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Ausgabe: | 1910 Nr. 25 |
Spalte: | 791-792 |
Autor/Hrsg.: | Kappstein, Theodor |
Titel/Untertitel: | Psychologie der Frömmigkeit 1910 |
Rezensent: | Mayer, Emil Walter |
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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 25.
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Lehren, fo könnte es fich von feinem gefchichtlichen
Boden loslöfen; weil es aber ein Leben ift, pflanzt es
fleh fort du vivant au vivant, fo daß es fleh felbft auflichen
Sinne doch ein frommes Gefühl' fei. Aber es wird
hinzugefügt, daß das Gefühl ,felbft unbewußterweife ein
Produkt der Tätigkeit der Vorftellung und des Willens'
geben würde, wenn es fleh von der es tragenden und fei. Eine neuerdings oft — unter anderen auch von
nährenden Wurzel trennen wollte (250— 1). — Indeflen, Pfleiderer — ausgefpielte und als Ausgangspunkt für
wie entfehieden auch B. einen äußeren Bund mit dem weittragende Folgerungen verwendete Thefe! Ihr gegen
Freidenkertum ablehnt, fo nimmt er doch die Möglichkeit
einer collaboration spirituelle (261) an. Wie diefelbe
gemeint ift, in welchem Geifte diefe gegenfeitige Beein
über wäre daran zu erinnern, daß, ihre Richtigkeit zu-
geftanden, es nun doch auch erwiefenermaßen ein fpe-
zififch emotionales Denken gebe, das heißt, daß das Ge-
fluffung und Befruchtung ftatt zu finden hat, lefe man fühl, wie es immer entftanden fei, feinerfeits Vorftellun-
im Buche B.s felbft nach: in feinen Ausfuhrungen paart gen erzeuge, und daß diefe am Ende erft die genuin
fich die Freiheit des Gedankens mit der Wärme des religiöfen. feien.
religiöfen Gefühls zu fchönem erhebendem Bunde. Das Im übrigen fetzt fich das Buch aus einer Reihe fehr
Ergebnis feiner gefamten Darftellung faßt B. in folgende verfchiedener und lofe zufammenhängender Abhandlungen
Worte zufammen: Nous refusons de statuer entre la tra- zufammen: zum Teil aus Gelegenheitsartikeln polemifcher
dition chretienne et les tendances directrices de l'esprit Art zu Gunften eines freien Chriftentums oder allgemein
moderne cette Opposition irreductible qui etait le point de erbaulichen Charakters; zum Teil und vornehmlich aus
depart de la libre-pensee. C'est au contraire dans Pideal hiftorifch-biographifchen Skizzen und Genrebildern, denen
chretien interprete a la lumiere de ces tendances, que tarne die Religionspfychologie noch zu verarbeitendes Roh-
contemporaine nous parait devoir trouver, avec Pequilibre material entnehmen könnte. Es wird hier genügen, die
qui lui est necessaire, la veritable liberte de Pesprit (289). Haupttitel anzuführen: ,Sieben Gleichniffe (der Seelen-
Obgleich Bertrand die franzöfifchen Verhältniffe im j maffeur; die Generalin; MadamePompadour; meinChinefe;
Auge hat und fich mit den Vertretern der in feinem
Vaterlande herrfchenden Richtungen auseinanderfetzt, fo
werden auch andere von ihm lernen können. Infonder-
heit follten diejenigen, die zu Haeckels Welträtfeln, zum
Bekenntniffe fchöner Seelen; die beiden Schweizerinnen;
die Schlipstante). Ein Kanzelkuriofum. Emil Frommel.
Ein Blick in alte Gefangbücher. Berliner Sekten. Eine
Unterhaltung mit dem General der Heilsarmee. Ein
Radikalismus der Bremer, zum Moniftenbund und zu Genie der Menfchenliebe. Die Gefundbeter. Die Kritik
verwandten Erfcheinungen Stellung nehmen wollen, an
B.s Erklärungen nicht vorbeigehen. Auch in unferer
Mitte drängen fich die von dem Franzofen mit Freimut
und Klarheit behandelten Probleme jedem denkenden
Chriften auf. B.s Vorträge liefern wertvolle Beiträge zu
einer Apologie des Chriftentums in großem Stile. Man
wird über einzelnes mit ihm rechten können; zur richtigen
Stellung der Probleme, zur allgemeinen Orientierung in
der Beurteilung der gegnerifchen Mächte, hat er m. E. die
Grundlinien mit fetter glücklicher Hand gezeichnet. Durch
feine konfequente Wertfehätzung des Chriftentums als
geiftiger und zugleich gefchichtlicher Religion hat er
fowohl mit der katholifchen oder katholifierenden Faffung
des Evangeliums gebrochen, als auch den rationaliftifchen
Sauerteig des älteren Liberalismus ausgefchieden. Möge
fein Wort unter feinen Landsleuten nicht nur einen
flüchtigen Erfolg erzielen, fondern eine tiefer gehende
Wirkung hervorbringen und bleibenden Segen ftiften!
