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Ausgabe:

1910

Spalte:

649-652

Autor/Hrsg.:

Kittel, Rudolf

Titel/Untertitel:

Geschichte des Volkes Israel. 2. Bd. Das Volk in Kanaan. 2., vollst. neubearb. Aufl 1910

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

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Rechabiten (S. 299 fr.), die ihren Stammgott mit dem
Jahwe von Jerufalem identifizierten und dabei die .Neigung
' hatten, ihn ,als einzig anzufeilen' (S. 302) —
ein Wandlungsprozeß, den ich mit fonft vom Verf. aus-
gefprochener Beurteilung der Stammesreligionen nicht
zu vereinbaren vermag. Den Rechabiten wird ungefähr
zugefprochen, was nach der Tradition den judäifchen
und israelitifchen Volläufern der Schriftpropheten zufällt
(vgl. auch S. 590). Durch diefe Darfteilung fcheint
der behauptete babylonifche Urfprung der Propheten-
religion nicht unwesentlich reduziert zu werden; aber
wir follen wohl auch bei den Rechabiten babylonifche
Einflüffe wirkfam denken.

Die auf babylonifche Weltanfchauung bafierte Lehre
von der Gefetzmäßigkeit des Kosmos als den Kern der
Prophetenpredigt bringt der Verf. dadurch zur Geltung,
daß er zweifelhafte Stellen, die jedenfalls nur eine epi-
fodifche Bedeutung haben, zum Ausgangspunkt nimmt.
Hier und ebenfo in der Darftellung der altteftamentlichen
Literatur rächt fich denn doch die Verachtung der Arbeit
der Theologen an dem Verf. durch Oberflächlichkeit
feiner eigenen Kritik. Hyperkritifche Urteile ftehen neben
ganz unkritifchen. Aber in feiner von den herrfchenden
Anfchauungen abweichenden literaturgefchichtlichen Darftellung
findet fich doch einzelnes beachtenswerte, beruhend
auf der Vergleichung anderer Literaturentwickelungen
, der ägyptifchen und babylonifchen. So finde
ich' richtige Momente in dem, was über die Anfänge
>t» der Spruch- und Pfalmendichtung gefagt wird (S. 602 ff.
644 ff.).

Der fchon über das Gewöhnliche in Anfpruch genommene
Raum geblattet mir nicht, weiter auf die
Behandlung des Alten Teftaments einzugehen. Es kam
mir darauf an, das am meiften Eigenartige an diefem
jedenfalls gedankenreichen Buche hervorzuheben, die
gegen die Raffentheorie gerichtete Streichung des Semitismus
aus der Kulturgefchichte der Menfchheit. Die
Einzelheiten, die ich beanftande, habe ich aus einer
großen Menge ähnlicher Art ausgewählt, um dem Kundigen
verftändlich zu machen, daß der den Verf. leitende
Gedanke an vielen Punkten nicht durchgeführt ift mit
einem durch Sachkenntnis erworbenen Apparat oder
mit gewiffenhafter Benützung fachmännifcher Arbeit,
daß der Darfteilung vielfach eine auf Beherrfchung des
Stoffes bafierte Reife und Ruhe des Urteils fehlt und
willkürliche Einfälle Lücken des Erforfchten und Gewußten
ausfüllen. Im dem leitenden Gedanken ftellt
der Verf. einer Übertreibung der Raffentheorie eine
andere Übertreibung gegenüber. Gewiß ift das heutige
Judentum, deffen Art der Verf. zum Schluffe zu charak-
terifieren und daraus die zukünftige Aufgabe feiner Angehörigen
zu beftimmen verbucht, großenteils ein Produkt
feiner Gefchichte; dasfelbe gilt annähernd auch
fchon von den altteftamentlichen Judäern. Aber darin
wird dem Verf. nicht recht zu geben fein, daß wir die
Väter des jüdifchen Volkes als gänzlich von dem fpätern
Judentum, auch dem altteftamentlichen, verfchieden vorzu-
ftellen hätten, daß die .raffereinen' Semiten des Altertums
den Germanen unterer Urzeit viel näher geftanden
hätten als den Juden des Altertums und der Gegenwart
(S. 660) und daß nur durch eine Abzweigung vom Babylonismus
die befondere Art der altteftamentlichen Judaer
aus jenem Urfemitismus hervorgegangen fei.

Berlin. Wolf Baudiffin.

