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Ausgabe:

1910 Nr. 3

Spalte:

77-80

Autor/Hrsg.:

Schmoll, Polykarp

Titel/Untertitel:

Die Bußlehre der Frühscholastik 1910

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 3. 78

tür die armenifche Literatur und Sprache' hat die Edi-
fion .noch die Bedeutung, daß fie endgiltig zeigt, wie
grundlos die Annahme i(t, das 6. Jahrhundert fei für die
armenifche Literatur fruchtlos und eine Zeit des Niedergangs
gewefen'. Diefe Bemerkung richtet der Ver-
faffer der Vorrede (E. Ter-Minaffiantz) gegen die ,fehr
minderwertige' Gefchichte der armenifchen Literatur von
F. N. Finck (in ,Literaturen des Oftens' VII,2 und
.Kultur der Gegenwart' 1,7).

Halle a. S. F. Kattenbufch.

Schmoll, P. Polykarp, O. F. M., Die Bußlehre der Früh-

fcholattik. Line dogmengefchichtliche Unterfuchung.
(Veröffentlichungen aus dem kirchenhiftorifchen Seminar
München. Herausgegeben von A. Knöpfler.
III. Reihe Nr. 5.) München, J. J. Lentner'fche Buchhandlung
1909. (XVI, 163 S.) gr. 8° M. 3.80

Unter den zahlreichen Abhandlungen, die in den
letzten Jahren über die Buße, die Inftitution wie die
Lehre erfchienen find, ift diefe jüngfte fehr willkommen.
Sie führt die Entwicklung der Lehre von Anfelm von
Canterbury bis Thomas von Aquin. Zwifchen diefen
beiden find alle Theologen, die von der Buße handeln,

durchgenommen, auch folche, deren Werke bisher nur | ift etwas anderes, wenn folche Gedanken beiläufig in
in Handfchriften vorlagen. Sie ift um fo willkommener,

nachwirkt und dadurch Mifchformen entftehen, die für
die Zukunft bedeutfam werden.

Ich darf wohl einmal die Gelegenheit ergreifen, um
mich mit der Kritik auseinanderzufetzen, die Loofs in
der neueften Auflage feines Leitfadens zum Studium der
Dogmengefchichte an meiner älteren Arbeit geübt hat1.
Loofs macht zunächft von vornherein geltend, die Ent-
ftehung des Sacramentum confessionis fchließe einen viel
wichtigeren ,Umfchwung' ein, als den, von dem ich gehandelt
habe. Das mag fein, aber dann ift es ein Umfchwung
in der Bußinftitutio n (den zudem auch ich, wie ich
glaube, nach Gebühr hervorgehoben habe, S. 297f.); der
Umfchwung aber, den ich zum Gegenftand genommen
habe, ift der Umfchwung in der Lehre. So hatte ichs in
der Überfchrift hervorgehoben, und in der Abhandlung
felbft habe ich ihn deutlich von dem in der Inftitution
unterfchieden.

Sodann hat Loofs betont, daß viele der evangeli-
fchen Gedanken, die ich auf Abälard zurückführen wolle,
fich fchon bei Alkuin fänden und Nachwirkungen noch
älterer Anfchauungen feien. Nun habe ich zwar Alkuin
nicht genannt, aber doch hervorgehoben, daß z. B. fchon
bei Anfelm gelegentlich die Vergebung einfach als Buße
der innern Bekehrung, die Abfolution nur als ihre Verkündigung
erfcheine. Aber ich meine immer noch, es

als fie damit ein Entwicklungsftadium beleuchtet, das
ganz befonders wenig bekannt ift und in unfern Dog-
mengefchichten, katholifchen wie evangelifchen, ganz

erbaulichen Ausführungen erfcheinen, ohne daß die
ältere Gefamtanfchauung dadurch irgendwie verändert
wird, und wenn dann ein Theologe diefen Gedanken
herausgreift oder neu findet, ihn zum Mittelpunkt der

übergangen wird. Denn fie führen z. B. die Gnadenlehre , Lehre macht und damit ihr ganzes Gefüge verändert,
in ihrem vollkommen durch Auguftins Terminologie be- Wer wird den Umfchwung in der Lehre von der Recht-
ftimmten Gefüge bis zum 9. Jahrh. und beginnen dann fertigung bei Luther darum leugnen, weil gelegentlich
von neuem mit der Hochfcholaftik des 13. Jahrh. Von j bei Bernhard von Clairvaux oder gar noch Früheren eine

der großen Gefchichte, die dazwifchen liegt, erfährt
man nichts, und plötzlich liegt ein neuer Aufriß vor,
der durch die ariftotelifchen Begriffe von forma und ma-
teria, liabitus und actus beftimmt wird. Wann und wie

Definition erfcheint, die ebenfogut bei Luther ftehen
könnte?