Und mögen die von ihm dargelegten und charaktervoll
durchgeführten Prinzipien auch zur Verföhnung der im
Geiftesleben unferes Volks klaffenden Gegenfätze beitragen
!
Straßburg i. E. P. Lobftein.
Kappltein, Theodor, Plychologie der Frömmigkeit. Studien
und Bilder. Leipzig, M. Heinfius Nachf. 1908. (VIII,
242 S.) gr. 8° M. 4.50
Die Anzeige erfcheint etwas fpät. Nicht ganz zufällig
. Eis fragt fich, ob eine Befprechung des Buches
überhaupt in diefer Zeitung angebracht fei. Der Verf.
erklärt ja ausdrücklich: Jede Wiffenfchaft „an fich" oder
„als folche" war mir immer herzlich gleichgültig'. Und
wenn man nun gleich folchem Bekenntnis nicht ohne müffe in perfönlicher religiöfer Erfahrung gegeben fein
einer Diakoniffe. Die Frömmigkeit der Kinder. Der Fromme
und die Natur. Die Frömmigkeit und die Tiere. ETömmig-
keit und Kunft. Der Fromme im öffentlichen Leben.
Pfychopathologifche Frömmigkeit. Welche Religion ich
bekenne (freie Frömmigkeit; ift das Chriftentum liberal?
Der Crucifixus; die Toten und die Lebenden; die Kraft
des Oftergedankens; die fcheintote Jungfrau)'. Diefe Auf-
fchriften kennzeichnen zugleich einigermaßen die Form
der Darftellung, die nicht jedermanns Gefchmack der
Materie angemeffen finden wird.
Straßburg i. E. E. W. Mayer.
Temple, William, The Faith and modern Thought. Six Lec-
tures. London, Macmillan & Co. 1910. (XI, 172 p.)
8° s. 2.6
Der Autor diefer Vorträge ift der Sohn des im Jahre
1902 verdorbenen Dr. Frederick Temple, der feiner Zeit
als Bifchof von London und Erzbifchof von Canterbury
einer der verdienteften und angefehenften Kirchenmänner
Englands war. Der Autor felbft ift F"ellow von Queen's
College in Oxford. Er hat die hier publizierte Serie von
Vorträgen im Jahre 1909 auf Veranftaltung der ,London
Intercollcgiate Christian Unions' in London vor einem
gemifchten Publikum dortiger Studierender gehalten. Die
Vorträge find apologetifcher Art im bellen Sinne des
Worts. Sie find ganz frei von dem Beftreben, die dog-
matifch ausgeprägte kirchliche Überlieferung zu verteidigen
. Der Verf. befchäftigt fich nur mit den religiöfen
Grundanfchauungen des Chriftentums. Er fucht zu zeigen,
daß diefe auch dem modernen Denken zugänglich find
und ihm wahrhafte Befriedigung fchaffen können. Die
Hauptgrundlage der chriftlich-religiöfen Überzeugung
weiteres Glauben fchenken foll, weil der Menfch erfahrungsgemäß
von denjenigen Vorzügen und Fehlern,
die er wirklich hat, nicht leicht redet, fo ift doch nicht
zu leugnen, daß die vorliegende Schrift überhaupt
keine theologifche oder überhaupt wiffenfehaftliche ,an
fich' ift, mögen fich auch mancherlei Kenntniffe darin
ausfprechen.
Höchftens käme noch der erfte Auffatz .Wiffenfchaft
und Kirche' in Betracht. Da wird, wefentlich im
Anfchluß an Ed. v. Hartmann, die Religion nach drei
Seiten charakterifiert: nämlich als Vorftellung, als Gefühl,
als Wille. Allerdings heißt es zugleich, daß fie ,im eigent-
Aber diefe Erfahrung bedürfe doch noch anderweitiger
Unterftützung, um der Skepfis entzogen zu werden. Sie
müffe den Tatfachen in der Welt entfprechen. Aber fo
verhalte es fich auch mit der chriftlich-religiöfen Überzeugung
. Sie fei eine .Hypothefe', die den Tatfachen in
der Welt wirklich gerecht werde. Zuerft ftelle fich uns
das Univerfum als ein rationales Ganzes dar, für das man
eine rechte Erklärung nur finde, wenn man es auf einem
nach Zwecken waltenden Willen beruhend denke. Dazu
komme die Tatfache des Beftehens und der gefchichtlichen
Entwicklung der religiöfen Erkenntnis in der
Menfchheit. Die von den religiöfen Menfchen erfahrene