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Ausgabe: | 1910 Nr. 3 |
Spalte: | 86-90 |
Autor/Hrsg.: | Süskind, Hermann |
Titel/Untertitel: | Der Einfluß Schellings auf die Entwicklung von Schleiermachers System 1910 |
Rezensent: | Stephan, Horst |
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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 3.
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vor dem Autodafe vernahm er eine Stimme ,Franciscc, Sakramente behandelt, aber während Luther das Apofto-
surge et vade', und er floh aus dem Schloß in Brüffel. lifche Bekenntnis in drei Artikel zufammenfaßt, hält
Nach weitern Abenteuern kam er 1561 nach Norden in Alardus an der Einteilung in 12 Artikel feft. Auch fpäter
Oftfriesland, wo er bis zur Ankunft der englifchen Exu- fehen wir den Einfluß von Brenz. Deffen Fragen: Wozu
lanten neben Ligarius bis 1564 wirkte (S. 32). 1564—66 , find uns die zehn Gebote gegeben? und Warum follen
findet er fich in Kellinghufen an d. Stör in Holflein. 1566 wir denn gute Werke tun? fchimmern durch z. B. S. 65:
ging er im Frühjahr nach Antwerpen (vor 22. Mai) und ,Waer toe is ons die Wet gegeven? Waer toe dient fy'
predigte in der Scheune von S. Michael. Da er bei der und S. 91: ,Waer toe dienen dan die werckenr'
Abendmahlsfeier am Brotbrechen fefthielt und es nicht S. 147—178 folgt die Stammtafel des Gefchlechts
für ein Adiaphoron hielt, warnten ihn Flacius und Cyr. Nyegaard—Nieuwenhuis, Domela—Nieuwenhuis, das aus
Spangenberg vor Annäherung an den Calvinismus. Span- Dänemark flammt, eine Reihe Bifchöfe, Profefforen, Pre-
genberg brachte die Sache vor die Deputierten der Ge- diger und fonfl hervorragende Männer, auch den Stifter
meinde, denen er in Gegenwart der Theologen eine der niederländifchen fozialdemokratifchen Partei aufzu-
theologifche Abhandlung vorlas. Alardus konnte gegen weifen hat. Die Arbeit ift mit zahlreichen Bildern, nament-
Spangenberg nicht aufkommen und blieb gegenüber lieh fehr charakteriftifchen Bruftbildern ausgeflattet. Das
dem Befchluß, die Hoftie nach deutfeher Weife zu- Angebot von Offiziersrang und Adel durch Erzherzog
gebrauchen, in der Minderheit. Karl an Jakob Nyegaard zu Tübingen S. 149, 162 müßte
An Oftern (30. März) 1567 wurde die letzte evange- am 13. Sept. 1797 gefchehen fein. Den Schluß bilden
lifche Predigt in Antwerpen gehalten. Am 10. April zog | kleine Nachrichten, darunter die ältefte Überfetzung von
Alardus mit Weib und Kind nach Holftein, lebte einige ,Ein fefte Burg' in die niederdeutfehe Sprache.
Zeit mit Unterftützung von Landsleuten aus Hamburg , Stuttgart. G Boffert
in Itzehoe, kam aber an Oftern 1568 nach Wilfter, wo
er 10. Sept. 1578 flarb. Alardus ift kein ,fcharfer Dog- Süskind, Lic. Dr. Hermann, Der Einfluß Schellings auf die
matiker', aber ein wohl gebildeter, ernfter, frommer
Theologe von großer volkstümlicher Beredfamkeit auch
in feinen Schriften, von denen Pont S. I9ff. eine Bibliographie
gibt. Von der obengenannten Erfllingsfchrift
Entwicklung von Schleiermachers Syltem. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1909. (VII, 292 S.) gr. 8° M. 7.60
Süskind hat ein Thema in Angriff genommen, deffen
Een cort vervat' erhalten wir S. 19—24 eine will- Bearbeitung längft erfehnt wurde. Gewagt hat fie bisher
kommene Inhaltsangabe, die den ganzen Eifer des Neu- j niemand, wohl vor allem aus zwei Gründen. Erflens
lings, aber auch feine klare Erkenntnis der römifchen | fetzt die Aufgabe eine dem Theologen nicht liegende
Mißbräuche und feine frifche, witzige Sprache erkennen intenfive Befchäftigung mit Sendling voraus. Zweitens
läßt. führt fie in die mittlere Lebensperiode Schleiermachers,
Den Hauptinhalt des,Jaarboeks'bildet aberS.35—146 ; die noch immer der genauen biographifchen und philo-
der Katechismus des Alardus, der 1568 zuerft ohne j logifchen Durcharbeitung harrt. Man weiß, daß allerlei
Angabe des Druckorts erfchien, 1585 in Antwerpen, 1608 j jungfräuliches Material vorhanden ift; aber man findet
in Utrecht, 1618 und 1640 in Amfterdam wieder gedruckt . fchwer den Zugang, kann auch nicht für jedes einzelne
wurde und neben dem von Caffiodor von Reyna lange ; Thema fo ausgebreitete Vorarbeiten perfönlich erledigen
Zeit das Lehrbuch der niederländifchen Lutheraner bildete,
So viel Ref. beobachten konnte, ift der Neudruck forg-
fältig ausgeführt. Alardus dringt auf lebendiges, bibel-
feftes Chriftentum gegenüber den ,Mundchnften', die ,dem
Evangelium ein Schandfleck find, fich dünken laffen, fie
feien die rechten, ja die alten Chriften und flecken doch
voll Haß und Neid, fitzen in den Kneipen, trinken fich
voll, verachten, belügen, verfpotten und verraten ihren
Nächften, der es nicht mit ihnen halten will'. Gemütvoll
läßt Alardus das Lehrgefpräch zwifchen Vater und Sohn
fich entwickeln, doch befitzt der Sohn fchon eine große
Sach- und Bibelkenntnis, fo daß der Vater vielfach
Dieter Zuftand wirft auch in die vorliegende Arbeit feine
Schatten. S. 99, 143, 226 erwähnt Süskind eine evtl. für
das Urteil ausfchlaggebende Kollegnachfchrift Böckhs
(1804—5), die bei Dilthey zu exiftieren fcheint, aber nicht
benutzt wird — wer trägt die Schuld daran? Daß S.
