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Ausgabe:

1910 Nr. 22

Spalte:

683-684

Autor/Hrsg.:

Möhring, Paul

Titel/Untertitel:

Die Sittenlehre Jesu. Ihre leitenden Gesichtspunkte und religiösen Grundlagen 1910

Rezensent:

Ehrhardt, Eugen

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Seite 1

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683 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 22. 684

politifche Zufland für die Frommen!' find kaum wiffen-
fchaftlich. III 7, wo die mifchnifche Brachylogie dringend
eine Erklärung erfordert, lautet die Anmerkung: ,Die
Sprache der Mifchna ift charakterifiert durch lakonifche
Kürze, die das Verftändnis oft erfchwert und Ergänzungen
fordert'. Uas ift alles! — Zu einem im Texte angeführten
Faktum lautet S. 15 die Anmerkung: ,Man fieht, daß der
Inhalt der Mifchna durchaus nicht reine Theorie ift'! Und
die Verwendung des üblichen griechifchen Lehnwortes
SOp1~:S {xav6ox£lov = Herberge, Kretfcham, noch heut:
Funduke, fondaco) i(t ihm ein Beweis für die ,hellenifti-
fche Kultur'(!) in Paläftina. — Ich muß darauf verzichten,
die vielen fonftigen Anftöße, die ich beim Duchblättern
der 25'/j Überfetzungsfeiten fand, zu notieren, und erwähne
nur noch die mehrfach an den Haaren herbeigezogenen
neuteftamentlichen Parallelen, z. B. zu den
Worten I3 (,Krönungs , Geburts-, Todestag der Könige'):
Jefus fpricht auch von Königen, Matth. 11, 8' — Plomer,
Shakefpeare und taufend andere freilich auch! — Wenn
bei Theologen und Nichttheologen gemäß dem Zwecke
der Sammlung Intereffe und Verftändnis für Milchnah
und Talmud erweckt werden foll, dann darf ficher nicht
fo gearbeitet werden, wie in den Heften 1—4; hoffentlich
nehmen fich die Bearbeiter der Hefte 6ff. (Sanhedrin,
Megillah, Pefachim, Nedarim) vielmehr das Heft 5 Beers
zum Mufter!

Leipzig. Erich Bifchoff.

Möhring, Archidiak. Paul, Die Sittenlehre Jefu. Ihre leitenden
Gefichtspunkte und religiöfen Grundlagen.
Leipzig, E. Ungleich (1910). (112 S.) gr. 8° M. 1.50

Nach einem kurzem Einleitungswort über die bisherigen
Darltellungen der Sittenlehre Jefu gibt der Ver-
faffer zuerft eine Überficht über die ethifeben Lehren
der fynoptifchen Evangelien. Er geht aus von dem
Doppelgebot der Gottes- und Nächftenliebe und behandelt
demgemäß zuerft die individuelle, dann die
foziale Ethik. Der zweite Teil der Schrift, S. 73 ff, ift
der Unterfuchung der religiöfen Grundlagen der Ethik
Jefu gewidmet, er handelt von der Gottesanfchauung
Jefu, von feiner Perfon, feinem Meffiastum, feinem Erlöfer-
werk und fchließlich vom Reiche Gottes, mit fortwährender
Befchränkung auf die Synoptiker. Diefe Be-
fchränkung ift an und für fich fehr angemeffen; vom
Standpunkt des Verfjffers aus erklärt fie fich nur fehr
unvollkommen. Er fcheint an der Gefchichtlichkeit der
johanneifchen Darfteilung feilzuhalten, ja diefelbe als
eine Ergänzung der Synoptiker, nicht ihrer Abficht aber
doch ihrem tatfächlichen Beftande nach zu halten; unter
diefer Vorausfetzung, die Rezenfent wohlverftanden nicht
teilt, enthält die Bemerkung, ,daß die Betrachtung des
Herrenbildes und der Herrenworte im Johannesevangelium
wieder andere Reflexe darbietet, weil darin mehr
die Wefensbefchaffenheit Jefu zum Ausdruck kommt,
die fich in der fynoptifchen Darfteilung nicht in gleicher
Weife ausprägt' (S. 8), keinen Grund zur Ausfchaltung
des vierten Evangeliums aus der Zahl der zu benutzenden
Quellen, eher das Gegenteil.

