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Ausgabe:

1910 Nr. 22

Spalte:

699-700

Autor/Hrsg.:

Schubert, Ernst

Titel/Untertitel:

Unsere Predigt vom auferstandenen Heiland. Streiflichter und Richtlinien 1910

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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Seite 1

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699 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 22. 700

als Aufbau und Behandlung des kirchlich-dogmatifchen j
Stoffes, intereffiert das Rückfichtnehmen des Verfaffers j
auf römifche und proteftantifche Theologen und Philo- !
fophen. Er nennt ihrer eine große Zahl. Und wenn !
auch mehrere derfelben, wie fchon die fehlerhafte Schreibart
der Namen beweift (Dellbrück S. 8, Quenftet S. 45,
Ritzfehl S. 49 KlöperS. 253, Münfcheyer S. 262), dem Ver-
faffer nur aus zweiter Hand bekannt geworden fein werden,
fo ift doch feine Kenntnis der abendländifchen Theologie |
recht ausgebreitet. Auch gelegentliche Erwähnungen von
Leffing (S. 91), Leibniz (S. 118; S. 38: Leibnitz), Hegel und
Kant (S. 38 Anm.) fehlen nicht. Von einem fachlichen i
Einfluffe proteftantifcher Theologie ift nur in fehr ge- [
ringem Maße zu reden. Größer ift der katholifcher Dog- I
matiker. Doch geht er nicht über das Maß hinaus, das
der Gefchichte der orthodoxen Theologie enfpricht.

Halle a. S. Loofs.

Schubert, Botfchaftspred. Dr. Ernft, Unfere Predigt vom auf-
erltandenen Heiland. Streiflichter und Richtlinien. (Stu- j
dien zur praktifchen Theologie, herausgegeben von
C. Giemen. 4. Band. Heft 1.) Gießen, A. Töpelmann
19IO. (VI, 85 S.) gr. 8° M. 2.40

Das Problem der Ofterverkündigung unter den
fchwierigen Verhältniffen der Gegenwart wird von Schubert
einer gründlichen Unterfuchung unterzogen. Unter Be-
rückfichtigung und teilweifer Anführung der gedruckten
Ofterpredigten von vielen bekannten Predigern unterer
Zeit gewinnt Sch. das Bild von drei verfchiedenen Predigt- j
typen: neben dem traditionellen und dem neuen, bezw.
,modernen' weift er mit Recht auch einen vermittelnden
Typus auf. In dem erften darflellenden Teile (S. 4—39)
werden diefe Typen charakterifiert und mit einer Fülle
von Beifpielen belegt. Sch. zeigt, wie der traditionelle j
Typus der Ofterpredigten die leibhaftige Auferftehung
aus der Schrift, aus der Gefchichte und der perfönlichen 1
Erfahrung zu ,beweifen' und die Zweifel daran zum Teil j
auf unfittliche Motive zurückzuführen, zum Teil milder !
zu beurteilen, die Bedeutung und Notwendigkeit der leibhaftigen
Auferftehung für Chriftus und für uns negativ
und pofitiv aufs ftärkfte zu betonen, fchließlich freilich
doch auch die fubjektive Aneignung des Ofterglaubens
als notwendig zu fordern pflegt. Der vermittelnde Pre- i
digttypus ftimmt ihm zu in dem Rückfchluß vom apo- I
ftolifchen Zeugnis auf die Tatfächlichkeit der leibhaftigen !
Auferftehung, in der Kritik des Zweifels und in der
Geltendmachung von 1 Kor. 15; aber er unterfcheidet |
fleh von dem alten Typus, indem er das perfönliche |
Oftererlebnis grundfätzlich voranftellt und von der Herr- j
lichkeit des Erdenwirkens Jefu zum Glauben an den 1
leibhaftig Auferftandenen zu führen fucht. Endlich wird
der moderne Predigttypus veranfehaulicht in feiner negativen
und pofitiven Stellung zu den biblifchen Ofter-
erzählungen und in feiner Eigenart, den Ofterglauben als
perfönliches Erlebnis, den Weg zum Ofterglauben und
feine Bedeutung für die alterten Chriften und für uns
zum Verftändnis zu bringen. In einem zweiten kritifchen
Teile (S. 40—78) werden dann zunächft der alte und
der vermittelnde Typus mit einander verglichen und ihre
Unterfchiede in bezug auf die Schrift, das Wunder, die
Tatfache und die Bedeutung der Auferftehung in das
Licht der konfervativen Theologie gerückt, und dabei
wird zwifchen diefer Theologie und dem traditionellen
Predigttypus eine Reihe von auffallenden Differenzen |
feftgeftellt. Sodann wird der moderne Predigttypus mit
den beiden andern Typen verglichen, und die vorhandenen
Unterfchiede bezüglich der Art und der Bedeutung
der Auferftehung werden theologifch und religiös gewürdigt
. Eine zufammenfaffende Kritik und eine prak-
tifch-theologifche Anleitung bilden den Schluß.

