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Ausgabe:

1910 Nr. 22

Spalte:

698-699

Autor/Hrsg.:

Androutsos, Chrestos

Titel/Untertitel:

Dogmatike tes orthodoxou anatolikes ekklesias 1910

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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697 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 22. 698

der Natur, und darum werde dem Theologen das Wunder |
gerade in der angedeuteten Hinficht zum Problem (S. 12).
Daß vielfach eine ablehnende Stellung zum Wunder
eingenommen werde, liegt für den Verf. darin begründet,
daß der bisherige Begriff des Wunders, wie er von den
Zeiten der Scholaflik und des Altproteftantismus her
bis heute nachwirkt, eine Durchbrechung der Naturge-
fetze bedeute (S. 17). Um diefe Schwierigkeit zu heben,
gilt es eine neue Anfchauung vom Wunder zu gewinnen
(S. 24). Darum wirft er die Frage auf: ,worin denn ein
Wunder beffeht, wenn nicht in der Durchbrechung der
unverbrüchlichen Naturgefetze' (S. 24). Die Naturwiffen-
fchaft, die zu Gefetzen führt, kommt über einen bloßen
Mechanismus der Natur nicht hinaus zur Erkenntnis ihres
inneren Organismus. Sie ordnet und zergliedert. Die j
Elemente felber, ihrem Wefen nach, ebenfo ihr Neuein- (
treten in gefetzliche Punktionen und neue Beziehungen,
bleiben jener bloß Gefetze erkennenden Tätigkeit ver- j
borgen: Es bleibt Raum für ein Eingreifen auf Grund
menfchlicher oder göttlicher Freiheit. In diefem Sinne
will Beth dem Wunder Raum und Recht gegenüber der
Naturwiffenfchaft verfchaffen: Zum Begriff des Wunders
gehört nicht mehr eine /Verletzung von Naturgefetzen',
fondern ,die Regelung des Verlaufes und des Eintretens
von Naturprozeffen' (S. 29).

Die folgende Befprechung der religiöfen Seite des !
Wunderproblems ffellt die teleologifche Beziehung der
gefamten Naturwelt auf den .einheitlichen Heilszweck'
(S. 40) feft. Gottes Wunderwirken in diefer Welt ift kein j
willkürliches: ,fo werden wir in dem die ganze Welt
umfaffenden Gefetze des Gottesreiches die oberfte Norm
erkennen, an der gemeinfam das regelmäßige Natur-
gefchehen und die Wunder gemeffen werden follen'(S. 43.
44). Letztere .verkünden die Ewigkeit und Unerfchütter-
lichkeit des göttlichen Heilsplanes' (S. 44). Für Beth
liegt darum der Zweck des Wunders ,nur in einer För- 1
derung des Gottesreiches' (S. 44). Er lehnt ausdrücklich
die Bedeutung des Wunders als glaubenerweckend oder I
,um die Menfchen erftmals zu Gott zu führen' ab.

Verfaffer hat in vorliegender Schrift über Gebühr j
die naturwiffenfchaftliche Seite des Wunderproblems her - i
vorgehoben und behandelt. Es hat aber zweifellos noch
eine andere, mindeffens ebenfo wichtige und für den
Theologen gleich-prinzipielle Seite, eine hiflorifche. Auf i
diefe läßt fich Verf. gar nicht ein. Und doch wird ja |
gerade dashervorgehobene.Naturwunder'derAuferftehung
Jefu wefentlich kompliziert durch den Einfchlag hifto-
rifcher PTageftellungen. Im N.T. flehen Wunderberichte,
z. B. daß der Auferftandene den Jüngern erfchienen iff;
ebenfo haben wir Zeugniffe religiöfen Lebens, Wundererlebens
, aus allen Zeiten. Kann das, was uns da berichtet
wird, als glaubwürdig geprüft werden und wie?
Können wir die Wahrheit der in den Zeugniffen behaupteten
wunderbaren Berührung der Seelen mit Gott feft-
ffellen, oder ift das — Illufion?

Man kann ferner fragen, ob den Verf. nicht eine allzugroße
Rückfichtnahme auf jene natürliche Seite des
Problems von einer Erfaffung und Darfteilung der charak-
teriftifchen Eigentümlichkeit des Wunders felbft abgeführt
hat. Es handelt fich unterer Meinung nach gar nicht in
erfter Linie beim Wunder um einen Vorgang, den man
irgendwie natürlich rechtfertigen kann. Das Wunder ift
vielmehr die Wirkung einer Erfcheinung, fei fie natürlich
oder nicht, innerhalb des persönlichen Eigenlebens. Man
konftatiert draußen keine Wunder, fondern man erlebt
und tut Wunder. Ihr Dafeinsrecht liegt in der Sphäre
des fittlichen, religiöfen Lebens. Wenn man bei Erörterungen
über das Wunderproblem nicht hier einfetzt,
kann man Gefahr laufen, Mirakel zu fuchen oder gar zu
rechtfertigen. Wir möchten auch nicht in erfter Linie
das Naturhafte an der Auferftehung Jefu als Wunderproblem
anfaffen, fondern vielmehr die Wirkung der
Erfcheinung des Auferftandenen, Lebendigen, Erhöhten