Kittel, Prof. Rudolf, Gelchichte des Volkes Israel. 2.Band,
Das Volk in Kanaan. Quellenkunde und Gefchichte
der Zeit bis zum babylonifchen Exil. Zweite vollftändig
neubearbeitete Auflage. (Handbücher der alten Gefchichte
. I. Serie. Dritte Abteilung.) Gotha, F. A.
Perthes 1909. (XVI, 589 S.) gr. 8» M. 12 —

Die Vorrede Kittels zum zweiten Bande der ,Gefchichte

der Hebräer' ift im Mai 1892, die zum zweiten Bande der
,Gefchichte des Volkes Israel' im Juni 1909 gefchrieben.
Dazwifchen liegen 17 für die israelitifche Gefchichts-
forfchung überaus bedeutungsvolle Jahre, denn wir find
heute nicht nur genauer über die Gefchichte der in das
Leben Israels eingreifenden Affyrer orientiert, auch der
Boden, auf dem Israels Gefchichte fich abgefpielt, hat
zu fprechen begonnen. Dazu kommt die eindringende
Arbeit der beiden letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete
der altteftamentlichen Literatur, denn feit diefer Zeit find
nicht nur die beiden großen Kommentarwerke von Marti und
mir, fondern auch zahlreiche exegetifche Monographien
und wertvolle hiftorifche Unterfuchungen erfchienen.
So begreift es fich, daß K., zu einer völligen Neubearbeitung
diefes zweiten Bandes gekommen ift, was fich
fchon äußerlich dadurch kundgibt, daß der Umfang von
344 auf 589 Seiten angewachfen ift. In erfter Linie ver-
fucht es natürlich K. uns ein Bild der politifchen Entwicklung
Israels, der hier wirkenden Kräfte und vor

j allem der fich geltend machenden Perfönlichkeiten zu
zeichnen, aber daneben hat er es nicht unterlaffen, in
viel eindringenderer Weife, als das im erften Bande ge-
fchehen ift und zum Teil auch möglich war, die Kultur
und Religion Israels darzuftellen. Das tritt nicht nur
in dem Abfchnitt über die Kultur und Religion der
Richterzeit S. 102—124 (1. Aufl. S. 82—90), fonders be-

j fonders in den Paragraphen 24—27 über die erfte Königszeit
S. 240—277 (1. Aufl. S. 169—176) und über die Zeit
nach Salomo § 42—44 S. 383—432 (1. Aufl. S. 252—259)
hervor. In einer Beilage S. 559 ff. erörtert K. eingehend
das Verhältnis des Berichts des Sanherib über feinen
Zug nach Paläftina zu den biblifchen Berichten in 2 Reg.
18, 13—19, 37 und das der letzteren zu einander. Dankenswert
ift auch das diefer Neubearbeitung beigefügte
Stellen Verzeichnis.

Zeigt die Darftellung auch nicht Jene plaftifche
Kraft und künftlerifche Geftaltungsfähigkeit, die wir an
Wellhaufens Gefchichte Israels bewundern, fo kann ihr
doch das Lob nicht vorenthalten werden, daß fie klar
und lebendig und von religiöfer Wärme durchdrungen
ift; namentlich in der Darfteilung der großen religiöfen
Perfönlichkeiten empfindet man etwas von der Begeifterung
und Liebe, mit der fich der Verf. in fie verfenkt und fie
uns näher zu bringen verfucht hat. Wie die andern
Arbeiten Kittels, fo zeichnet fich auch diefe durch vollkommene
Beherrfchung des Stoffes aus, mir ift nicht
eine einzige nennenswerte Arbeit aufgefallen, die ihm
entgangen wäre; auch da, wo er nicht ausführlicher auf
fie eingeht, fieht man aus gelegentlichen Bemerkungen
daß fie ihm nicht unbekannt find und daß er fie ledi°-l
lieh um deswillen beifeite gelaffen hat, weil ihm ihr
Unterbau zu unfolide und luftig erfchien. Denn das er-

1 kennt man auf jeder Seite, daß K. kein Hypothefen-
jäger ift, fich vielmehr lieber bei einem non liquet begnügt
als haltlofe Vermutungen aufzutifchen und durch die'
Zuverfichtlichkeit des Urteils über den Stand der Dinge
fortzutäufchen. Andrerfeits gibt K. doch der Kritik ihr
volles Recht, Seite für Seite zeigt, daß K. durchaus auf

| dem Boden der neueren kritifchen Schule fleht und

j ihren geficherten Refultaten Rechnung trägt. Wenn da-

j her K. wohl mehrfach als Vertreter konservativer Anfchauungen
grade in bezug auf diefe Gefchichte Israels
bezeichnet worden ift, fo ift ein derartiges Urteil jedenfalls
nicht in feiner prinzipiellen Stellung zur Kritik begründet.
Denn wo er den von den meiften Kritikern geteilten

j Anfchauungen entgegentritt, find es durchaus fachliche

! Gründe, die ihn zu feiner abweichenden Stellung beftimmen
. Nicht jeder wird freilich diefen Gründen

| immer dasfelbe Gewicht wie K. zuerkennen können.

So vermag Ref. nicht völlig dem von K. gezeichneten
Bild Samuels zuzuftimmen. Angefichts des Zugeftänd-
niffes, daß die 1. Sam. 7 erzählten Ereigniffe ,entfchieden
ungefchichtlich' find, Icheint mir der von K. verteidigte