die Arbeit trotzdem gewagt hat, verdient allen Dank;
freilich gibt es zugleich feinen Ergebniffen den Charakter
der Vorläufigkeit. Mit dem vorhandenen Stoff verfährt
er — das ift fein zweites Verdienft — deflo gewiffen-
hafter; hiftorifche Gründlichkeit und energifches Drängen
auf fcharfe Begriffe zeichnen feine Erörterungen aus; er
hat nicht nur die Religionsphilofophie, fondern das ganze
weniger unterrichten, als durch Fragen den Sohn zur j philofophifche Syftem Schleiermachers in ungewöhnlicher
Ausfprache veranlaffen muß. Man fieht überall, wie Weife vor Augen. Ja, fein Schritt ift oft allzu fchwer
Alardus Luther genau ftudiert hat; aber es ift doch nötig, , und fein Weg — auch infolge der beftändigen Polemik
weiter zu unterluchen, welche Vorarbeiten er fonft be- 1 — fo umftändlich, daß er feine eigenen Wirkungen, vor
nützt hat. Hier fei nur aufmerkfam gemacht, wie er | allem die Uberfichtlichkeit des Ganzen, beeinträchtigt,
den Eingang macht mit Brenz' beiden Fragen: 1) Wer bift , Was den Inhalt betrifft, fo ift die Themabeftimmung
du denn? Ich bin ein Chrifl, was Alardus hübfeh wieder- ,Syftem' fcharf zu beachten. Die Einflüffe Schellings auf
gibt mit: ,Wat fyt ghy voor een? Lieve vader, Got hebbe die erfte Auflage der Reden werden mehr geftreift
danck ende lof, ick ben een Chriften menfehe'. 2) Warum ; (S. 114f.) als behandelt. Im Vordergrund fleht überall
bift du ein Chrift? Darum daß ich an Jefum Chriftum das theologifch-philofophifche Gefamtgebäude, das feit
glaube und bin in feinem Namen getauft. Bei Alardus etwa 1802 parallel zu Schellings Identitätsphilofophie
wiedergegeben - .Waeromme fyt ghy een Chriftenmenfche, entfteht. Dabei ergibt fich für S. ,das der herrfchenden
mijn soone? Den eerften daeromme, lieve vader, dat , Auffaffung entgegengefetzte Refultat, daß der Einfluß
ich geloove, dat Chriftus (Rom. iij) om vnfer fonde wille 1 Schellings in die philofophifche Seite von Schleiermachers
overgegeven ende om onfer gerechticheyt wille opgewect Weltanfchauung wenigerftarkeingreift als in feine religions-
is'. Dann fügt Alardus Rom 10, v. 9 an und fährt weiter: wiffenfehaftlichen Begriffe' (S. 291). Eine gewiffe Grund-
,Tewijle dat ick nu dat felve gheloove, foo en twijfele läge der Identitätsphilofophie erwächft bei Schleiermacher
ick nit ick en ben Gods kind'. Diefen Begriff erläutert fchon aus den früheften Ergebniffen feiner Auseinander
er mit'Rom 8 14. Gal. 4,6. 1 Joh. 3,1 und 2 und fragt fetzung mit Kant: Unendliches und Erfcheinungswelt ge-
dann, wieviele'Stücke einem Chriften zu wiffen not fei, hören zufammen; jenes ift die notwendige Vorausfetzung
um Grund und Fundament der chriftlichen Religion und
Lehre beffer zu Herzen zu faffen. Die Taufe ubergeht
er hier, um Luther zu folgen, indem er als notwendige
Stücke die 10 Gebote, den Glauben, das Gebet und die Syltembildung felbft beweift S., daß Schleiermachers
ebenfo alles materiellen wie alles geiftigen Seins- daher
darf die Natur fo wenig idealiftifch aus der Vernunft wie
umgekehrt diefe aus jener abgeleitet werden. Für die