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Ausgabe:

1910 Nr. 26

Spalte:

815-816

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhardt

Titel/Untertitel:

Die Christologie des Nestorius. Diss 1910

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 26.

816

treibungen. Die gefchichtliche Beurteilung ift ungefähr
die gleiche, wie fie uns E. v. Dobfchütz, auf den St. oft
Bezug nimmt, in feinem Artikel über ,Sklaverei und
Chriftentum' (R. E.3 XVIII p. 427 ff.) gegeben hat. Den
Satz 1 Cor. 7, 21 will Steinmann freilich in Abweichung
von Dobfchütz u. A. dahin verftehen, daß Paulus den
Sklaven geftatte, eine fich bietende Gelegenheit, frei ge-
laffen zu werden, auch zu benutzen. Der Kontext läßt
diefe Deutung zu, und Verf. hat recht, wenn er folcher
Auslegung die größere Kongenialität mit der fonftigen
Stellungnahme Pauli in folchen Fragen zufchreibt. Die
aktuelle Anwendung auf gegenwärtige Verhältniffe fehlt
dem Schriftchen nicht. Die Stellungnahme des Ur-
chriflentums zur Sklavenfrage ift in der Tat von großer
Bedeutung auch für die Gegenwart: die prinzipielle
Änderung der Gefinnung bahnt auch eine allmählich fich
entwickelnde Befferung der fozialen und wirtfchaftlichen
Verhältniffe von felbft an. Mit unmittelbar aggreffiven,
fei es revolutionären, fei es reformerifchen, politifchen
oder wirtfchaftlichen Beftrebungen zur Änderung der
Weltverhältniffe hat das Chriftentum nichts zu tun.

Wittenburg. Ed. von der Goltz.

Fendt, Kaplan Dr. Leonhardt, Die Chriltologie des Nelto-

rius. Diff. (Straßburg). Kempten, J. Köfel 1910. (VIII,
119 S.) gr. 80 M. 3 —

Von diefer Straßburger theologifchen Doktor-Differ-
tation wird jeder Freund der Dogmengefchichte gern
Kenntnis nehmen. Ihr erfter Abfchnitt, der ,die (dog-
mengefchichtlichen) Vorausfetzungen1 der Lehre des
Neftorius behandelt, kann freilich ohne Schaden beifeit
gelaffen werden; er bringt nur Bekanntes, aber nicht
alles Bekannte, das wichtig ift — von der abendländi-
fchen Chriltologie und vom Sardicenfe (vgl. Abhandlungen
der Berliner Akademie 1909 S. 1 ff.) ift nicht die
Rede —; er verrät auch den Anfanger deutlicher, als
das Buch es fonft tut (doch vgl. S. 28 bei Anm. 5, wo
'ivmßiq rpvar/.rj als eine dem Cyrill fremde Formel behandelt
wird). Übrigens aber gilt das eingangs Gefagte.
Irgendwie bedeutfame neue Erkenntniffe bietet das Büchlein
allerdings nicht; ja an dem Punkte, wo noch zu
arbeiten fein wird, wenn der fyrifch unlängft edierte
Uber Heraclidis des Neftorius (ed. Bedjan) der F orfchung
zugänglicher gemacht ift, bei^ der_ Frage, in welchem
Sinne Neftorius von slq Xoißroq, slq vloq, ev jcQoßco-
jcov redet, vertagt der Verfafler (S. 30ff.): ohne um-
faffendere terminologifche Studien und ohne einen
weiteren Blick kommt man über Unklarheiten und unglaubliche
Konftruktionen nicht hinaus. Doch F. gibt
eine forgfältige und reichhaltige, wenn auch dogmen-
gefchichtlich nicht gerade fcharffichtige, Darfteilung
der Gedanken des Neftorius, die fleißigftes Studium des
von mir gefammelten und von Bethune-Baker u. a. vermehrten
Materials bekundet. Und die beiden folgenden
Kapitel (,die Lehre des Neftorius in der Beurteilung
feiner . . . Gegner' und ,die chriftologifchen Anfchau-
ungen der >Partei< des Neftorius') entbehren, weil fie
neben allbekannten auch feltener behandelte Theologen
zu Wort kommen laffen, des Intereffes nicht, obwohl
fie (zumal das zweite) nicht eben tief eindringen. Vornehmlich
aber ift das erfreulich, was mehrfach fchon
früher und befonders in dem letzten Abfchnitt (,die
Lehre des Neftorius als Härefie') fich zeigt: hier wird
auch ein katholifcher Theologe dem Neftorius gerecht.
Daß dem ,heiligen' Cyrill dennoch Dank votiert und
die Verurteilung des Neftorius in Schutz genommen
wird, ift begreiflich. Aber die Stimmung des Verfaffers
verrät fich deutlicher, als in folchen pflichtmäßigen Ausführungen
, in dem bei einem katholifchen Theologen
auffälligen und daher doppelt intereffanten Satze: ,Man
muß bedauern, daß Neltorius von einem Schreiben an
Leo abfah; die Möglichkeit ift nicht ausgefchloffen, daß

j die offizielle Kirche ihre Stellung zu dem Verurteilten,
feinen Ablichten, Zielen, feinem theologifchen Gefamt-
willen, der Tendenz feiner Eigenftändigkeit geändert
hätte' (S. 109).

