Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1910 Nr. 23

Spalte:

723-725

Autor/Hrsg.:

Muckermann, Hermann

Titel/Untertitel:

Grundriß der Biologie oder der Lehre von den Lebenserscheinungen und ihren Ursachen. Erster Teil: Allgemeine Biologie 1910

Rezensent:

Otto, Rudolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

J23 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 23. 724

daß derfelbe Gott fei hüben wie drüben. — FürPhyfiker obwohl durchaus gelehrt und auf flreng fachwiffenfchaft-
aber wird diefe wie jede andere Frage phyfikahfchen licher Grundlage, ift die Darftellung gemeinverftändlich
Welterkennens ja ihr Intereffe haben. Mögen fie fich und anregend. Der gefchickte Apologet des gefchickten
nur dabei immer klar bleiben, daß fie dabei eben in der Ordens vom Fähnlein Jefu verrät fich ein wenig, wenn
Tat Phyfik treiben. Gefpenfter find, wenn überhaupt etwas, wir, was jawohl zur Biologie keinen direkten Bezug hat,
fo phyfikalifche Objekte, nicht aber Objekte der Me- , zu unferer Erbauung, — natürlich ganz nebenbei — von
taphydk oder gar der religiöfen Überzeugungen. Anderer- den verfchiedenen biologifchen Forfchern älterer und
feits hat weder Metaphylik noch religiöfe Überzeugung neuerer Zeiten neben ihren Taten für ihr Fach auch er-
das Recht, in diefe wie in irgend eine andere Befchäftigung fahren, daß fie nach Jerufalem wallfahrteten, Gelübde ab-
der Phyfiker hineinzureden. Warten wir in Geduld ab, legten und hielten, in Marienkapellen beigefetzt wurden,
was bei diefem .Ratfchlagen nach Wahrfcheinlichkeit' Konvertiten, Priefter und Abt waren, an denen doch zu-
(Fries) herauskommen wird. — gleich ,deutfche Treue' und Charakterftärke zu rühmen
In der society for psychical research als folcher war, oder daß fie fich doch wenigftens zumeift ,zum
treibt man nur das Sammeln des einfchläglichen Tat- Offenbarungsglauben bekannten'. Aber andererfeits be-
fachenmateriales und die freie Diskuffion darüber, ver- kommt auch Darwin die offenbar anerkennende Bepflichtet
fich aber nicht zu einer beflimmten Deutung merkung — fogar in Fettdruck,— daß er der erfte gewefen
und Theorie derfelben, weder im fpiritiftifchen noch im ! fei, der den Entwicklungsgedanken ausgiebig begründet
andern Sinne. Merkwürdig ift es immerhin, daß ein habe (was zwar nicht richtig aber liebenswürdig bemerkt
großer Teil der Gefellfchaft, und in ihm find Namen , ift), und daß Ruffel Wallace der Mitentdecker des Prin-
von gutem Klang, zur fpiritiftifchen Deutung neigt oder zipes der natürlichen Auslefe gewefen fei, wird fogar
fie gar mit großer Entfchiedenheit vertritt. Lodge gehört, ,ein Verdienft' genannt.

