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Ausgabe:

1910 Nr. 21

Spalte:

661-665

Autor/Hrsg.:

Drews, Paul

Titel/Untertitel:

Entsprach das Staatskirchentum dem Ideale Luthers? 1910

Rezensent:

Köhler, Walther

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66i Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 21. 662

arbeit find noch viel Lücken auszufüllen; V. L. v. Secken- fprechend wirken. Diefe Wirkfamkeit freilich erftxeckt
dorfs historia Lutlicranismi muß für diefe Periode j fich durch die ganze äußere Chriflenheit, aber das
immer noch benutzt werden. Dann erft ließe fich fo innere Recht dazu hat die übrigkeit ,nicht als Gliedmaß
manche Frage löfen, die durch diefe Schriftflücke ange- der äußeren Chriflenheit, fondern als echtes treues Glied
fchnitten wird (vgl. Leipziger Entwurf und Regensburger : des Körpers Chrifti, der wahren Gemeinde Chrifti' (S. 18).
Buch); dann erft würden fie überhaupt recht gewürdigt Daß Luther von der Obrigkeit fo denken konnte, war
werden können (vgl. den Reformentwurf Albrechts v. nicht ,eine ungeheure Naivität', erklärt fich vielmehr aus
Mainz). | der ganzen bewegten Situation, Luther hoffte damals und

Mit zu dem Intereffanteften gehört, was im Anhang konnte von der übrigkeit hoffen. Er will ,nichts anderes
über einen vom Klofter Fulda 1779 ausgehenden Re- ! als eine freie deutfehe Nationalkirche', ift dabei freilich
Unionsentwurf berichtet wird. Vielleicht gelingt es der j nicht immer konfequent (wenn er z. B. die Appellations-
hiftorifchen Forfchung doch, die Ausdehnung und , inftanz des Paplles bedingt anerkennt) und in den kirch-
Tätigkeit diefer geheimen Gefellfchaft noch mehr auf- liehen Verfaflüngsfragen nicht immer klar. Deutlich
zuheilen. Während nach den Ausführungen Cardauns I heraus tritt das Pfarramt auf Grund der Gemeindewahl,
ja die Stellung des päpftlichen Hofes offen vor Augen und im Großen und Ganzen — fo formuliert Drews
liegt, läßt fich noch gar nichts fagen über die Aufnahme, treffend — denkt Luther hier ,die äußere Chriflenheit
welche der Plan bei evangelifchen Theologen gefunden hat. : als die der innerlichen Chriftenheit entfprechende Form'.

Alfeld bei Hersbruck. Schornbaum.

Ungemein idealiflifch, ,wenig weltkundig' gedacht! Die
Hoffnung trog und ,daß fein Wort völlig wirkungslos
verhallte, das war eine große Enttäufchung, ein tiefer
Drews, Prof. D.Paul, Entfprach das Staatskirchentum dem Schmerz<: jUnd diefer Schmerz entlädt Cich in Grimm

Ideale Luthers? (Ergänzungsheft zur Zeitfchnft für und unbändigem Zorn', vgl. die Schrift ,von weltlicher
Theologie und Kirche, herausgegeben von W. Herr- Obrigkeit' 1523. ,Seit jener Zeit wird Luthers Herz die
mann und M. Rade.) Tübingen, J. C. B. Mohr 1908. j Bitterkeit gegen die Fürften überhaupt nicht wieder los'.