Halle a. S. F. Loofs.

Bihl, P. Michael, O. F. M., De stigmatibus S. Francisci
Assisiensis (occasione recentis cuiusdam libri). Ex-
tractum ex Periodico Archivum Franciscanum Histo-
ricum Fase. III. — An. III. Ad Claras Aquas prope
Florentiam (Quaracchi presso Firenze), Typ. Collegii
S. Bonaventurae 1910. (p. 393—432.) gr. 8°

Die Schrift, der Abdruck eines Artikels aus der Zeit-
j fchrift Archivum Franciscanum erinnert mich in Ton und
Gefinnung an das Kapitel aus Scheffels Ekkehard ,Gunzo
I wider Ekkehard'. Der Gegner ift diesmal Dr. Jofeph Merkt,
I bzw. deffen Doktordiffertation über die Wundmale des h.
Franz. Diefer hat die gefchichtlichen Zeugniffe unterfucht
und war darauf hinausgekommen, die Stigmen feien entweder
eine optifche Täufchung der Jünger oder wirkliche
Wunden, die der Heilige in der Ekftafe fich beigebracht
habe, oder fie feien entftanden aus einer Autofuggeftion
des Heiligen. Zu letzterer Hypothefe neigt Merkt. B. vernichtet
den unglücklichen Doktor mit feiner Tübinger
Kritik völlig, indem er ihm Kapitel für Kapitel nachgeht und
ihn widerlegt; nach B. ftimmen alle Zeugniffe vollkommen
überein, und das Wunder ift bewiefen. Wenn Elias erklärt
, ,non diu ante mortem' feien die Wundmale fichtbar
geworden, fo fei das im Sinn des 13. Jahrhunderts das-
felbe wie die 2 Jahre, von denen Thomas redet; wenn
Elias fagt: pnanus ejus et jedes quasi puneturas clavorum
kabuerunf, fo meint Thomas dasfelbe, wenn er fchreibt:
Cernere mirabile erat in medio manuum et pedum ipsius
non clavorum quidem puneturas sed ipsos clavos in eis
impositos. Mit diefer Art von Harmoniftik und Apologetik
ilt natürlich nicht zu ftreiten. Ich glaube immer
noch, daß in der Sache über ein non liquet nicht hinauszukommen
ift, da die Zeugniffe, die wegen der Zeitnähe
allein in Betracht kommen, nicht völlig übereinftimmen,
und das wiegt um fo fchwerer, gerade weil die Differenzen
nebenfächlich find und von Leuten flammten, die
gut gläubig waren und bona fide fchrieben, fo daß man
fieht, ihre Erinnerung und ihr Erlebnis felbft war eben
nicht klar und eindeutig. Weffen übrigens die ,heilig-
mäßigen' Menfchen jener Zeit fähig waren, das zeigt uns
das Beifpiel der Marie von Oignies, die fich in myftifcher
Liebestrunkenheit zu Ehren des Heilands große Stücke
Fleifch mit dem Meffer vom Leib gefchnitten hat (Funk,
Jakob v. V. Titry S. 127), und was die Gläubigen in
lauter Verehrung an Leichenverftümmlung von Heiligen
tun konnten, ohne irgend welche Entrüftung bei den
Zeitgenoffen hervorzurufen, das wiffen wir nicht nur von
den Vorgängen bei der h. Elifabeth, auf die Sabatier
(Vie de S. Francois S. 410) hingewiefen hat.

Stuttgart. Lempp.

Heim, Priv.-Doz. Lic. Dr. Karl, Das Weren der Gnade und
ihr Verhältnis zu den natürlichen Funktionen des Menlchen
bei Alexander Halelius. Leipzig, M. Heinfius Nachf. 1907.
(III, 152 S.) gr. 8° M. 4 —

Das alte Thema ,Ariftoteles und die Scholaftik' be-
l ginnt neuerdings in der dogmengefchichtlichen Forfchung
in eine neue Beleuchtung zu treten und dem entfprechend
auch die Frage nach der Bedeutung des Auguftinismus
I für die mittelalterliche Theologie. Die Neubildungen der
i Scholaftik und das Urteil darüber gewinnen eine in den
Gefamtdarftellungen der Dogmengefchichte nicht klar
genug erkannte Tragweite, und das als altkatholifch
und auguftinifch in der Gnaden- und Sakramentslehre