Von einer kritifchen Prüfung der in den Synoptikern
überlieferten Herrenworte wird fozufagen völlig abge-
fehen, ebenfo von einer Darftellung des hiftorifchen
Hintergrundes der Lehre Jefu und von einer Prüfung
ihres Verhältniffes zur zeitgenöffifchen Ethik des Judentums
. Die fchwierigen Probleme, die fich an den escha-
tologifchen Charakter der Predigt Jefu knüpfen, die Frage
nach der Realität und dem Sinne feines Meffiasbewußt-
feins und andere mehr find, im hiftorifch-kritifchen Sinne,
für den Verfaffer nicht vorhanden. Im Anfchluß an
einige zerftreute Worte Jefu, namentlich an Mc. 10, 45;
Mt. 20, 28 wird eine ausführliche Theorie über die Bedeutung
des Todes Jefu entwickelt, allerdings mit dem

Zugeftändnis (S. 93), ,daß die Ausprägung diefes Lehrbegriffs
: warum Gott Menfch wurde? oder worin die
„saiisfac/io" (Genugtuung) zuftandekam? einen breiteren
Raum in den anderen Schriften des Neuen Teftaments
als in den Evangelien einnimmt'. Der Dogmatiker tritt
hier fall völlig an die Stelle des Hiftorikers. Die Worte
Mt. 26, 28 gelten dem Verfaffer ohne weiteres als Worte
Jefu (S. 96), ebenfo unbefangen wird die fpätere Kirchenlehre
vom Sinne des Abendmahls Jefu zugefchrieben.
Der Begriff des Reiches Gottes wird ftark fpiritualifiert und
verflüchtigt. Wir fehen von anderen Bemerkungen ähnlicher
Art ab. Aus dem Gefagten geht zur Genüge
hervor, daß wir es hier mit einer wesentlich erbaulich-
apologetifchen Darftellung der Sittenlehre Jefu zu tun
haben. Diefelbe ift in mancher Hinficht recht brauchbar,
in hiftorifch-kritifcher Beziehung genügt fie auch den
befcheidenften Anfprüchen nicht.

Paris. Fug. Ehrhardt.

Hieronymi, Sancti Evsebii, epistvlae. Pars L epistvlae
I—LXX. Recensvit Isidorvs Hilberg. (Corpvs scrip-
torvm ecclesiasticorvm latinorvm. Editvm consilio et
impensis Academiae Litterarvm Caesareae Vindo-
bonensis. Vol. LIV.) Vindobonae, F. Tempsky. —
Lipsiae, G. Freytag MDCCCCX. (VI, 708 p.) gr. 8°

M. 22.50

Mit diefem Bande erfcheint der erfte Teil der Werke
des Hieronymus im Wiener Corpus. Er ift von Profeffor
Hilberg in Czernowitz bearbeitet und enthält von der

I Brieffammlung die erften 70 Briefe des Kirchenvaters in
derfelben Anordnung wie bei Vallarfi. Hilberg hat wie

! Vallarfi auch die Briefe des Damafus und Auguftin an
Hieronymus in die Brieffammlung aufgenommen, und
nur in 2 Fällen fich eine Abweichung erlaubt, indem er
den Brief 18 der Vallarfifchen Ausgabe, der an Damafus
gerichtet ift, in 2 Briefe, Brief 18A und 18B zerlegte
und die beiden Briefe des Hieronymus an Pammachius,
die fich auf feine Streitfchrift gegen Jovinian beziehen,
umnumeriert hat, fo daß ep. 48 der Hilbergfchen
Ausgabe mit ep. 49 der Vallarfifchen und ep. 49 der
Hilbergfchen mit ep. 48 der Vallarfifchen identilch ift.
Diefem Bande ift nur eine ganz kurze Vorrede beigegeben
, Indices und Prolegomena follen erft dem letzten
Bande der Briefe angefügt werden. Nach der Vorrede
foll der zweite Band der Brieffammlung, der die Briefe
71 bis 120 enthält, 1911, der dritte und letzte Band, der

! die noch übrigen Briefe enthält, 1913 herausgegeben

' werden. Bis dahin werden wir mit einem abfchlicßenden
Urteil warten müffen. So viel aber läßt fich fchon jetzt
auf Grund des erften Bandes fagen, daß die Ausgabe

der Hieronymus-Briefe von Hilberg zu den beften und
überfichtlichften Werken des Wiener Corpus gehört.
Hilberg hat bei der Feftftellung des Textes nur feiten
zu Konjekturen greifen müffen, da ihm für die einzelnen
Briefe eine reiche handfchriftliche Überlieferung zu Gebote
Stand; dennoch weicht fein Text fehr Stark von
der Vallarfifchen Ausgabe ab, da er fowohl früher noch
nicht benutzte Handlchriften heranziehen konnte, als
auch mit feinem Takt und mit einem den früheren Herausgebern
weit überlegenen Scharffinn unter den überlieferten
Lesarten die vermutlich urfprünglichfte ausgewählt
hat. Hilberg fand nicht einen Codex, der fämt-

j liehe Briefe des Hieronymus enthielt, einzelne Codices

j enthielten eine größere Zahl ausgewählter Briefe, andere
wieder nur fehr wenige. Die älteften Codices, in denen

j fich Exzerpte aus den Briefen des Hieronymus finden,

: gehen bis ins 6. Jahrhundert zurück, ihr Wert wird aber
durch die Willkür der Abfchreiber fehr vermindert. Es

i findet fich auch kaum eine Handfchrift, die keine Interpolationen
enthielte, gerade in den älteften treffen wir
auf interpolierte und fehr verdorbene Stellen. Auch ift