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Ausgabe:

1910 Nr. 24

Spalte:

745-747

Autor/Hrsg.:

Scher, Addaï (Ed.)

Titel/Untertitel:

Histoire Nestorienne (Chronique de Séert). II. Partie (I) 1910

Rezensent:

Duensing, Hugo

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 24.

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als acht Blätter. Vollftändige umfangreichere Hand- [
fchriften kommen nur in der unterägyptifchen Abteilung J
vor und find regelmäßig jung. Man kann danach be-
meffen, eine wie große Mühe Crum mit der Entzifferung
und Beftimmung eines fo fchlecht erhaltenen und oft
fchwer lesbaren Materials auf fich genommen hat. Übrigens
hat er auch nicht fchlechthin jeden vorhandenen
Fetzen aufgenommen, fondern eine Auswahl getroffen,
,abandoning a considerable quantity of impracticable Material
to a limbo'.

Auf Einzelheiten einzugehen ift hier nicht der Ort.
Erwähnt fei nur das unter Nr. 3 befchriebene und edierte
Fragment einer griechifch-koptifchen Handfchrift des
Hiob (6.I7. Jahrh.P). Es enthält vom griechifchen Texte
Kap. 7,8—Ii zwar ftark verftümmelt, aber doch fo weit J
deutlich, daß man mit Sicherheit erkennen kann, daß die 1
erfte, aber nicht die zweite Hälfte von Vers 8 vorhanden
gewefen ift. Nun ift Vers 8 von Origenes sub astcrisco
hinzugefügt. Alle bisher bekannten griechifchen Hand-
fchriften enthalten den Vers vollftändig, hier haben wir
zum erflen Male einen griechifchen Text, in welchem
wenigftens die zweite Hälfte des Verfes fehlt; diefer Text
fleht alfo dem urfprünglichen Septuagintatexte noch
näher, ift aber doch fchon, wenn auch nur unvollftändig,
aus der Hexapla ergänzt.

Crum hat diesmal im Gegenfatz zu feiner früheren
Praxis auf mehrfach geäußerten Wunfeh, wenn auch ,with
the utmost diffidence', das Alter der Handfchriften be-
ftimmt (in einer befonderen Lifte S. 241—243). Ausführliche
Indices und 12 vorzügliche Tafeln mit 50 Hand-
fchriftenproben fchließen das Werk würdig ab. Die Aus-
ftattung des auf Kotten der verftorbenen Mrs. Rylands
gedruckten Buches ift über alles Lob erhaben.

Göttingen. A. Rahlfs.

Histoire Nestorienne (Chronique de Seen). II. Partie (I).
Texte arabe, public-et traduit par Adda'f Scher. (Pa-
trologia orientalis. Tome VII, fasc. 2.) Paris, Firmin-
Didot & Cie. 1909. (in p.) Lex. 8° fr. 6.65

Hier wird mehr geboten wie eine korrekte Textausgabe
und eine im allgemeinen finngemäße Überfetzung,
nämlich zugleich eine Bearbeitung des mitgeteilten Stoffes.
Denn die zahlreichen Anmerkungen unter der Uber-
fetzung, in denen aus andern Schriftftellern beftätigende
oder widerfprechende Notizen beigebracht werden und
eine aus ausgebreitetem Wiffen genoffene Kritik des
Erzählten vorgenommen wird, darf man wohl fo bezeichnen
. Der Stoff, auf deffen Bearbeitung foviel Mühe verwendet
worden ift, ift nicht ganz wertlos. Freilich fehlt
es nicht an Spreu: ein paar elende Legenden und Wundererzählungen
hat der Chronift der Aufzeichnung für wert
erachtet, manche Anekdote zweifelhaften Wertes erzählt
er, auch bringt er vieles, über das er nur Ungenügendes
vernommen hat; dennoch berichtet er auch einiges, das,
wenigftens folange beffere Quellen nicht bekannt find,
Beachtung verdient. Er erzahlt die Gefchichte der
Ka&oXixoi von Baboi, dem zwanzigften (f ca. 484) an
bis auf Ezechiel, den neuundzwanzigften (f 581), gibt
Notizen über die Perferkönige von Peroz (f 484) bis auf
Hormizdad (579— 590), fowie über die byzantinifchen
Herrfcher von Leo bis Juftin II, wobei und woneben er j
noch allerlei über konftantinopolitanifche Patriarchen
mitteilt. Sein Bericht umfpannt alfo rund ein Jahrhundert,
vom Jahre 484 an beginnend; hie und da greifen feine
Notizen auch noch in jüngere Zeit über.

