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Ausgabe:

1910 Nr. 20

Spalte:

620-622

Autor/Hrsg.:

Goguel, Maurice

Titel/Untertitel:

L‘Eucharistie, des origines à Justin Martyr 1910

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 20.

620

wenig verbreiteten Lesart in griechifchen Hff. oder in
Übersetzungen, fondern eine Verbefferung, die fich auf
keine irgendwie überlieferte Lesart ffützt, die vielmehr
auf Vermutung des Kritikers beruht' (S. 5). ,Die Notwendigkeit
folcher Verbefferungen follte man doch endlich
aufhören zu beftreiten ... es kommt fchließlich
darauf an, daß eine Stelle nach Form, Inhalt und Zu-
fammenhang einen verftändlichen Sinn gibt, nicht auf die
Autorität noch fo alter und renommierter Hff.' (S. 7).
Über die Bemühungen, mit den Hff. auszukommen, denkt
der Verf. gering. ,Es ift [bei der Apk., aber wohl auch
fonft] meift ziemlich überflüffig, die Hff. nach Alter oder
ihrer Zuverläffigkeit zu klaffifizieren . . . nicht das Alter
oder die Klaffe der Hff. entfcheidet, fondern allein innere
Gründe, befonders der Sinn' (S. 44). Die gelegentliche
Diskuffion von Überlieferungsvarianten hält fich diefer
Schätzung entfprechend denn auch fehr an der Oberfläche.

Im Gegenfatz dazu bekennt fleh Ref. — wohl mit
der großen Mehrheit der Exegeten und Textkritiker —
zu dem Grundfatz größter Zurückhaltung bei der Ausübung
der Konjektur am N.T. Weder der Vergleich
mit dem hebräifchen A.T. noch mit profanen klaffifchen
Autoren beweift dagegen; eine fo ungeheuer reiche textliche
und exegetifche Tradition wie die des N.T. hat bei
aller richtigen Einfehätzung der Fehlerhaftigkeit der
Schreiber und der Gedankenlofigkeit der Erklärer den
Anfpruch auf weiteftgehende Schonung. Natürlich dispen- I
fiert diefe Anfchauung nicht davon, Textverbefferungen
eines Andersdenkenden gewiffenhaft zu erwägen. Der
Verf. hätte uns das fehr erleichtern können, wenn er fich
die Mühe gemacht hätte, feine Ideen etwas zu ordnen.

Zunächft find alle Stellen für fich zu nehmen, an
denen zwiefpältige Überlieferung zu textkritifchen Unter-
fuchungen zwingt, fei es daß man fchließlich eine der
überlieferten Varianten oder eine Konjektur rezipiert, bei
K. alfo: Mk. 9,49. Ja. 1,17. Ro. 8,38. 16,25—27. Ap. 4,4.
8,13. 19,9. 21,9. 22,14. Sodann ift methodifcher Weife
zu fcheiden zwifchen Umftellungen, Streichungen vermeintlicher
Gloffen, Korrekturen und Interpolationen,
endlich völlig freien Textänderungen. (Daß in einer
kleinen Anzahl von Fällen diefe Kategorien zufammen-
treffen, kann nicht davon abhalten, fie auseinanderzuhalten
.) Den Zufammenhang durch Umftellungen ver-
beffei n zu können glaubt K : Mk. 9,49. Lk. 2,35. Jo. 4,44. j
Act. 4,32f. Ja. 1,17. 4,17. 5,3. ij. 2,13 t. Ro. 2,16. 7,25. j
14, 14. 16,21—23. 2. Kor. 1,6. Eph. 4,8—10. 1. T. 5,4. 22 f.
Ap. 16, 15. 22, 12f. Streichungen hält er für nötig: Ja. 2,4.
1 J. 2,13t. Ro. 5,7. 8,38. 16,24. 1. Kor. 6,12. 2 Kor. 1,6. !
Ga. 3,20. Ap. 2,28. 4,4.9,9. 17,5.18,14. 19,9f. 21.9. 22,7.
(Dem Sachkenner wird nie Aufzählung der Stellen fo-
gleich anzeigen, um welche Texte es fich handelt.) Änderungen
fchlägt er vor: Ja. 3,6 {tqosiov anft. tqoxov),
4,2 {(pdoveits anft. epovevsre), 4,5 {&eov anft. epti-ovov), 1
5,11 {avrov anft. xvqiov), 1 F. 3,21 (f anft. escsQmrrj/ia),
Ro. 5,16 {dr/.aimGiv anft. öixaicofta), Ga. 4,16 {cog de anft.
coöTf), Ko. 2,18 (ixelmv anft. d-eXmv).

