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Ausgabe:

1910 Nr. 4

Spalte:

102-105

Autor/Hrsg.:

Schermann, Theodor

Titel/Untertitel:

Griechische Zauberpapyri und das Gemeinde- und Dankgebet im I. Klemensbriefe 1910

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 4.

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halb diefer gut gewählten Grenzen beifeite gelaffen hat, ,was
von Tifchendorf in der Ed. VIII richtig herausgeftellt i(V,
ohne das fo ausgefchloffene Material auch nur feinem Umfang
nach anzugeben, muß man bedauern. Er hat die
Herkulesarbeit getan, aus Tdf.s Apparat das Origenesma-
terial auszugraben; warum fchüttet er feine Grabung wieder
zu und zwingt feine Lefer, fie felbft immer wieder auszuführen
, indem er uns im Druck vorenthält, was in feinem
Ms. gar nicht fehlen konnte und wenig Raum beanfprucht
hätte? Überhaupt unterläßt er die wünfchenswert genauen
Angaben über die Art, wie er fein Material ge-
fammelt und gefichtet hat und erfchwert die Kontrolle
feiner Vollftändigkeit. Neben Tdf. hat er natürlich die
Indizes der Origenesausgaben nicht unbenutzt gelaffen,
hat aber von Unwefentlichem wiederum ohne nähere
Bezeichnung abgefehen, nämlich von ,faft allen jenen
Stellen, an denen die Befonderheit der Lefung des Origenes
nur in der Wortftellung, dem Partikelgebrauch, dem
Tempusgebrauch beruht oder durch die Anknüpfung
des Zitates innerhalb des übrigen Textes begründet ift'.
Liefen Maßftab in der Praxis zu handhaben, ift oft
fchwierig, und der Verf. gibt denn auch nicht feiten
mehr, als er verfprochen hat. Soll man andererfeits
glauben, daß er z. B. in Mt. mindeftens die Varianten
zu 3,17 £<c ov gegen sv a>, 7,2 fiEXQrjd-rjösxai gg. avxifi-,
7,6 puppte gg. ßaXrjxE, 10,20 oih. gg. exh. vficov, 11,3
aXXov gg. exeqov, 11,29 xquvc gg. Jtoaoe, 14,15 om- &£■
exh. ?]6rj, 20,22 jiivco gg. fieXXco mveiv, 21, I die verfchie-
denen Schreibungen von ßrß)<payr], 21, 3 om. gg. exh. etil.
21,42 Xi&os gg. Xi&ov. 27,46 jtccTEQ gg. />££ /iov, die bei
Origenes im vorliegenden Text kontrovers find, abfichtlich
fortgelaffen hat?

Wenig glücklich erfcheint die mechanifche Anordnung
der Unterfuchungen nach Kapiteln und Verfen der
Ew. Es wäre vielmehr zu fcheiden gewefen zwifchen
folchen Varianten des Origenes, die für die Geftalt des
von ihm benutzten hl. Textes, zumal die Frage nach
deffen Einheitlichkeit nicht in Betracht kommen, wohl
aber feine Art zu zitieren objektiv illuftrieren, und folchen,
bei denen die Frage der Zugehörigkeit zu NT.-Texten
und die, ob Origenes einen oder mehrere benutzt hat,
zu diskutieren ift. Innerhalb diefer Hauptteilung hätten die
Varianten nach ihrer Art gruppiert, dabei das Charakte-
riftifche und Gewichtige immer wieder vom mindeftens
für fich allein nicht Beweiskräftigen getrennt werden
müffen. Denen, die zufällig die Varianten zu einer Stelle
beieinander haben möchten, hätte ein Stellenverzeichnis
gedient. Der fo difponierten Befprechung hätte einleitend
ein kurzes Referat über die Überlieferung der
griechifch erhaltenen Origenesfchriften vorausgefchickt
(denn nicht jeder Intercffent am Bibeltext des Origenes
muß darüber hinreichend unterrichtet fein), und an einer
Vergleichung der in verfchieden überlieferten Schriften
wiederholten Zitate einen Maßftab über die abgeftufte
Zuverläffigkeit der Origeneszeugen in Bezug auf die
Bibelzitate zu gewinnen verfucht werden können. —

Wie fte vorliegt, bietet die Arbeit von H. kein Bild des
Evv.textes des Origenes, weder vom Umfang noch von
der Güte feiner Erhaltung noch vom Maß feiner Einheitlichkeit
, fondern nur zerftreute Beiträge zur Gewinnung
eines folchen, Beiträge, deren an fich beftehender Wert
eben durch ihre Zerftreuung gemindert wird. Kein
Benutzer ift davon difpenfiert, die Origenesbände immer
wieder felbft zu durchpflügen, und dies zu erübrigen,
follte fich eine folche Arbeit doch wohl zum Ziel
fetzen.

