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Ausgabe:

1910 Nr. 22

Spalte:

696-698

Autor/Hrsg.:

Beth, Karl

Titel/Untertitel:

Das Wunder. Prinzipielle Erörterung des Problems 1910

Rezensent:

Vollrath, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 22.

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faffend dargeftellt, und fich natürlich nicht auf die
Glaubenslehre befchränkt; alles Wefentliche, was Schi,
irgendwo in den uns vorliegenden Schriften zum Thema
getagt hat, fcheint mir verwertet; befonders ift auch die
Dialektik gebührend herangezogen. Wir begegnen fo
den bekannten Formeln, daß in der Philofophie und
der Dogmatik nicht diefelben Sätze vorkommen dürften,
und wenn doch, daß ihr Inhalt hier und dort verfchieden
fein müffe, und wiederum, daß jene beiden höchften
Funktionen des menfchlichen Geiftes, Religion und Spe-

Hilbert, Paft. Gerhard, Chriltentum und Wilfenfchaft. Sechs
Vorträge. Zweite vielfach verbefferte Auflage. Leipzig
, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung 1909. (III, 176 S.)
gr. 8° M. 2—; geb. M. 3—

Hilbert hat feine fechs apologetifchen Vorträge in
zweiter, vielfach verbefferter Auflage herausgegeben.
Durch die Neubearbeitung ift der urfprüngliche Rahmen
gefprengt und die Vortragsform nur noch an einzelnen
Stellen erhalten geblieben. An wiffenfchaftlichem Wert

kulation, in Harmonie fein müßten; der Verzicht auf find die beiden Hälften des Buches fich ziemlich un-
fpekulative Methode wird als grundlegende Tat der | gleich. In den erften drei Vorträgen wird im allge-
Schl.fchen Glaubenslehre gewürdigt, und die Bedingungen j meinen recht glücklich der Nachweis geführt, daß der
des ewigen Vertrags, den Sch. zwifchen dem Glauben und [ chriftliche Gottesglaube fich mit der modernen Kosmodem
Welterkennen haften wollte, werden umfchrieben —
alles fachlich völlig zutreffend, nur erwartet man manchmal
, daß aus der Darfteilung mehr Kritik herauswüchfe,
gefragt würde, ob Schl.s Formeln einheitlich find. Ob
Schl.s chriftologifche Sätze mit feinen wiffenfchaftlichen
Prinzipien übereinftimmen, diefe Frage ift klar gehellt
und wird dahin beantwortet, daß hier zwar eine Kraftprobe
erften Ranges vorliege, aber die Prinzipien feien
elaftifch genug, jene Sätze gerade noch durchzulaffen.
Jener allgemeinen Frage, ob Schl.s Stellung zum Problem
: ,Religion und Wiffenfchaft' einheitlich ift, auch
wenn man fich nur an die Ausfagen aus den 20er Jahren
hält, ift Scholz nicht ebenfo energifch nachgegangen.
Ich meine: Schi, hat das Problem fchärfer gefühlt,

logie, Biologie und Pfychologie nicht nur verträgt, daß
vielmehr durch diefe Wiffenfchaften die Annahme einer
fchöpferifchen tranfzendenten Intelligenz geradezu gefordert
wird. Im Gegenfatz zu dem pfychophyfifchen Parallelismus
vertritt Hilbert die gegenfeitige Wechfelwirkung
zwifchen Phyfifchem und Pfychifchem und überträgt diefe
Theorie von dem Mikrokosmus auf den Makrokosmus,
womit er fich die Möglichkeit des Wunders offen hält.
Schließt er auch an manchen Punkten aus den Ergebniffen
der Naturwiffenfchaft etwas zu rafch auf die unfichtbare
Welt mit ihren geiftigen Kräften, die ihm im Glauben gewiß
ift, ohne die Tatfachen ganz zu würdigen, die feiner
Glaubensüberzeugung entgegenftehen, fo kann man doch
kaum einen feiner Schlüffe als unberechtigt und unhalt-

klarer herausgearbeitet und mehr zu feiner Löfung bei- ! bar bezeichnen. Dagegen beobachtet er in den Vorgetragen
als andere Theologen feiner Zeit; das bleibt i trägen über die Perfon, das Werk und die Auferftehung
wertvoll genug, auch wenn wir feine eigenen letzten | Jefu Chrifti ein völlig unkritifches Verfahren. Er rückt
Antworten nicht konfequent finden werden. Überdies das vierte Evangelium mit den fynoptifchen in eine
ift zuzugeben, daß die vorliegende Arbeit, wenn fie ein- j Reihe und konfluiert auf Grund diefer Quellenfchriften,
gehendere Kritik unternommen hätte, erheblich über ohne irgend welche Wertunterfchiede zwifchen ihnen
ihren jetzigen Rahmen hinausgewachfen wäre. ; zu konftatieren, ein Bild der Perfon Chrifti, das fich den

