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Ausgabe:

1910

Spalte:

80-84

Autor/Hrsg.:

Eck, Samuel

Titel/Untertitel:

Johann Calvin 1910

Rezensent:

Lobstein, Paul

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8o

[natürlich wieder zeitliche — denn die ewige ift ja
mit der culpa ganz abgetan] Strafe verdient hätte,
fo haben Beichte und Genugtuung [d. h. ihre Übernahme
] zur Folge, daß,er nur mit heben Jahren bedacht
wird. Beichte und Genugtuung werden alfo (2492 fr.)
durch die Vergebung, die der Reue folgt, nicht über-
flüffig, denn die Sünde fchließt zwei Momente in hch, t
eine Beleidigung gegen Gott und ein Ärgernis gegen
die Kirche. Wie wir alfo in ihr zwei beleidigen, fo
müffen wir auch zweien Genugtuung leiften, Gott durch
die contritio, der Kirche durch Beichte und Genugtuung. j
— Das heißt doch: in der contritio werden die ewigen i
Strafen getilgt, aber nun bleiben die zeitlichen noch
übrig, die von vornherein mit dem der Kirche gegebenen
Ärgernis verbunden waren! Und zwar handelt es hch
hier nicht etwa um ,medizinale' Strafen, durch die die
innere Sündhaftigkeit überwunden werden follte, fondern
um ,pönale', alfo um wirkliche Strafen. Ähnlich Omne-
bene bei Gietl 243 Anm. 21: Die Sünden find auf contritio
hin vergeben; aber nun folgen Beichte und Faften,
weil wir der Kirche Ärgernis gegeben und Gott beleidigt
haben und unfer Fleifch mit feinen Lüften und Begierden
kreuzigen follen. Auch hier flehen die ,pönalen' Strafen 1
wenigltens neben den ,medizinalen'. — Sodann aber findet
hch diefelbe Anfchauung, um von andern ganz abzufehen,
auch bei Thomas von Äquin in der Summa tkeologica
II, 2 qu. 87 art. 4 und in III qu. 86 art. 4 ganz deutlich j
und fcharf entwickelt. In der Todfünde find zweierlei
Momente enthalten, die aversio ab incommutabili bono und
die conversio ad commutabile bonum inordinata. Nach der
erfleren zieht die Todfünde den reatus poenac aeternae
nach hch; nach der andern hat he — und das wird ausführlich
begründet —, wie das auch bei läßlichen Sünden
der Fall ift, den reatus ponae temporalis zur Folge. Wenn
alfo durch die Gnade die aversio a Deo aufgehoben wird,
fällt auch der reatus poenae aeternae weg. Dagegen potest
remanere reatus alicnjus poenae temporalis. (Auch Loofs
hat diefe Stelle zitiert S. 583 A. 4, aber den m. E. wich- !
tigften Teil ausgelaffen, fo daß ihre Beweiskraft nicht
deutlich wird.)

Diefe Anfchauung ift denn auch, wie mir ein Kollege
von der katholifchen Theologie bezeugt, noch heute
offizielle Lehre!

Aber ähnlich fteht es auch mit der Formulierung, die
ich diefer Anfchauung im Anfchluß an Abälard und feine
Schule a. a. O. S. 307 gegeben habe, daß das Fegfeuer
eine Strafe fei, die an fich jedem Todfünder gleichfam
neben der Hölle anhafte. Loofs fagt dagegen S.476 A, das j
habe nie ein katholifcher Theologe angenommen. Allein j
Abälard fagt doch ausdrücklich: die Reue verfchaffe Erlaß j
der ewigen Strafen der Hölle, die Genugtuung aber löfche
auch die Strafen des Fegfeuers aus (Kommentar zum
Römerbrief ed. Coufin 2,211, auch in m. Abhandlung
S. 306 f. Anm. 6). Da erfcheinen tatfächlich die Fegfeuer-
ftrafen als das primäre, die Satisfaktionen als ihr Erfatz, i
und es ift, wie andere Stellen zeigen, gerade fo wie ehe- |
mals bei der Hölle: durch freiwillige Selbftbeftrafung
kommt man leichter weg, indem man dadurch den
fchwereren Strafen des Fegfeuers zuvorkommt.