wie ich zu meiner Überrafchung fehe, zu ihnen. Sein Uber den biologifchen Inhalt felber zu berichten ift
Buch enthält nicht Spekulationen fondern das Material hier nicht der Ort. Als anfchaulicher Leitfaden für ein
zumeift feiner eignen Unterfuchungen und durch Jahre Gebiet, von dem jeder Gebildete einige Kenntnis haben
fortgefetzten Sammlungen. Die Hauptabfchnitte feines follte, ift das Buch gut geeignet, und die befonnene
Buches find erftens Experimente mit Telepathie und Ge- Art, mit der hier auf die verfchiedenen biologifchen
dankenübertragung, fraglos fehr einleuchtend und mit der Richtungen und Hypothefen von heute eingegangen
Sicherheit des im phyfikalifchen Laboratorium gefchulten wird, unterfcheidet das Buch vorteilhaft von dem dog-
Experimentators angeftellt. Dann zweitens Berichte, Er- matifchen Tone mancher von der materialiftifchen oder
lebniffe und Verfuche von fpontaner Telepathie und hylozoiftifchen Seite. Der Standpunkt ift etwa der des
Hellfehen. Und endlich mediales, .automatifches', Schrei- Buches von Waßmann, das hier früher befprochen ift:
ben und Reden in Trance-Zuftänden, mit jenen fonder- gemäßigte Entwicklungslehre, ohne begriff liche Klarbaren
Erweiterungen des Wiffens von Umftänden, von heit über die Idee von Entwicklung und ihr mögliches
denen auch fonft oft genug erzählt wird, aber die feiten Verhältnis zur Erfahrung, und mit einigen Offnungen in
mit folcher Gründlichkeit geprüft und erörtert werden, dem Zufammenhange der Naturkaufalität, gemäßigter
Lodge hat mit jener Mrs. Pipers experimentiert, die auch Vitalismus, mit möglichftem Entgegenkommen gegen
Hyslop, über den Titius früher hier berichtet hat, lieh zur die mechaniftifchen Arbeitsmethoden des phyfiologi-
Verfügunggeftellt hatte. Und hier wäre es nun die Frage, fchen Laboratoriums, ohne eine klare Einficht in das
nicht ob wir es mit Betrug zu tun haben — denn diefe Prinzipielle der Sache und mit einem letzten, möglichft
Frage wäre albern — fondern ob die auffälligen Leiftungen derben Rückgriff auf den Supranaturalismus vulgaris. Wie
fich erklären laffen aus Leiftungen des Unterbewußten, fich diefe Anfchauungen, die letzterzeit, wie es fcheint,
etwa mit Zuziehung der Annahme möglicher Fernwirkung grade unter den Gelehrten des Jefuitenordens mit Vor-
von anderem aber doch ,diesfeitigem'Bewußtfein, oder ob 1 ficht aber kenntlich verlautbaren, vertragen mit der
einzelne Fälle, befonders die der ,cross-examinations' zu , kräftigen Genefisexegefe, die Pius X. durch die Bibelweitergreifenden
Annahmen nötigen, wie Lodge meint. ! kommiffion wieder hat verkünden laffen, ift fraglich.
Um hier zu urteilen, müßte man felber Experimentator (Immerhin haben feine Exegeten ja entdeckt, daß oi">
gewefen fein. — Lodge ftellt noch ein zweites Buch in vielleicht auch Weltperiode geheißen habe. Und daraus
Ausficht über die ,phyfikahfchen Phänomene' diefes Ge- kann man fchon einiges gewinnen. Und andererfeits
bietes, worunter man fich wohl die angebliche oder wirk- leidet es ja keinen Zweifel, daß z. B. das einmalige
liehe Fähigkeit zu unbewußten, über den eigenen Organis- Wunder der Rippe, das auch weiterhin zum Glauben ge-
mus 'hinausgreifenden Willenswirkungen in die phyfika- hört, als Sache der Heilsgefchichte außerhalb der Kom-
lifche Sphäre zu denken hat. petenz der Biologie liegt und eine Frage ift, über die der
Göttingen R Otto. empirifche Forfcher das auch auf unferer Seite fo oft

bewährte und fo einfach zu handhabende ,non UqueP

Muckermann, Hermann ST., Grundriß der Biologie oder ! ausfp^ütii

der Lehre von den Lebenserfcheinungen und ihren zwjfchen organifcher und anorganifcher Chemie preisge-
Urfachen. Erfter Teil: Allgemeine Biologie. Mit geben. Richtig wird das Eigentümliche des Lebens nicht
17 Tafeln und 48 Abbildungen im Text. Freiburg in einem befonderen eigenen Lebensftoffe (.Mythologie
i B Herder iqoq. (XIV, 173 S.) er. 8° des Protoplasma und des lebendigen Eiweißes') gefehen,

L _ eh M a6o u nlcht in einer eigenen .Lebenskraft', fondern in

• 4 » gen- 4- dem Prinzip feiner Formgeftaltung, von dem nun nur geVier
Teile follen noch folgen, die man erft abwarten nauer zu unterfuchen gewefen wäre, ob es grundfätzlich
muß, um einen Gefamteindruck zu haben (,die organi- verfchieden ift von dem Formprinzipe eines jeden andern
fche Welt und das Entwickelungs-Problem' — .Biologie Syftems bewegter Maffen, das, wie etwa unfer Planetender
mehrzelligen Pflanzen' — »Biologie der mehrzelligen fyftem, feine Form erhält und fogar gegen Einflüffe von
Tiere' — .Nervenfyftem und Sinne des Menfchen'). außen relativ behauptet nach einfachen Gefetzen der
Schon dem erften Teile fleht man an, daß es fich um , WechfelWirkung feiner Teile. Vortrefflich find die Kri-
ein ftattliches Werk handeln wird. Die Behandlung tiken der Tropismenlehre und der mechanifchen Er-
ift — für einen Grundriß — gründlich und weit- ; klärungen der Reizwirkungen überhaupt (S. 50, 51),
reichend, die Abbildungen find ganz vortrefflich (mit ' ferner der Kernfegmentierung, der gegenüber in der Tat
vielen, gut gelungenen Originalen). Die fichere Be- i die groben, mechaniftifchen Nachbildungen in Gelatine
herrfchung des Gegenftandes ift über jeden Zweifel und, oder Gummiband und Pappe fich felber zu perfiflieren