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Ausgabe:

1910 Nr. 26

Spalte:

821-825

Autor/Hrsg.:

Hoensbroech, Graf Paul von

Titel/Untertitel:

14 Jahre Jesuit. Persönliches und Grundsätzliches. 2 Teile 1910

Rezensent:

Bruckner, Albert

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 26.

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I. Teil: Die Kirchen der ungeteilten rheinifchen und der nieder-
rheinifchen Ordensprovinz. Mit 13 Tafeln und 22 Abbildungen im
Text. 1908. (III, XII, 276 S.) M. 4.80. — 2. Teil: Die Kirchen der
oberdeutfchen und der oberrheinifchen Ordensprovinz. Mit 18 Tafeln
und 31 Abbildungen im Text. 1909. (XII, 390 S.) M. 7.60.

Diefes Werk wird auch leidlichen Kennern der kirchlichen
Kunft einige Überrafchung bereiten. Bisher machte
man allgemein die Jefuiten für die Ausfchreitungen des
Barock verantwortlich. Unter Jefuitenkunff verftand man
jenen raufchenden und betäubenden Überfchwang der
Formen und der Ausftattung, wodurch das Sieges- und
Machtgefühl der katholifchen Kirche nach den fchweren
Glaubenskämpfen ausgedrückt fei und man dachte fich
die Jefuiten als Führer und Bahnbrecher der Gefchmack-
lofigkeiten, durch welche das Barock nachmals fo fehr
in Verruf kam. Jofeph Braun zeigt nun in diefen peinlich
treuen Unterfuchungen, daß diefes Vorurteil ganz
zu Unrecht aufgekommen ift und wenigftens für Deutfch-
land unzutreffend ift. Einen Jefuitenflil' hat es demnach
nie gegeben. Zwar mußten die Pläne der kirchlichen
Neubauten nach Rom gefandt werden. Aber der General
prüfte fie lediglich auf ihre Nutzbarkeit für ürdenszwecke.
Über Stilfragen und befondern Kirchenprunk find niemals
Vorfchriften gemacht worden. Auch innerhalb des Ordens
hat fich fo etwas wie eine Baufchule nicht entwickelt.
Man ilt erftaunt zu fehen, daß felbft das vielgerühmte
Mufterbeifpiel, der Jefii in Rom, diesfeit der Alpen fo
wenig Nachahmung gefunden hat. Wenn die meiften
Kirchen des Ordens in gewiffen Eigenheiten, in der Vorliebe
für Emporen ufw. zufammenltimmen, fo war dafür
das praktifche Bedürfnis maßgebend. Man muß anerkennen
, daß die Jefuiten in der Ausgeftaltung der Predigtkirche
den Proteftanten vorausgingen. Im Übrigen
folgten fie aber nur den landfehaftlichen Baugewohnheiten
und den allgemeinen Stilwandlungen. Befonders fchlagend
fpricht dafür die Tatfache, daß fie in Belgien und Deutfch-
land der Gotik lange treu blieben, z. T. bis ins 18. Jahrhundert
, fich die neuen Stile mehr durch ihre fürftlichen
Gönner aufnötigen ließen und grade in der Ausftattung
befcheidner und würdiger blieben als fonft im Barock
und Rokoko felbft in evangehfehen Kreifen üblich war.
Der Verf. führt die Unterfuchung fo objektiv wie möglich
, indem er alle einzelnen Kirchen nach ihrer Bau-
gefchichte, ihren Formen und Schickfalen befchreibt
und ganz ausgezeichnete, meift felbft gefertigte Abbildungen
zur Nachprüfung vorlegt. So groß der Gewinn
für die Kunft- und Künftlergefchichte im Einzelnen ift,
fo richtig und lehrreich ift auch das Gefamtcrgebnis:
Jefuitenkunft in der herkömmlichen üblen Bedeutung hat
es im Norden nicht gegeben. Im Gegenteil, die Bauten
des Ordens zeichnen fich vor andern vielfach durch große
und ichlichte Gefinnung, kirchliche Würde und nationale
Bodenftändigkeit aus. Für die Berichtigung des alten
Zerrbildes muß die Wiffenfchaft dem gelehrten Verfaffer
durchaus dankbar fein.

Nifchwitz S. A. H. Bergner.

Hoensbroech, Graf Paul von, 14 Jahre Jefuit. Perfönliches
und Grundfätzliches. Zwei Teile. Mit dem Bilde des
Verfaffers. Leipzig, Breitkopf & Härtel, gr. 8°

M- '5—; geb. M. 18 —

I. Teil: Das Vorleben: Die ultrainontan-katholifche Welt, in der
ich aufwuchs. 1909. (XXIV, 310 S.) M. 5—; geb. M. 6—.

II. Teil: Das Ordensleben: Wefen, Einrichtung und Wirkfamkeit
des Jefuitenordens. Dritte, verbeflerte und vermehrte Auflage. 1910.
(XI, 656 S.) M. 10—; geb. M. 12 —