Der Verfaffer, feinerfeits ein befonnener Vertreter

des neuen Predigttypus, hat fleh durch die ebenfo fachliche
wie gründliche Schrift ein großes Verdienft erworben
. Möchten doch alle, die als Prediger am Ofterfeft
aufzutreten haben, feine Darlegungen würdigen und mit
gleicher Wahrhaftigkeit, Befonnenheit und Liebe fleh das
Ziel ftecken, möglichft die ganze Gemeinde zu erbauen
und in Inhalt und Form das darzubieten, was für unfer
Gefchlecht verfländlich und notwendig ift! Schubert
weift überzeugend nach, daß es bei der Ofterpredigt
keineswegs bloß zwei Standpunkte — einen ,pofitiven'
und einen .negativen' — gibt, fondern daß mindeftens
noch ein dritter vermittelnder vorhanden ift, der einen
wefentlichen Teil der liberalen Pofltion fleh aneignet.
Eigentlich aber wird es durch Schuberts Büchlein deutlich
, daß auch die Vertreter jedes einzelnen Typus unter
fleh nicht völlig gleichartig find, fondern daß verfchie-
dene Gefichtspunkte hinüber und herüber fpielen. Neben
den Extremen, die in ihren Urteilen oder doch in ihren
Ausdrücken gegenüber den Andersgefinnten von rück-
fichtslofer Schärfe find, gibt es manche andere, die bei
aller Offenheit und Entfchiedenheit der eignen An-
fchauung doch auch für die andere Auffaffung Verftändnis
haben, befonders unter den Vertretern der zweiten und
dritten Gruppe, z. B. Hering, Reifchle, Herrmann, Häring,
Loofs, Haupt, Benz u. a. m. Schubert zeigt, wie die
ftreitbaren Rufer der alten Predigtweife durch die Theologie
ihrer eignen Richtung eigentlich fich müßten zur
Vorficht mahnen laffen. Er weift darauf hin, wie die
fympathifche Stellung der Mittelgruppe religiös wertvoll,
aber theologifch nicht einheitlich fei. Er warnt die Vertreter
des neuen Typus fowohl vor der unnötigen Schroffheit
, die eigne Stellung in der Predigt ausdrücklich als
die allein mögliche zu proklamieren, als auch vor der
Verfluchung, durch allgemeine und ausgleichende Wendungen
ihre wirkliche Überzeugung zu verhüllen und
unverftändlich zu machen. Allen aber gibt er den gewiß
notwendigen und beherzigenswerten Rat, die allen ge-
meinfame Überzeugung, daß Jefus nicht dem Tode verfallen
ift, fondern in Gott lebt und herrfcht, nicht bloß
am Ofterfeft zur Geltung zu bringen und fo zu ifolieren,
fondern zum Grundton ihrer getarnten Predigttätigkeit
zu machen. Auch der Wink, ftatt der Oftererzählungen
lieber Ofterworte zum Texte zu wählen, ilt gewiß in
vielen Fällen angebracht.

Der von Schubert nüchtern und klar dargelegte
Tatbeftand, wie er in der Gegenwart vorliegt, ift zweifellos
fchmerzlich und peinlich, und die Aufgabe, heutzutage
eine wirkfame Ofterpredigt zu halten, ift wahrlich
nicht leicht. Und doch ift keine Urfache, zu verzweifeln.
Man hüte fich nur vor Phrafen und bloßen Opportunitäts-
Kompromiffen. Man verleugne nie die einfache Wahrhaftigkeit
, das Gewiffen und die Überzeugung. Aber anderer-
feits vergegenwärtige man fich in paftoraler Weisheit
und Liebe den wirklichen Stand der Gemeinde, auch
den Standpunkt der Suchenden, Irregeleiteten, Gleichgültigen
und Gegner. Man denke an die exegetifchen,
hiftorifchen und dogmatifchen Gefichtspunkte, die hüben
und drüben geltend gemacht werden. Man halte fleh
vor allem an das, was in der Perfon Jefu felbft als fieg-
reiche Kraft ewigen Lebens offenbar, verftändlich und zugänglich
ift. Und fo fuche man zugleich durch gründliche
theologifche Arbeit und warme religiöfe Empfänglichkeit
fleh immer aufs neue zu bereiten zur Predigt vom auferftandenen
Heiland. Die Schwierigkeiten, die uns zurzeit
drücken, können und werden überwunden werden.
Als eine wertvolle Anleitung auf diefem Wege fei Schuberts
Arbeit auf das herzlichfte empfohlen.

Frankfurt a. M. D. Borne mann.