Ganz im felben Sinn führt jetzt auch Schmoll j
aus der handfchriftlichen Summe des Praepositinus von
Cremona (um 1200) folgendes an: ,Daneben ift allerdings
auch die poena aeterna Objekt der fündetilgenden Reue;
das ift aber nicht fo zu verftehen, als ob eine eigentliche
Kommutation der ewigen Strafe in die zeitliche ftattfände,
fondern von Anfang an ift der Sünder direkt der ewigen,
indirekt der Fegfeuerftrafen fchuldig'. Hier tritt die
von mir behauptete Überlieferung fo rein hervor als
möglich: in der Sünde liegen zwei Momente beifammen,
das eine, die Beleidigung Gottes, zieht die ewigen Strafen
nach fich; das zweite, fo oder fo beftimmt, zöge an (ich
nur Fegfeuerftrafen nach fich, die aber kommen natürlich
nicht zur Geltung, fo lange die ewigen Höllenftrafen

fortbeftehen. Erft wenn die wegfallen, werden auch die
zeitlichen des Fegfeuers praktifch bedeutfam. Noch
heute gehen, wie mir jener katholifch-theologifche Kollege
verfichert, beide Anfchauungen nebeneinander her,
wonach das eine Mal die Fegefeuerftrafen als das primäre
, die Genugtuungswerke als ihre leichtere Ablöfung,
das andre Mal die Genugtuungswerke als das primäre,
das Fegfeuer aber als der Ort erfcheint, wo die nicht
abgetragenen Genugtuungen in fchwererer Strafe nachgebüßt
werden müffen. —

Damit kehre ich zu Schmoll zurück. Von feinen
weiteren Darlegungen war mir zunächft intereffant zu
fehen, wie lange die Mifchlinge und Verlegenheitsprodukte,
die durch die Nachwirkung der alten Theorie gegen
die neue Abälards entftanden find, in den mannig-
fachften Abftufungen und Verbindungen fortgehen. Nicht
minder intereffant war mir, zu fehen, wie lange es
gedauert hat, bis die Einftellung der Buße unter die
Sakramente, wie fie ja doch vor allem durch den Lombarden
durchgefetzt worden ift, nach allen Seiten gewirkt
hat, bis alfo insbefondere die Buße einfach nach dem
Schema des Sakraments behandelt, von deffen nunmehr
feft umfchriebenem Begriff aus konfluiert worden ift. Erft
mit Wilhelm von Auvergne und Alexander von Haies
wird das nach einzelnen früheren Vorgängen entfchieden
in Angriff genommen, und da fällt es zufammen mit
der Einführung der ariftotelifchen Philofophie. Schmoll
betont richtig: von jetzt ab werden die Begriffe forma und
materia maßgebend, und damit erhält die Wirkfamkeit der
Sakramente ihre klareBeftimmung; zuerft bei den Franziskaner
-Theologen Alexander von Haies und Bonaventura
erfcheint das fakramente Abfolutionswort als die forma,
durch die der natürliche Zuftand der Seele, der das Vor-
ftadium der Rechtfertigung bildet, auf feine übernatürliche
Höhe gehoben, in einen übernatürlichen Zuftand übergeführt
wird. Erft Thomas von Aquin fchließt diefen
Prozeß vollkommen ab.

In diefem Zufammenhang geht dann Schmoll auch
der Entwicklung des Begriffs der attritio nach, von
feinem erften Auftreten bei Alanus von Lille über In-
nocenz III. bis zu den Meiftern der Hochfcholaüik. Im
übrigen aber hätte ich gewünfcht, daß neben den ariftotelifchen
Begriffen von forma und materia auch dem
Eindringen des gleichfalls ariftotelifchen Habitus nachgegangen
worden wäre, der fortan die ganze Gnaden- und
Sakramentslehre beftimmt. Aber das wäre freilich faft
ein Thema für fich. Denn gerade darüber erfährt man
heute nichts. Vielleicht wagt fich der Verfaffer oder ein
anderer einmal bald an diefe Aufgabe.

Tübingen. Karl Müller.

Reden und Vorträge über Calvin.

Arnold, Prof. D. Dr., Calvin. Rede bei der vierhundertjährigen
Wiederkehr feines Geburtstages im Mufik-
faal der Königlichen Univerfität zu Breslau am
IO. Juli 1909 gehalten. Breslau, W. G. Korn 1909.
(34 S.) gr. 80 M. —60

Cornill, Geh. Konfiff.-Rat Prof. D. Dr. Karl Heinrich,
Zu Johannes Calvins Gedächtnis, 10. Juli 1909. Rede am
26. Juni 1909 in der Elifabethkirche zu Breslau bei
der Calvinfeier des Evangelifchen Bundes. (Flug-
fchriften des Evangelifchen Bundes zur Wahrung der
deutfch-proteftantifchen Interessen. 273.) Halle, Verlag
des Evangelifchen Bundes 1909. (20 S.) gr. 8°

M. —40

Eck, D. Samuel, Johann Calvin. Rede bei der Calvin-
Feier der Univerfität Gießen. Tübingen, J. C. B. Mohr
1909. (38 S) gr. 8° M. —80