. Zweiter Band. Tübingen, J. C. B. Mohr
1907. (XII, 530 S.) gr. 8° M. 10.40; geb. M. 12 —

In dem zweiten und letzten Bande feines Werkes
Schildert Verfaffer die Entwicklung des altpreußifchen
Kirchenwefens vom Unionsjahr 1817 ab bis zum Ende der
Regierungszeit Friedrich Wilhelms des Dritten. Er beginnt
mit den auf fynodale Einrichtungen abzielenden
Plänen und der Tätigkeit der erften Provinzialfynoden.
Er verfolgt fodann den Fortgang der Union. Er führt
uns vor die Entftehung der Agende, den literarifchen
Streit über die Agende und ihre Einführung. Sodann
kommt er zum Verfaffungsausbau der Kirche und end-
| lieh fchließt er mit der altlutherifchen Bewegung und
deren Bekämpfung durch das Kirchenregiment. Der
321 Seiten umfaffenden Darftellung find als Beilagen eine
j Reihe wichtiger zum Teil bisher ungedruckter Urkunden
l beigegeben. So befonders: ein Bericht Altenfteins und
ein Entwurf einer Inftruktion über die Union, in dem
die in Veranlaffung der Einführung diefer entstehenden
Verwaltungsfragen erörtert werden, aus dem Jahre 1822;
ein ministerielles Gutachten über das Rechtsverhältnis
J der liturgifchen Angelegenheiten in Preußen aus dem
I Jahre 1825; eine gutachtliche Äußerung über die vom
König geplante .Herstellung evangelischer Bifchöfe': ein
umfängliches Gutachten Altenfteins aus dem Jahre 1830,
welches fich mit der Wahrung der Rechtgläubigkeit der
Geistlichen beschäftigt und dabei in noch heute be-
i achtenswerter Weife erörtert, wie weit diefe beeinflußt
wird durch die Lehrvorträge auf den Univerfitäten und
was in ihrem Intereffe gefchehen dürfte bei Befetzung
1 der theologifchen Profeffuren; Originalauffätze des Königs
| und von dem König herrührende Randbemerkungen zu
Berichten und Eingaben, die uns ein treffendes Bild davon
geben, wie der König höchftperfönlich feine kirchlichen
Reformideen bis ins Einzelne durchdacht und ausgearbeitet
hat — eine Quellenfammlung, die es jedem ermöglicht,
fich ein felbftändiges Urteil über Entwicklung der kirch-
I liehen Verhältniffe jener Zeit zu bilden und daher auch