Seit Döllinger-Reufch*s ,Gefchichte der Moralftreitig-
keiten in der römifch-katholifchen Kirche . . . .' 1889 hat
kein Buch eine folche Maffe von wertvollen Materialien
zur Kenntnis der inneren Gefchichte des Jefuitenordens
zu Tage gefördert als Hoensbroechs breit angelegtes

Werk: 14 Jahre Jefuit. Perfönliches und Grundfätzliches.
In den beinahe 1000 Seiten diefes mit viel Temperament
und berechtigter Leidenfchaft gefchriebenen Buches fleckt
eine folche Unfumme von wertvollen Dokumenten zur
Kritik des Jefuitenordens aus allen Zeiten, Ständen und
Völkern, daß es nicht möglich ift, diefelben auch in einem
ausfuhrlicheren Referat im Wefentlichen zu würdigen.
Ich muß mich deshalb darauf befchränken, die Eigenart
diefes Werkes kurz zu befchreiben und fodann auf einige
befonders wichtige Abfchnitte hinzuweifen.

Der Titel: ,14 Jahre Jefuit. Perfönliches und Grundfätzliches
' erweckt bei dem Lefer die Vorftellung, daß
die Erzählung feiner Erlebniffe im Jefuitenorden den
Hauptteil des Hoensbroechfchen Werkes ausmachen
werde und die Einleitung mit ihrer prägnanten Frage-
ftellung: ,Wie kam ich zum Eintritt (1878), wie zum Austritt
aus dem Jefuitenorden (1892)? Die Antwort auf diefe
zwei Fragen bildet den Inhalt des Buches' beftärkt ihn
noch in diefer Vorausfetzung. Tatfächlich aber ift die-
felbe durchaus irrtümlich. Denn die Erzählung der per-
fönlichen Erlebniffe bildet mit Ausnahme derjenigen
j Kapitel, in denen Hoensbroech fich nicht über den
Jefuitenorden verbreiten konnte, wie bei der Schilderung
des Elternhaufes und der Eltern, der erften Erziehung
und des Familienlebens, feiner Gymnafial- und Univer-
fitätszeit (I S. II—59. 245—304) und der Gefchichte feines
Lebens nach erfolgtem Austritt nur bei dem dritten
Buch des zweiten Bandes; Die letzten Jahre im Orden
(II S. 521 — 592), mehr als einen dürftigen Rahmen zu
der grundfätzhehen Kritik des Jefuitenordens. Schon im
III. Kapitel Feldkirch ift das Perfönliche (S. 60—72 und
222—244) nur ein kleiner Bruchteil des Ganzen, der
große Reft aber wird ausgefüllt durch eine eingehende
Schilderung und Beurteilung des jefuitifchen Unterrichtsund
Erziehungsfyftems (S. 73—221). Als Anhang ift dem
erften Band auf S. 305—310 ein fachmännifches Gutachten
von Herrn Profeffor Morgendem über das Jefuitenlatein
beigegeben, das mit dem Refultat fchließt: Das J. ift
nicht fchlechter, aber auch nicht beffer als das Latein
der gleichzeitigen, proteftantifchen Schulmänner und kann
jedenfalls nicht beanfpruchen als ein ciceronifches zugelten.

Der zweite Band fchildert in 4 Büchern Kandidatur
und Noviziat (S. 3—131), das Scholafiikat (S. 132—519),
die letzten Jahre im Orden (S. 521—592) und von damals
bis heute (S. 593—611). Im erften Buch entfallen bloß
je die erften und die letzten 15 Seiten auf perfönliche
Erinnerungen; der große Reft von 100 Seiten handelt
ausfchließlich von der jefuitifchen Askefe und Frömmigkeit
im Allgemeinen. Im zweiten Buch find es vollends
nur 24 Seiten, die von feinen perfönlichen Erlebniffen
reden, die übrigen 364 Seiten find dem Ordensinneren,
der Kritik desfelben, den Mißftänden und der Gefchichte
der Aufhebung des Ordens fowie der Stellung desfelben
zur Wiffenfchaft und der Jefuitenmoral gewidmet. Erft im
dritten und vierten Buch kommt endlich das perfönliche
Moment wieder zu voller Geltung und die find es auch,
die von der Preffe am meiften beachtet worden find.

Wenn aber auch die perfönlichen Erinnerungen
Hoensbroechs nicht einmal ein Drittel feines umfangreichen
Buches ausmachen, fo bilden fie doch das eigentliche
Rückgrat desfelben und finden zweifellos auch bei
den Lefern das meifte Intereffe. Diefe Abfchnitte gehören
zu den Perlen des Werkes. Mit innerer Bewegung,
in einem kraftvollen, männlichen Stile gefchrieben, der
auch vor eigenartigen Wendungen und Wortbildungen
nicht zurückfeheut, laffen fie uns einen tiefen Einblick
tun in die verheerenden Wirkungen, die das Syftem des
Jefuitenordens auf alle feine Schüler und Mitglieder ausübt
und die Bd. II S. 131 kurz und treffend dahin prä-
zifiert werden: ,Aus dem ganzen Menfchen macht die
Ordensaskefe den ganzen Jefuiten'. Befonders intereffant
und wertvoll war es mir, aus fo kundigem Munde beftätigt
zu hören, welche gewaltige Rolle der Teufel und die