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Ausgabe:

1910

Spalte:

717-718

Autor/Hrsg.:

Merkt, Josef

Titel/Untertitel:

Die Wundmale des heiligen Franziskus von Assisi 1910

Rezensent:

Bruckner, Albert

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Seite 1

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ein Werk des 13..Jahrhunderts, als der erße Anfang der 1
elfäffifchen Gefchichtsfchreibung galten, eine Fälfchung
des l8. Jahrhunderts lind. Grandidier, der gefeierte
Straßburger Gefchichtsfchreiber, derfelbe, den Bloch fchon 1
vor Jahren als eifrigen Fabrikanten untergefchobener j
Kaiferurkunden des früheren Mittelalters entlarvt hat, ift
der Fälfcher. Mit der Behutfamkeit, die ein fo fchwerer
Vorwurf erfordert, ift der Beweis geführt, nicht mit von
vornherein ausgefprochener Tendenz, fondern mit Schlüffen,
die der Verfaffcr den Lefer felbft ziehen läßt, bis endlich
der faubere Vogel im Garne fitzt. Dicfes Ergebnis wäre
an fich fchon wichtig genug; aber es ift fchließlich doch
nur der Schlüffel zu den weiteren bedeutfamen Refultaten,
welche Bloch im zweiten Teile feiner Arbeit gewinnt.
Eben jenes Blendwerk des Grandidier hielt man bisher
für eine Quelle der bedeutend umfangreicheren foge-
nannten Marbacher Annalcn, die man demgemäß erft in
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entbanden glaubte.
Erft die Erkenntnis, daß dem nicht fo ift, hat die richtige
Würdigung diefer unfehätzbaren Chronik und ihrer Quellen-
verhältniffe ermöglicht. Aus dem einen Werk fchält Bloch
eine ganze Reihe heute verlorener älterer heraus, die in
ihm wie geologifche Schichten übereinander gelagert find:
als wichtigtlen Beftandteil in Straßburg entftandene, ftaufifch
gefärbte Annalen zur Reichsgefchichte (1015—1200), die
bis 1179 auch aus Straßburger Münfterannalen (feit 1122)
gefchöpft haben; ferner eine auf Grund diefes Werkes und
mit Benutzung anderer im elfäffifchen Klofter Hohenburg
von einem Marbacher Auguftiner im welfifchen Geifte gearbeitete
und bis 1212 geführte Chronik, die dann im
Ciftercienferkloflcr Neuburg bei Hagenau mit Zufätzen
bis 1238 verfehen wurde; endlich die um 1245 gleichfalls
in Neuburg entftandene, von einem kaiferlich Gefinnten
überarbeitete Kopie diefer Redaktion, welche fich, im
Verein mit einem älteren Exemplar der Chronik des Otto
von Freifing, in einer Jenaer Handfchrift erhalten hat. Es
ift hier nicht der Ort, auf Einzelheiten der fcharffinnigen
Unterfuchung, der mehrere Schriftproben und die von
E. Polaczek erläuterten Illuftrationen des Jenaer Kodex
zur Chronik Ottos beigegeben find, näher einzugehen. In
einem oder dem anderen Punkt mag da noch nicht die
volle Wahrheit ermittelt fein. Im Ganzen aber ift dem
Verfaffer die Analyfe der fogenannten Marbacher Annalen

_ mit Recht hat er ihnen den einmal eingebürgerten

Namen gelaffen — und die Rekonftruktion der älteren
Hiftoriographie des Elfaß in glänzender Weife gelungen;
mit ihr gibt er .freudig der Stadt Straßburg und ihrem
Münfter Erfatz für das, was er ihnen durch die Zerftörung
der Awiales Argcntmcnses breves Grandidiers geraubt hat'.

Marburg i. H. Edmund E. Stengel.

Merkt, Dr. Jofef, Die Wundmale des heiligen Franziskus von
AINIi. (Beiträge zur Kulturgefchichte des Mittelalters
und der Renaiffancc. Herausgegeben von W. Goetz.
Heft 5.) Leipzig, B. G. Teubner 1910. (V, 68 S.)
gr. 8° M. 2 —

In Anlehnung an Hampe: Die Wundmale des hl.
Franz von Affifi, Hiß. Zeitschrift 1906 und in gründlicher
Auseinanderfetzung mit der reichen diesbezüglichen
Literatur unterfucht der junge Tübinger Doktorand nochmals
die Frage nach der Stigmatisation des hl. Franz.
Seine Thefe, die fich auf ein eingehendes und befonnenes
Quellenftudium ftützt, geht dahin, daß die Stigmen erft
kurz vor dem Tode des Heiligen aufgetreten und daß
fie zu erklären feien als Analogien zu fchon häufig beobachteten
Hautanomalien bei neuropathetifchen Perfonen.
Die ftrenge Askefe und die beftändige feelifche Vertiefung
in das Leiden Jefu hätten fchließlich bei Franz an den
beftimmten Stellen diefe auffallenden Anomalien hervorgerufen
, die dann fehr rafch von der glühenden Verehrung
feiner Jünger ins Grotesk-Wunderbare feien ge-