Was der Verf. in diefer Einfchränkung bietet, ift
allerdings aller Anerkennung wert. Die Anführungen
fcheinen abfolut zuverlätfig und das Material für die
ausgewählten Varianten vollftändig beigebracht zu fein.
Den textkritifchen Erwägungen kann man allermeift zu-
ltimmen. Ich meine, daß den Paralleleinwirkungen und
anklingenden Reminiszenzen ein noch größerer Spiel-

j räum zu gewähren ift, und daß durch Händige Benutzung
der Wortkonkordanz zum NT. die möglicherweife einwirkenden
Stellen noch vollftändiger dargeboten fein

I follten. Um noch auf den erften Seiten ein paar Bei-

1 fpiele zu nennen, wo man anders urteilen kann: ctgiovq

1 xagnovq Mt. 3,8 (Or. in Joh. ed. Preufchen 132, ioff)

j würde ich nicht korrigieren; daß Origenes Mt. 4,17 bereits
den Vulgärtext (isxavoEixE, rjyyixsv xxX. gelefen
hat, ift mir fehr wahrfcheinlich, daß er ihn auch 5,11,

I alfo mit rpsvöofiEvoi und nicht anders gekannt hat, faft
ficher (die Auslaffung beider Worte in einzelnen Anfuhrungen
rechtfertigt der Zufammenhang, in dem fie
unnötig waren); Mt 5,16 einen Text zu poftulieren, der
von dem unferen abweicht, ift mindeftens ,engherzig', und
5,28 kann ich es auch nicht geboten finden. Doch ver-

' bietet der Raum hierbei zu verweilen. An manchen
Punkten wird Meinung gegen Meinung liehen bleiben
(nach der meinigen ift die Freiheit des Zitierens und die
atomiftifche Anführung kleinfter Textpartikeln bei den
älteren Autoren ftärker in Rechnung zu fetzen, als oft
gefchieht), und abweichende Urteile entwerten ja die
Vorführung des Materials in keiner Weife. Aber durch
Gruppierung hätte eben das Sichere vom Unficheren
gefchieden werden können und in zufammenhängender
Erörterung des Gleichartigen wäre zuweilen eine Ent-

< fcheidung wohl anders gefallen, nicht feiten aber beffer
zu begründen gewefen. Zugleich wären vorteilhafte Kür-

j zungen ermöglicht worden.

Verf. verfäumt nicht, zu den einzelnen Varianten
auch andere Zeugen aus dem Apparat des NT., fowohl
Hff. wie Väter, anzuführen, ohne fich mit Fug auf das
hier beginnende Problem des Origenestextes einzulaffen.
Wiederum aber teilt er nicht mit, wie weit er diefe
Kollationen ausgedehnt und wo er fie hergenommen hat.
Beides müßte man wiffen, um feine dankenswerten Zu-

i fammenftellungen anftelle eigener benutzen zu können.
Tdf.s Apparat ift augenfcheinlich nicht feine einzige
Quelle. Irreführende Ausdrucksweifen find nicht vermieden
; man kann nicht fttBD und ,die übrigen Unzialen'
einander gegenüberftellen, wenn zuitBD nochCKLNU/kl/7
hinzukommen (Mt. 3, I r), und wenn eine Lefung von f ff, g2 q
vertreten wird, darf man, was an Italazeugen ubiig
bleibt, nicht mehr ,vetus latinal nennen (Mt. 5, 11) ufw.
S. 23 A. 3 bietet den Hinweis auf ein doppelt, aber in

[ abweichender Geftalt, vorkommendes Zitat Cyprians von
Mt. 7,23. Verf. hätte hier einen Blick in Harteis Cyprianapparat
werfen und notieren follen, daß nur Cod. A der

| Teftimonia die Variante, LMBW die gleichlautende Form

! bieten; er felbft und feine Lefer wären dann auf die
Möglichkeit verkehrter Rezenfion feitens des Heraus-

| gebers hingewiefen worden (wie fie hier tatfächlich vorliegt
). — Man follte nicht zitieren Pfeudocypr. II p. 40,3

J (S. 56A. 2) oderp. 164,4 (S. 77), lies übrigens beide Male III.

j Ps. Cy. ift doch kein Autor, die unter diefem Titel ge-

1 fammelten Schriften verteilen fich über 13 Jahrhunderte,
und wer hat den Hartelband ftets zur Hand? Man
nehme fich die kleine Mühe und fchreibe Ps. Cy. de laude
tnart., bezw. de XII abus., und jeder weiß, wohin ungefähr
der betreffende Text gehört. S. 13 A. 2 lies 1905
(wie fonft richtig geboten).

Rom. Hans von Soden.

I Schermann, Priv.-Doz. D. Theodor, Griechifche Zauberpapyri
und das Gemeinde- und Dankgebet im I. Klemensbriefe
. (Texte und Unterfuchungen zur Gefchichte
der altchriftlichen Literatur. Herausgegeben von Adolf
Harnack und Carl Schmidt. Dritte Reihe, vierter
Band, Heft 2b.) Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung
1909. (VI, 64 S.) gr. 8° M. 2 —

In der Anzeige der Unterfuchung von O. Dibelius
über das Vaterunfer habe ich derzeit in diefer Zeitfchrift