im Leben der Jünger. Wir können auch erft auf Grund
unferes Wundererlebens der Gegenwart mit dem Wunder,
das dorten die Jünger erlebt haben, etwas anfangen.
Liegen fo die Wunder in der Sphäre des eigentlich-fitt-
lichen Lebens, fo haben fie mit natürlicher Feftftellungs-
weife und Rechtfertigung nichts mehr zu tun. Diefe
würden ihre Eigenart beeinträchtigen. Ferner geht uns
das naturerhabene, höhere Leben überhaupt erft auf an
einem grundlegenden Erlebnis, das wir als ein fittliches
befchreiben müffen d. h. aber im Gegenfatz zu Beth: Das
Wunder ift glaubenbegründend. Die Ausfage frommen
Erlebens wird uns das nur beftätigen.

Eberftadt b. Darmftadt. W. Vollrath.

Androutsos,Chrestos, AoynaxiY.ii xT^g ÖQ&odö^ov &va-
xohYi'j^ eYYJ.rjaiaq. Athen, xv7toyna<püov rov ,Koa-
xovg' 1907. (19 u. 462 p.) gr. 8° M. 3 —

Der Verfaffer, damals Profeffor an der theologifchen
Schule in Chalki, jetzt in Athen, hat vor neun Jahren
eine Symbolik hxöyemq 6q&oö6$,ov erfcheinen laffen
(UvftßoXixrj rjxoiEx{reOig xcov öoyuaxixcöv öia<poocöv Jtaomv
xcov ixxlrjOimv, Athen), die der Symbolik gute Dienfte
leiften kann, obwohl fie nicht die einzige griechifch-
orthodoxe Symbolik ift (vgl. diefe Zeitung 1885, Sp. 235(1.,
1902, Sp. 24 ff, 1905, Sp. 433 f.). Denn während die an
den angegebenen Orten angezeigte Symbolik von Meffo-
loras nur mit der orthodoxen Kirche fich befaßt, bemüht
fich Androutsos, ebenfo wie das in meiner Symbolik
§ 15, 3 erwähnte Buch von Karydes, um die vergleichende
Symbolik. Eine nur mit feiner Kirche fich
befchäftigende Ergänzung legt Androutsos nun in diefer
orthodoxen Dogmatik vor. Auch fie ift kein Unikum.
Denn feit einigen Jahren hat auch die griechifch-ortho-
doxe Kirche, die ihre Dogmatiker bis dahin nur in der
Vergangenheit hatte, im 18. Jahrhundert (vgl. meine Symbolik
§ 26, 6; Ph. Meyer erwähnt in diefer Zeitung 190S,
Sp. 654 auch eine 1865 in Berlin erfchienene kurze Dogmatik
von Damalus), an der dogmatifchen Arbeit fich zu
beteiligen begonnen (vgl. über Bd. I der Dogmatik des
Zekos Rhoßis Jahrgang 1905 diefer Zeitung, Sp. 434 t.
und 1906, Sp. 511 ff.). Allein die umfangreiche Arbeit
von Rhoßis ift noch unvollendet. Hier liegt eine voll-
ftändige, hinreichend eingehende und doch nicht volu-
minöfe, für die Theologie-Studierenden der orthodoxen
Kirche berechnete neue orthodoxe Dogmatik aus hel-
lenifcher Feder vor. Daß die Neuheit des Buches
irgendwie auf die Auffaffung des Dogmas einwirke, wird
niemand von einem ,orthodoxen' Theologen erwarten;
und der Verfaffer will korrekt .orthodox' fein: x«ra xo
OqÖoÖoS,ov jcvevua (Vorrede p. {) will er auch da ent-
fcheiden, wo — und das ift bei der orthodoxen Dogmatik
oft der Fall — eine kirchliche Entfcheidung nicht
j vorliegt. Der Verfaffer ift, foviel ich beurteilen kann,
I diefem feinem Vorfatze auch durchaus gerecht geworden!
j Materiell lehrt alfo das Buch nichts neues über die Lehre
der orthodoxen Kirche. Aber zunächft ift es intereffant
zu fehen, wie Verfaffer die Dogmatik aufbaut und behandelt
. Das Werk Chrifti wird nach den Lehren von
Gott, der Vorfehung, der Welt und der Perfon Chrifti
nach dem Amterfchema befprochen; dann folgt in dem
Abfchnitt über die Heilsaneignung erft das Kapitel über
, die Gnade, in dem auch die ötxaicoOig ihre Stelle hat, danach
die Lehre von der Kirche und die von den Myfterien
[ Im einzelnen bemüht fich der Verfaffer, eine gedankliche
; Verbindung herzuftellen. Alle Spekulation aber vermeidet
er, obwohl er natürlich als .orthodoxer' Theologe
über den xoouoq voEoöq ebenfo ficher handelt wie über
; diefe Welt und das (mit der Tradition dichotomifch aufgefaßte
) Wefen des Menfchen. Auch rationale Begründungen
treten ftark zurück; Verfaffer ift des fupranatu-
; ralen Charakters des Dogmas fich bewußt. Noch mehr