fteigert worden. Der Haupt- und Kronzeuge fei Elias von
Cortona, die Augenzeugenfchaft aller andern fei zweifelhaft
, mindeßens hätten alle andern die Stigmen nicht vor
dem Tode Franzens gefehen. Intereffant find namentlich
auch die verfchiedenen anderen Fälle von Stigmatifationen,
die Merkt aus zeitgenöffifchen Quellen anführt (S. I—6),
und die es fehr zweifelhaft erfcheinen laffen, ob Franz
wirklich der erfte Stigmatifierte war.

Bremgarten. Alb. Bruckner.

Schottenloher, Dr. Karl, Kuflos der Kgl. Hof- u. Staats-
bibl. in München, Jakob Ziegler aus Landau an der
Ifar. Ein Gelehrtenleben aus der Zeit des Humanismus
und der Reformation. Mit fechs Federzeichnungen
Martin Richters, des Schreibgehilfen Zieglers. (Refor-
mationsgefchichtliche Studien und Texte. Herausgegeben
von J. Greving. Heft 8.—-10.) Münfter i. W.,
Afchendorff 1910. (XVI, 415 S.) gr. 8° M. 11.25

Eine fchärfere Beleuchtung der Borromäusenzyklika
mit ihrer naiven Gefchichtskenntnis läßt fich kaum denken,
als fie die forgfältige Arbeit Schottenlohers aus den
ungedruckten Schriften des Humaniften Jakob Ziegler
von Landau an der Ifar ungefucht darbietet. Hier
zeichnet ein Mann, der Rom und Italien aus langjähriger
Anfchauung kennt, die Päpfte der Reformationszeit Leo X.
und Clemens VII. famt ihren Kardinälen und dem ganzen
Milieu, welchem fie angehören, als Augen und Öhren-
zeuge. Mag der Haß ihn öfters zu Übertreibung und
leidenfehaftlicher Schärfe fortreißen, im Großen und
Ganzen macht feine Schilderung einen durchaus glaubwürdigen
Eindruck und nimmt mit dem Bild, das andere
Quellen von jenen Päpften und ihrer Umgebung entwerfen
, überein. Auch die Vorkämpfer Roms, ein Eck,
ein Fabri und andere erfcheinen in fehr dülterer Beleuchtung
. Über Ecks Wirtshausleben während feines Aufenthalts
in Rom konnte Ziegler ebenfo gut unterrichtet
fein, wie über Fabris Gebahren in Rom (S. 1851. Wir
fehen auch, daß man in Italien Eck und Fabri der ärgflen
Unfittlichkeit fähig hielt, die fich kaum tatfächlich erweifen
läßt. Man wird in Rom und im Lager derer, welche
die Behauptungen der Enzyklika über die Reformatoren
und die Fürften der Reformation als volle, gut gegründete
Wahrheit preifen, gut tun, erfl einmal den Balken im
eigenen Auge an der Hand der Schriften Zieglers zu
befehen und verftehen zu lernen, warum es zu einer
Reformation kommen mußte, und wie diefe auch für die
römifche Kirche ihre guten Früchte getragen hat. Denn
folche Päpfte wie Alexander VI., Julius II., Leo X., Clemens
VII., folche Kardinäle wie Alidofi — Ziegler nennt
ihn Pifani (S. 197) — Armellini, Cibo, Giberti find heutzutage
nicht mehr möglich.

Ziegler iß kein unbekannter Mann mehr, nachdem
erß Joh. G. Schelhorn feine Historia Clementis VII
herausgegeben, dann Röhrich feinen Zufammenßoß mit
den Straßburger Theologen (Gefch. der Ref. im Elfaß
und bef. in Straßburg II, 88ff), dann S. Günther feine
wiffenfehaftliche Bedeutung in mehreren Schriften behandelt
hat. Sehen wir doch Ziegler auf den verfchie-
denfien Gebieten des Geißeslebens tätig; Theologie und
Philologie, Geographie, Aßronomie und Mathematik.
Gefchichte und Politik befchäftigen ihn und zeigen uns
den kenntnisreichen, tiefgrabenden Mann, den begeißerten
deutfehen Patrioten und den unermüdlichen Welt- und
Kirchenverbefferer, in deffen Zukunftsplänen fich über-
rafchend weitfehauende Gedanken und wunderliche Truggebilde
von Utopien begegnen. Schottenlohers Verdienß
iß, die meiß nur handfehriftlich erhaltenen Schriften
uns ebenfo wie die gedruckten Schriften Zieglers er-
fchloffen zu haben. Zugleich gibt er die von Zie°ders
frater adoptati/s, d. h. Freund und Schreiber Martin