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Ausgabe:

1910 Nr. 21

Spalte:

652-653

Autor/Hrsg.:

Wiener, Harold M.

Titel/Untertitel:

Essays in Pentateuchal Criticism 1910

Rezensent:

Steuernagel, Carl

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651 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 21. 652

Kern, daß Samuel wirklich in Mispa mit den Gefchlechts-
häuptern Israels eine Verfammlung hielt, in welcher die
Frage des Königtums befprochen wurde, vgl. S. 132,
einer geficherten Grundlage zu entbehren; weder machen
die politifchen Verhältniffe der Richterzeit eine derartige
Verfammlung verftändlich, noch wäre die Rolle, die Samuel
damals gefpielt, mit dem, was wir über ihn aus
den älteren Quellen wiffen, recht vereinbar, noch wäre
eine derartige Zufammenkunft bei der damaligen politifchen
Lage klug gewefen, noch bedürfen wir fchließlich
einer derartigen Annahme, um die Entftehung des Königtums
wirklich zu begreifen. Ebenfowenig vermag ich
in der jüngern Erzählung über die Entftehung des Königtums
mit K. den Kern darin zu fehen, daß Samuel in
der Tat zunächft ,feine Bedenken äußerte, ehe er zur
Herftellung der königlichen Gewalt feine Zunimmung
gab'. War denn Samuel nach dem geficherten Ergebnis
unterer Quellen überhaupt in einer folchen Stellung, daß
feine Zuftimmung von entfcheidender Bedeutung war?
Mir will es Rheinen, als ob bei diefer von K. gegebenen
Formulierung des hiftorifchen Kerns doch die Anfchau-
ung von dem ,Richter' Samuel nachwirkt, die K. als
unhiftorifch anerkennt. M. E. ift K. auch in bezug auf
die religiöfe Wertung Samuels über das hinausgegangen,
was fich auf Grund unferes Quellenbefundes mit einiger
Sicherheit behaupten läßt. Wohl wird K. darin Recht
haben, daß unter Samuel und feinem Einfluß augen-
fcheinlich die Verbindung des altisraelitifchen Sehertums
und des Israel neuen Nabiismus erfolgt ift, aber davon
kann fchwerlich die Rede fein, daß er diefe Bewegung
fo im Prinzip zu dem gemacht hat, was fie fpäter geworden
ift. Zum Teil hängt die Überfchätzung Samuels
mit der Unterfchätzung der Lade für die religiöfe Entwicklung
Israels zufammen, ganz abgefehen davon, daß
der Zufammenhang Samuels mit der Lade von Silo doch
recht zweifelhaft ift. Auch bei der Zeichnung der reli-
giöfen Perfönlichkeit Davids würde Ref. die Farben etwas
anders verteilen. So richtig die Behauptung ift, daß auch
David ftarkcn Tribut an die Volksreligion entrichtet und
dem Terafimkultus nicht gewehrt oder zu fteuern vermocht
hat, S. 269, fo zweifelhaft icheint dem Ref. die
andere, S. 244 f., daß er hervorragenden Anteil an dem Zurückdrängender
im Prinzip antiisraelitifchen Bewegung zum
Baalsdienfte hin gehabt hat; weder 1. Sam. 26, 19, noch
auch Davids Anknüpfung an das alte Wüftenheiligtum
kann das wirklich begründen. Ebenfo wenig vermag
ich dem zuzuftimmen, daß grade in Juda ein ftarker
Hort der Überlieferungen Israels aus der Zeit der Wanderung
war und daß darum Debora in ihrem Liede Juda,
obwohl es bei Seite fleht, fchont (S. 123); die Rekabiten
find dafür um fo weniger ein Beweis, als Judas Kern
nicht in dem Midbar Jehuda bezw. Negeb, fondern in
Bethlehem bezw. Hebron faß, alfo in einem Lande, das
durchaus zum Ackerbau geeignet war, fo daß Juda,
feitdem es das Land befaß, zum Ackerbau übergegangen
ift, vgl. S. 691. mit S. 123. Bei der Zeichnung des Ein-
fluffes, den die Anfiedlung Israels auf dem Boden
Kanaans ausgeübt, S. 112 f. fcheint mir K. ein Stadium der
Entwicklung nicht fcharf genug herausgehoben zu haben.
Man wird ihm nur zuftimmen können, wenn er darlegt,
wie die Ba ale mit dem Lande und feinen Stätten und
Gaben und damit auch mit dem Landbau aufs engfte
zufammenhängen, wie daher auch die kanaaneifche
Götterverehrung aufs engfte mit dem Landbau ver-
wachfen fei. Und es fei im Grunde nichts natürlicher
, als daß die Volksreligion mit dem Lande und
der Art feiner Bebauung auch die Verehrung derWefen
übernahm, denen die Bewohner des Landes feine Segnungen
verdankten. Wenn er aber in demfelben Atem
fortfährt: Jahve und Baal fließen ineinander, Jahve wird
fcheinbar zum Baal', fo ift diefer Schluß offenbar ein zu
fchneller, der ein fpäteres Stadium der Entwicklung vorausnimmt
. Das Nächfteift vielmehr dies, daß man neben