Der Schreiber (richtiger wohl: die Schreiber) der
Chronik fieht die Dinge vom Standpunkt des Kirchenmannes
aus an, vor allem intereffiert ihn, was in kirchlicher
Beziehung gefchehen ift. Und er fieht die Dinge
als Kind des Volkes; nicht die großen Begebenheiten,
durch die der Fortfehritt in der Gefchichte zu Stande
gekommen ift, bringt er zur Darfteilung, obwohl auch

folches zufällig berührt wird, fondern manches Detail,
an dem das Kind des Volkes feine Freude hat, hält er
feft. Beifpiele: Dem Verfaffer ift es wichtig, daß die
nach dem von Kosro Anufchirwan gegründeten Antiochia
deportierten Griechen die Werblichen Refte diefes Herrfchers
nach Chriflenbrauch ehrten, indem fie fie mit
Weihrauch und Kerzen in den Händen bis zum Beifetzungs-
ort begleiteten. Von Hormizdad berichtet er abgefehen
von deffen Chriftenfreundlichkeit nur, daß Anufchirwan
ihn zu feinem Nachfolger btftimmt hatte, und daß er
nach dem Tode feines Vaters in den ,Perosdegdn' genannten
Tagen in einem Feuertempel zu Gundisapor
gekrönt, fowie daß er von feinen Brüdern geehrt wurde.
Die Quelle des Verfaffers ift mehrfach nach feinem eigenen
Geftändnis das bloße Gerücht, das wird auch fonft vielfach
da die einzige Quelle fein, wo er es nicht ausdrücklich
fagt1. Daß es fo liegt, entfeheidet ja noch nicht
über die Richtigkeit des Erzählten. Aber freilich bedarf
aus diefem Grunde wie auch noch aus anderen alles, was
in diefer Chronik berichtet wird, ftändig fcharfer Kontrolle
. Vieles, fehr vieles muß zurechtgerückt werden
in den Daten, in den Namen und in der Sache felbft.
Der Herausgeber übt folche Kontrolle und übt Kritik
nur, foweit ihm andere abweichende Quellen dazu Ver-
laffung geben, verzichtet dagegen auf eine immanente
Kritik, die durch Widerfprüche in der Erzählung oder
durch offenbare fachliche Irrtümer oder durch Konfulion
und Unklarheit herausgefordert wird. So fagt er z. B.
nichts dazu, daß das S. 169 Überf. Abfatz 2 Berichtete
fich nicht mit dem S. 162/163 Erzählten vereinigen und
S. 167 Abf. 1 am Ende fich fchwerlich mit Nr. XXVIII
S. 164—166 in Einklang bringen läßt. Unter der Vor-
ausfetzung einer eingreifenden Kritik läßt fich aber aus
diefer Kirchenchronik wohl einiges brauchbare Material
in dreierlei Hinficht gewinnen: 1. Manche willkommene
Notiz zur lyrifchen Literaturgefchichte, insbefonoere über
Perfon und Jüngerfchaft manches Literaten läßt fich dem
Werke entnehmen; 2. das Milieu und der Ton in diefer
orientalifchen Kirche treten klar zutage (vgl. als be-
fonders belehrend die Gefchichte der Katlwlici Narfes
und Elifa fowie die des Jofeph), und auf das Verhältnis
der Katholici zu den Perferkönigen fallt hie und da Licht
(vgl. befonders die Gefchichte Mar Aba's des Großen);
3. es finden fich einige, foviel ich weiß, fonft nicht berichtete
, zwar für die Auffaffung des Ganges der Gefchichte
nichts austragende, aber doch charakteriftifche
Einzelheiten.

Für folche, die nur die Überfetzung benutzen werden,
füge ich einige Bemerkungen und Berichtigungen bei.
S. 116 Jean redigea . ... de Commentaires sur le Pen-
tateuque ift ungenau, im Texte fleht nur: ,zu vier Büchern
des Gefetzes'; S. 121 letzte Zeile ,au sens tris grossier',
wörtlicher ,große Konfufion'; S. 122 Z. 8 v. u. fchiebe
hinter de Severe ein et de Jacques; S. 127 Z. 1 ift hinter
Samuel noch ,eine Erklärung zum Königsbuche' einzu-
fchieben; S. 128 Z. 2 v. u. ift hinter un astrologue chretien
einzufchieben ,mit dem er auf vertrautem Fuße ftand';
S. 141 Z. 5 v. ob. und S. 142 Z. 1 la fausse croyance ift
unrichtig; fo predigt ja Jakob, nach dem die Jakobiten
genannt find, die dyophyfitifche Lehre(l); es muß vielmehr
heißen (auf den Text laffe ich mich hier nicht ein)
,die Verderbnis (Verkehrtheit) des Glaubens der Dyo-
phyfiten, des Chalcedonenfe'; S. 142 Z. 6 v. ob. soixante-
treize, der Text hat 93; S. .195 Z. 5 und 6 find mehr
eine Inhaltsangabe wie eine Überfetzung; es muß — mit
eingefchobenen Erklärungen — heißen: ,Chriftus fchlug
ihn mit einem Tränenkatarrh, und gab ihm die Bitterkeit
der Blindheit zu koften. Und er befchimpfte die
Leute nicht (mehr) damit [mit Blindfein] ungefähr zwei

1) Von fchriftlichen Quellen erwähnt er Biographien und die Gefchichte
des Bar Sahde (ca. 735). Letzeres nicht unwichtig, da wir außer
dem Xamen nichts von diefem Autor wußten.

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