Im übrigen beweifen die Stellen bei Alkuin nicht,
was Loofs daraus entnimmt. Denn fie fprechen gar

diefe Neuerung durchgedrungen ift und wie die neuen nicht von der contritio oder conversio, fondern von der
Begriffe die alten Vorftellungen umwandeln, wird nicht 1 confessio, und die ift eben, wie auch aus Schmoll
erklärt. Hier befteht alfo eine Lücke, die fich vor allem wieder hervorgeht, offenbar die kirchliche Inftitution, nicht
auch bei der Lehre von den Sakramenten bemerkbar 1 nur das Bekenntnis, und keinenfalls die innerliche Be-

macht und bei keinem vielleicht fo bedeutfam wie bei
der Buße. Da tritt nun Schmolls Abhandlung ein, die
durch eine Preisaufgabe der Münchner Fakultät veranlaßt

kehrung. Sie beftätigen alfo nur meine Anfchauung.

Sodann meint Loofs, außer diefem .Irrtum' fei mir
verhängnisvoll gewefen die irrige Annahme, daß nach

ift und den Preis erhalten hat. Abälard und den fpäteren das Fegfeuer eine Strafe

Sie ift vorwiegend Referat: eine Meinung wird nach fei, die an fich jedem Todfünder gleichfam neben der

der andern vorgeführt. Dabei wird öfters allzufehr auf
Vollftändigkeit gefehen, das Charakteriftifche und Wefent-
liche nicht genug herausgehoben, fo daß es manchmal an
Farbe und Schattierung fehlt. Eine gute Skizze der EntHölle
anhänge. Das habe nie ein katholifcher Theologe
angenommen; erft nach Erlaß der ewigen Strafen — fo
verliehe ich ihn (S. 476) doch wohl richtig? — kämen
die zeitlichen in Betracht. — Nun hat zwar jener an-

wicklung am Schluß kann dafür nicht völlig entfchädigen. | gebliche Irrtum m. W. auf meine Gefamtanfchauung gar
Aber alles ift fleißig und, foweit ich verglichen habe und ; nicht eingewirkt: beides fleht einfach nebeneinander.

Allein Loofs hat, wie ich auch heute noch meine, mit

vergleichen konnte, forgfältig,

Den Ausgangspunkt hätte ich etwas anders ge-
wünfcht. Schmoll fchickt nicht eine kurze Skizze der
älteren Lehre voraus, fondern nur einige Momente aus
ihrem Überlieferungsftoff, die für die neuen Probleme, (
wie fie mit Abälard auftreten, bedeutfam werden. Die
neue Zeit wäre fchärfer zu erfaffen gewefen, wenn er den
andern Weg gegangen wäre.

Was nun die ganze Auffaffung betrifft, fo freue ich
mich, daß der Verf. durchaus mit dem wefentlichen
Punkte meiner älteren Arbeit übereinftimmt und fie durch
feine viel umfaffendere Heranziehung der Schriftfleller
bekräftigt: der Umfchwung in der Lehre liegt bei Abälard
; erft bei ihm tritt klar und fcharf die Löfung hervor
, daß die aus der Liebe geborene Reue, nicht die
Genugtuung, die Vergebung bewirkt, daß die Abfolution
nicht die göttliche Vergebung einfchließt, fondern fie
vorausfetzt. Schmolls Darfteilung beftätigt dann weiter,
wie befonders durch die Schule von St. Viktor die
ältere Anfchauung von der Bedeutung der Abfolution

feiner Behauptung nicht Recht. Ich darf doch wohl
annehmen, daß Loofs feinen Widerfpruch nicht nur
gegen die Vereinigung von Höllen- und Fegfeuer-
ttrafen, fondern zugleich gegen die von ewigen und
zeitlichen überhaupt richtet. Denn S. 719 (Anm. zu
S. 718) fetzt er felbft an die Stelle der Verhaftung an
das Fegefeuer den reatus poenae temporalis.

Ich führe nun aber dagegen folgende Stellen an. In
Rolands Sentenzen (ed. Gietl S. 243 fr., bef. 248 f.) wird
ausgeführt: Auf die contritio hin wird die Sünde vergeben
, d. h. ihre ganze culpa abgetan. In der Beichte
und Genugtuung wird diefe Vergebung verkündigt,
zugleich aber auch die zeitliche Strafe erlaffen, d. h.
vermindert. Wenn einer für einen Mord die fchwerfte

1) Daß ich Abälards Meinung über die zeitliche Stellung des
Fegfuers mißverßanden habe (Loofs S. 583 A. 3), ift richtig Dagegen
kann ich die Darftellung, die Loofs von der alten Bußpraxis
b. 204 fr. tedweife auch im Gegenfatz gegen meine Darftellung gegeben
hat, nicht annehmen, verzichte aber natürlich hier auf Begründung.