Jahve, dem Volksgott und dem Herren der Wüfte.
die Baale, in deren Land man jetzt lebte, verehrte; das
war um fo begreiflicher, als die Anfchauung, daß Jahve
auch nach dem Abzug Israels auf dem Sinai wohnt und
von Se'ir her feinem bedrängten Volke zu Hilfe zieht, fleh
noch in der Richterzeit nachweifen läßt, nicht minder der
andere, daß auch der Israelit, der in das Gebiet eines andern
Gottes übertritt, diefem zu huldigen hat, 1. Sam. 26, 19.
Erft mit der Auffaugung der Kanaaniter, durch die die
Israeliten zu eigentlichen Herren des Landes werden,
wird Paläftina Jahves Haus und Jahve zum Befitzer, d. i.
Baal des Landes. Jene Darlegung K.s S. 113 gibt mir
auch Veranlaffung, noch auf einen letzten Punkt auf-
merkfam zu machen: K. fpricht nicht ohne Abficht
S. 113 von der ,Volksreligion', für die Jahve zum
Baal werde. Er unterfcheidet von ihr die offizielle
Religion, deren Vertreter die leitenden Perfönlichkeiten
waren, fo die der drei erden Könige und des Samuel
S. 268, doch treffe eine derartige Unterfcheidung für
das Nordreich bis zum Schluß der 9. Jahrh.s nicht zu
S. 269. So zutreffend K.s Behauptung ift, daß es nicht
mehr angehe, die niedere Volksreligion kurzweg für die
Religion Israels auszugeben, fo wenig vermag ich ihm in
diefer Scheidung zwifchen Nord- und Südreich und fpe-
ziell in der flarken Bevorzugung Judas im Gegenfatz zu
Israel zuzudimmen: Perfönlichkeiten wie die des Elias
und der an ihn (ich anfchließenden Männer, die nicht
ohne Vorgänger find, zeigen, daß eine derartige Scheidung
kaum zutreffend id. Doch genug der Bedenken
und Fragezeichen, die nur zeigen follen, mit welchem
Intereffe der Ref. von der Arbeit des Verf.s Kenntnis

I genommen hat. Wer die Schwierigkeit der Probleme
kennt, um die es fich handelt, wird es für felbftver-
dändlich halten, daß völlige Übereinflimmung des Urteils
, auch von denfelben kritifchen Vorausfetzungen
aus, nicht zu erzielen id. Ref. kann nur wünfehen, daß
der erde Band uns nicht zu lange vorenthalten werde,

| und daß es dem Verf. noch gegeben fei, zu der Ge-
fchichte Israels als dritten Band die jüdifche Gefchichte
zu fchreiben, er könnte uns durch das Labyrinth der auch
hier vorliegenden Schwierigkeiten und Probleme mit feiner
Befonnenheit und feiner alle einfehlägigen Faktoren be-
rückfichtigenden Sorgfalt der rechte Führer fein.

Straßburg i. E. W. Nowack.

Wiener, Harold M., Essays in Pentateuchal Criticism. London
, E. Stock 1910. (XIV, 239 p.) gr. 8° s. 3.6

Der Verfaffer bekämpft die Graf-Wellhaufenfche
Hypothefe und allgemeiner die neuere Urkundenhypo-
thefe, indem er fpeziell an die Ausführungen von Car-

I penter und Harford-Battersby, The Hexateuch, Oxford
1900, anknüpft. Sein Buch umfaßt 6 Kapitel; von diefen
waren 5 bereits in der Bibliotheca Sacra 1908 und 1909
erfchienen, als fechftes ift eine Kritik der drei erften
Kapitel von Wellhaufens Prolegomena hinzugekommen.
Im erften Kapitel fucht er den Nachweis zu führen, daß
die Gottesnamen des MT nicht fo ficher feftftehen, daß
fie den Leitfaden für die Quellenfcheidung bilden könnten,

I wie denn überhaupt die Pentateuchkritik den Problemen
der Textgefchichte zu wenig Rechnung trage; manche
Schwierigkeiten wären durch Textkritik beffer zu löfen.
In den folgenden Kapiteln behandelt er eine größere
Anzahl von Einzelpunkten, in denen die Quellen angeb-

j lieh differieren, bei denen der Verf. jedoch bei wiffen-

I fchaftlich forgfältiger Erörterung des Tatbeftandes wirkliche
Differenzen, die zur Annahme mehrerer Quellen

| nötigen, nicht zugeben kann. Dabei ift der Verf. keineswegs
ein Gegner der Kritik überhaupt (cf. befonders
S. 171 ff.). Seine Ausführungen verdienen im allgemeinen
auch das Lob der Sorgfalt, und in manchen Beziehungen
wird man fich durch feine Kritik gern zur Vorficht