In eine Auseinanderfetzung im einzelnen einzutreten
ift im Rahmen einer Befprechung natürlich unmöglich.
Auf allfeitige Anerkennung dürfen Konjekturen nur
rechnen, wenn fie wirken wie das Ei des Kolumbus.
Solche habe ich bei K. nicht gefunden. Vieles ift indeffen
erwägenswert; ja einleuchtend erfcheint, was etwa zu
Ja. 1,17 (zu ftellen TQoxqg rj) oder Ap. 16,15 (zwifchen
3,3a und 3,3!' einzuheilen — oder vielleicht als Rand-
gloffe zu 3, 3 anzufehen?) geboten wird. Anderweit möchte
ich lieber als zur Konjektur zur Literarkritik greifen
(Verf. fcheint fie auch nicht zu fchätzen, S. 39), fo mehrfach
in der Ap., aber auch z. B. Act. 4,32 t. Ro. 16. In
der Mehrzahl der Fälle befticht mich die Verbefferung
nicht fo, daß ich das Rifiko übernehmen möchte, der
Uberlieferung untreu zu werden.

Steglitz b. Berlin. Hans von Soden.

Kellner, Prof D. K. A. Heinrich, Tradition, getchichtliche Bearbeitung
und Legende in Behandlung der Chronologie
des apoltolilchen Zeitalters. Zugleich Antwort auf die
Frage: Wie lange war Petrus in Rom? Eine literar-
hiftorifche Studie. Meinen Kritikern gewidmet. Bonn,
P. Hanftein 1909. (56 S.) gr. 8° M. I —

Der Senior der Bonner katholifch-theologifchen
Fakultät verteidigt in diefer z. T. fehr farkaftifchen
Brofchüre feine fchon früher vorgetragene, auf das
Papftbuch gegründete Verlegung des Todes des Petrus und
Paulus in die Jahre 55 und 57. Ich kann feine Beweisführung
nicht als zwingend anfehen, müßte vielmehr
namentlich gegen feine Anfetzung des Amtsantrittes
des Feftus auch jetzt noch geltend machen, was ich
fchon in meinem Paulus (I, 377 ff.) gegen K. u. a. ausgeführt
habe. Der Überblick über die bisherige Behandlung
der Frage, der den Grundftock der Brofchüre
ausmacht, ift indes unter allen Umftänden verdienftlich
und wertvoll.

Bonn. Carl Clemen.

Goguel, M., L'Eucharistie, des origines ä Justin Martyr. Paris
1910. (IX, 338 p.) 8» fr. 10 —

Eine fchön ausgeftattete, die neueften Arbeiten über
die Euchariftie kritifch fichtende und felbftändig weiterführende
Unterfuchung des durch wertvolle Veröffentlichungen
über Gegenftände aus der neuteftamentlichen
Wiffenfchaft {La notion johannique de L Esprit 1902, L
apbtre Paul et Jesus-Christ 1904, L Evangile de Marc
1909, Les sources du recit johannique de la passion 1910)
und aus der fyftematifchen Theologie {Wilhelm Herr-
tnann et le Probleme religieux actuel 1905) vorteilhaften
bekannten Dozenten an der evangehfeh-theologifchen
Fakultät zu Paris.

Nach einer dem Stand der gegenwärtigen Forfchung
und der anzuwendenden, flreng gefchichtlichen Methode
gewidmeten Plinleitung (1—35), befpricht G. in fechs
Abfchnitten: das letze Mahl Jefu (37—126), das Brotbrechen
in der urchriftlichen Kirche (127—133), die pau-
linifche Euchariftie (135—188), die anderen Schriften des
Neuen Teftaments (189—222), Clemens Romanus, die
Didache, Ignatius von Antiochien (223—257), die übrigen
Zeugniffe der erften Hälfte des 2. Jahrhunderts, Plinius
der jüngere, Juftin der Märtyrer, die Infchriften und die
monumentalen Zeugniffe (259—286). Zwei wertvolle
Nachträge über die religiöfen Mahlzeiten außerhalb des
Chriftentums (293—311) und über die Agapen (313—317)
bilden den Abfchluß des Werkes, deffen Brauchbarkeit
noch durch verfchiedene Verzeichniffe und Tabellen
(Handfchriften, Überfetzungen, Zitate, Namenregiller)
wefentlich erhöht wird.

Das Ergebnis der mit größter Sorgfalt und hervorragender
Sachkenntnis geführten Unterfuchung ift folgendes
. Einige Stunden bevor Jefus in die Hände feiner
p"einde fiel, hielt er mit feinen Jüngern ein letztes Mahl,
nach der urfprünglichen Überlieferung kein Paffahmahl.
Indem er wie fonft das Brot brach und den Kelch fegnete,
verwendete er zunächft das Brot, um feinen Jüngern durch
eine finnenfällige Parabel zu verliehen zu geben, daß er
von ihnen fcheiden werde und daß er bereit fei, das
ihm bevorftehende Gefchick, welches es auch fein mochte,
aus Gottes Hand entgegen zu nehmen. Die Worte ,dies ift
mein Leib' follen foviel heißen als: ,Ich bin bereit für euch
zu fterben, wie ich für euch gelebt habe, um euch zu
folchen heranzubilden, die in das Reich Gottes eingehen,
wenn es erfcheinen wird'. Was indeffen die Handlung be-
herrfcht, ift weniger der Gedanke des Schmerzes, der
Trennung, der fcheinbaren Niederlage, als der Gedanke
des erwarteten Sieges, des unmittelbar erfcheinenden
Gottesreiches, zu deffen Befitznahme Jefus feine Jünger