Anders als der Verf. urteile ich über den pantheifti- ; Gefetzen der Pfychologie nicht fügt und daher einen
fchen Schein der Glaubenslehre. Während die Leugnung 1 recht unlebendigen Eindruck macht. Über das Werk
der abfoluten Wunder der Religion nicht verderblich zu Chrifti ftellt er warmherzige und geiftreiche Reflexionen
werden braucht, falls nur überhaupt religiöfe und wiffen- J an, die darauf hinauskommen, daß der Schwerpunkt
fchaftliche Weltbetrachtung zu Recht nebeneinander be- feiner Wirkfamkeit in feinem Tode liegen foll, durch
flehen, ift alles, was wirklich einigermaßen den Namen j den er nicht nur die Menfchen umgeftimmt, fondern vor
Pantheismus verdient, der Religion in der Tat Verderb- I allem mit der Übernahme der den Sündern gebührenden
lieh. So würde ich einige pantheifierende Formeln Schl.s j Strafe in vollem Sinne (nicht bloß als Strafexempel) der
entfehieden ablehnen. Der äußere Supranaturalismus, i Gerechtigkeit Gottes Genüge getan habe. So gewiß
dem Schi, durch diefe Formel entgehen wollte, ift gewiß j hinter diefen Gedankengängen religiöfe Erfahrungen
wiffenfehaftlich unerträglich, aber der Satz, daß die Ab- I liegen, deren Ernft und Tiefe niemand verkennen wird,
hängigkeit der Dinge von Gott mit ihrer Bedingtheit I fo wenig dürfen fie Anfpruch auf wiffenfehaftliche Evi-
durch den Naturverlauf zufammenfalle, ift mindeftens ; denz machen. Dasfelbe gilt von der Behandlung der
irreführend, wirklicher Pantheismus ift religiös unerträg- | Auferftehung Jefu Chrifti; hier wird das hiftorifche Prolich
; mit jgeiftigem Chriftentum' ift nicht, wie der Verf.
meint, notwendig pantheiftifcher Schein verbunden, fondern
das Eingeftändnis von Schranken unferes Denkens,
von religiöfen Antinomien.

blem ebenfo leicht genommen wie das metaphyfifche
und daher eine Löfung geboten, die niemanden befriedigen
kann, der die vorhandenen Schwierigkeiten kennt.
Diefe Mängel find darauf zurückzuführen, daß der Ver-

Auf weitere Einzelheiten eingehen möchte ich nicht, faffer zwifchen wiffenfehaftlicher und religiöfer Gedanken-
S. 188 Z. 3 lies wohl derfelben ft. desfelben. Ein Bei- bildung nicht zu unterfcheiden vermag, fondern beides
fpiel der vielen treffenden fpeziellen Bemerkungen: S. 191 auf eine Fläche ftellt. Als finnftörender Druckfehler fei

,die Abfolutheit des Chriftentums ift der Schlüffel zum
Verftändnis der Schi.fchen Chriftologie'. Nimmt man
mit dem oben über die Wichtigkeit des Themas, die
Sorgfalt der Unterfuchung, die Richtigkeit der Grundgedanken
Gefagten zufammen, daß die Arbeit in ungemein
klarer, kräftiger Sprache gefchrieben ift, ihr fchlechthin
nichts vom mühevollen Differtationen-Stil anhaftet, fo
muß man fie als einen der wertvollften neueren Beiträge
zur Schleiermacher-Forfchung anfehen.

Halle a. S. H. Mulert.

angemerkt S. 59 .aftronomifche' (ftatt ,anatomifche') Kenntnis
des Gehirns.

Osnabrück. Rolffs.

Beth, Prof. Lic. Dr. Karl, Das Wunder. Prinzipielle Erörterung
des Problems. 4. Taufend. (Biblifche Zeit-
und Streitfragen. IV. Serie. 5. Heft.) Gr. Lichterfelde-
Berlin, E. Runge 1908. (48 S.) gr. 8° M. —50

Verfaffer ftellt den notwendigen Zufammenhang von
,Wunder und Religion' feft. Die daraus fich ergebende
Frage nach der Möglichkeit des Wunders ift für ihn in
hervorragendem Maße die nach der Möglichkeit des
.Naturwunders'. Denn das Wunder der Auferftehung Jefu
als das .objektiv verbürgende Fundament' alles chrift-
lichen Glaubens (S. Ii) liege ficherlich in der Sphäre