(IV 104 S1 8° M 2_ ! ^s Kehrfeite des Idealismus ergibt fich jetzt ein tiefer

' ' ^ i Peffimismus. ,Seit jener Zeit bohrt fich bei ihm der Ge-

Länger darf ich mit der Anzeige diefer Drewsfchen danke ein: Welt bleibt Welt, fie ift nicht nach dem Evan-
Schrift nicht warten, obwohl noch ausführliche Außerun- gelium zu regieren, fie läßt fich nicht verchrifllichen, und
gen zur Frage von K. Müller und Tröltfch1 zu erwarten , dazu der andere: der wahren Chriften werden immer
und. Das Problem ift gegenwärtig in den Vordergrund i wenige fein und bleiben'. Statt der großen, chriftlichen
des Intereffes der Lutherforfchung gerückt, nicht zum I Welt in Deutfchland wird Gott die Seinen im kleinen
wenigften hat Barges Karlftadt-Monographie dazu beige- , Kreife fammeln, m. a. W.: ,das Gemeindeideal tritt
tragen. Referent hatte, bevor die Frage aktuell wurde, jetzt bei Luther in den Vordergrund'. Hier allein find
in einer kritifchenUnterfuchung derGießener Habilitations- , dje .wahrhaft Frommen'zu finden, denen Aktivität in der
fchrift von J. Friedrich über die Homberger Kirchenord- ; Chriflenheit zufleht, ihr Kreis ift jetzt nur ein reduzierter
nung (Deutfehe Ztfchr. f. Kirchenrecht Bd. 16, fodann geworden. Das neueKirchenwefen entwickelt fich jetzt von
Chrifti. Welt 1907) fie fkizziert— mehr war für meine ; unten her, nicht mehr von oben, die berufenen früheren
Zwecke nicht erforderlich — und war nicht wenig über- j Kreife haben ja vertagt! Luther hat die Gedanken der
rafcht, auf einmal in den Strudel der Debatte hineinge- Prager Gemeinde in der Schrift: de instihtendis jniiiisins
riffeo, fogar von Hermelink (in: Zeitfchr. für K.G. 1908) ; ecelesiae 1523 vorgetragen, und ,fein Optimismus fah bereits
nicht gar fanft angegriffen zu werden. Drews betont, ganze Parochialgemeinden als wahrhaft chrfftliche Gemein-
daß feine Gedanken über Luthers Gemeindeideal .lange 1 den an, in denen die wahre Kirche nach apollohfcher Ord-
feftftanden', ehe die Diskuffion darüber rege wurde, nung in die Erfcheinung trat' (S.39f.). Beweis: die Leisniger
Das ift richtig, Drews und ich haben in Gießen in Kaftenordnung, die Drews einer genauen, fehr wertmündlichem
Austaufche unabhängig von einander in der vollen Analyfe unterzieht (vgl. z. B. auch S. 42 Anm.
Grundanfchauung uns zufammengefunden. Der Vorzug dje wichtigen Bemerkungen zur Datierung), fie ilt klaffi-
der Drewsfchen Schrift befteht in einer neuen, wirklich ! fcnes Beifpiel für die Gedanken Luthers von der Idealeingehenden
Unterfuchung, fie liefert eine Fülle anre- j gemeinde. Sie ift eine bewußt chriftliche Gemeinde,
gender Gefichtspunkte. Ich gebe zuerft ein kurzes | dje fich felbft ohne Eingriff der Obrigkeit neugeftaltet,
Referat: ,ja Luther veröffentlicht diefe Ordnung, ohne dem Kur-

Wie Rieker fetzt Drews bei Luthers Schrift ,an den fürften davon Kenntnis zu geben'. In Wittenberg bemüht
chriftlichen Adel' ein, helft aber nicht (fo Rieker) ohne ! fich Luther durch Glaubensexamen, Sonderftellung der
weiteres in ihr Luthers Ideal, fondern (ucht die Schrift Kommunikanten u. a. ,die Sonderung zwifchen den echten
wirklich hiftorifch zu verliehen. ,Es ift für Luther nicht und den Scheinchriflen herbeizuführen'. Aber es fchei-
einfach felbftverftändlich, daß die Fürften kirchliche Re- j tern auch diefe Erwartungen und Hoffnungen Luthers,
form treiben; es ift dies ein zweiter Schritt auf der von trotzdem er fich bis zum Äußerften dagegen fperrte und
ihm befchrittenen Bahn, zur Reform der Kirche aufzu- ; fQ lange wje möglich fein Gemeindeideal feilzuhalten
rufen' (S. 5). Wenn Luther in der Schrift an den Adel ! fuchte (vgl. feine .deutfehe Meffe', deren berühmte Stelle
auch der weltlichen Obrigkeit, den Purften ufw. das Drews fehr fein analyfiert, vor allem richtig abgrenzt
Prieflertum zufpricht, fo nimmt er fie als wahrhaft glau- gegen den täuferifchen Gedanken der Gemeinde der
big an, und nur weil fie innerlich chnfihch ift, deshalb Heiligen). Er hatte fein volles Hoffen auf die Kirchen-
hat die Obrigkeit überhaupt das Recht zu Reformen vifitation gefetzt, aber gerade fie enttäufchte bitter. Da-
(S. 9), nicht etwa hat Jede äußerlich chriftliche Obng- mjt verliert fein Ideal an praktifchem Wert, weil
keit als folche die kirchliche Reglerungsgewalt'. Wenn ! es undurchführbar ift, preisgegeben als Ideal hat er
Luther vom .Körper der Chriflenheit' in der Schrift an es nicht. Drews wirft nun die Frage auf: wie verträgt
den Adel redet, io denkt er an die .innere Chriflenheit', f,ch. diefes Gemeindeideal Luthers mit feinem Kirchen-
die .innerliche Gemeinfchaft der rechten Frommen', und ; begriff? und betont im Gegenfatz zu Rieker: gerade
nur weil fie .wirkliche Chriften' find, können Fürften und , VOn Luthers Auffaffung von der unfichtbar-fichtbaren
Herren Mitglieder des chriftlichen Körpers fein und ent- Kirche aus wird fein Wunfeh erft recht verftändlich, daß

, 1 hch „freiverbundene Genoffenfchaften" der Gläubigen bil-

I) Das Buch von K. Müller ift inzwilchen erfclnenen, konnte aber d möchten' Fs ift ein Wnnfrh aehlieKr.^ - u *•
von mir nicht mehr benutzt werden. Tröltfch's Äußerung ift im Arch.v "^"f ^S = fln Wurden geblieben, er hat

fto somlwiflenfchaft 2u erwarten; dortfelbft (Bd. 29, s. 1 ff.) fchon jetzt 1 n,cnt von fich aus diefe neuen Gemeinden zu fchaffen
wertvollfte Gefichtspunkte. I und zu organifieren gefucht (Beweis: feine Ablehnung