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Ausgabe:

1910 Nr. 19

Spalte:

601-602

Autor/Hrsg.:

Kesseler, Kurt

Titel/Untertitel:

Der Unsterblichkeitsglaube in religionsgeschichtlicher und religionsphilosophischer Beleuchtung 1910

Rezensent:

Heinzelmann, Gerhard

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Seite 1

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g0I Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 19. 602

glücklich formt und durch eine runde, gefällige und doch
nicht oberflächliche Darftellung manchen verwickelten
Gedankengang zu überrafchender Klarheit erhebt.

Daß über der fummarifchen Haltung des Ganzen

fchauungen vom überweltlichen Geiftesleben.— Die Schrift
vonjanfen dagegen ift fchön und eindrucksvoll. Sie geht
von der richtigen Beobachtung aus, daß der Unfterblich-
keitsglaube fich nicht ,bei allen Völkern und zu allen

die Einzelunterfuchung nicht vernachläffigt ift, fei zum Zeiten findet' (S. 6), daß ihm dennoch eine unaustilgbare
Schluß noch ausdrücklich betont. Es ift mir z. B. fehr I Lebenskraft innewohnt, die im .unmittelbaren Lebens

wahrfcheinlich, daß der Verfaffer recht hat, wenn er
auf Grund einer brieflichen Äußerung vom Jahre 1827
(Br. IV 375) die erfte Befchäftigung Schleiermachers mit

gefühl' (S. 9) ihren Grund hat. Sie weift dann befonders
Haeckel gegenüber kurz die Möglichkeit der idealiftifchen
Weltbetrachtung nach und macht fo die Bahn frei für die

Spinoza und die Kurze Darftellung des Spinoziftifchen | .perfönhche Uberzeugung' des Unfterblichkeitsglaubens.
Syftems in das Jahr 1792 hinaufrückt (S. 46 Anm. 1). j .Seitens der Wiffenfchaft kann kein Einwand gegen ihn
Daß Schleiermacherden Spinoza fehr früh, wohl fchon um ' erhoben werden' (S. 27). Was die Art der Unfterblich

die Mitte der neunziger Jahre, im Original gelefen hat,
daß insbefondere das Exemplar, das er im September des
Jahres 1800 an Fr. Schlegel gefchickt hat, der Urtext
gewefen ift (Dilthey S. 319), glaube ich direkt bewcifen
zu können. In den Tabulac librorum e bibliotheca dc-
functi Schleiermacher, Berlin 1835, ift p. 74 Nr. 13 die
äußerft feltene Ausgabe der Opera postliuma von 1677
angeführt. Schleiermacher hat alfo längft einen Text
befeffen, ehe Paulus 1802 mit feiner Ausgabe herauskam;
und die berühmte Apoftrophe der .Reden' ftützt fich
auf die Kenntnis des wirklichen Spinoza, und nicht nur

keit angeht, fo betont der Verf. mit Recht, daß nur
eine perfönhche Unfterblichkeit der Schätzung des
geiftigen Lebens entfpricht, die wir .feiner höchften
Steigerung und Konzentration . . in der von fittlichen
Idealen geleiteten menfchlichen Perfönlichkeit' darbringen
(S. 31), ohne daß damit dem Egoismus Vor-
fchub geleiftet würde. Sehr fchön wird vielmehr dargelegt
, wie das Einzel-Ich fich erft im Dienft an der
Gefamtheit vollendet. Freilich bedarf es dafür des
Glaubens an einen Sinn und Plan in der Welt. Verf.
entnimmt dafür gerade dem modernen Entwicklungsauf
die einfeitig-fragmentarifchen Mitteilungen Jacobis. j gedanken Stützen, zeigt aber auch, wie erft durch
Endlich mochte ich nicht unerwähnt laffen die wert- 1 eigenes fittliches Streben der Blick für den Sinn der
vollen Bemerkungen über den platonifierenden Idealis- ! Welt aufgetan wird. Das ,Wie' des Weiterlebens kann
mus Schleiermachers, die nur noch weiter ausgeführt | nur mit größter Zurückhaltung ausgemacht werden,
und gegen die herrfchende Überfchätzung der Kanti- 1 Nur das Eine ift dem Verf. gewiß, daß ,ein neuer
fchen*3 Elemente in feiner Doktrin nachdrücklicher in [ Morgen uns neuen großen Aufgaben, weiterer Voll-
Schutz genommen fein follten (S. 156 Anm., vgl. S. 177 i endung entgegenführt' (S. 54). Zum Schluß werden
und S. 250), fowie die Hinweifung auf eine unbeachtete j noch ein paar Einwände .befonders von fozialdemokra-
Stelle in der Abhandlung über den Wert des Lebens, tifcher Seite' abgewehrt. Eins fehlt diefer klar und
in der in der Tat zum erftenmal das Gefühl als die i anziehend gefchriebenen Schrift: Sie vergißt völlig
übergeordnete Einheit von Denken und Wollen betont die Bedeutung der Religion für den Unfterblichkeits-
zu fein fcheint (S. 48, vgl. Dilthey, Denkm. S. 53). glauben. Der fefte Punkt, von dem fie ausgeht, die
Ob hier die Kritik der Urteilskraft auf Schleiermacher fittliche Würde des Menfchen (cf. S. 64), reicht für fich
mit eingewirkt hat? Es lohnte fich wohl, die Frage zu nicht hin, den Glauben an unfere Ewigkeit zu begründen.
Itellen, da gerade diefes Werk, und insbefondere die < Dazu bedarf es einer wirklichen Begegnung mit dem
Einleitung, für die Entwicklung der nachkantifchen ! Ewigen in der Religion. Auch noch auf ein anderes
Philofophie von der größten Bedeutung gewefen ift. fei mir erlaubt aufmerfam zu machen: das Weiterleben
Schelling, der es wiffen konnte, hat in den Münchener nach dem Tod, als Fortentwicklung gedacht, trägt in die
Vorlefungen die Kritik der Urteilskraft als Kants größte ! Ewigkeit die Zeitvorftellung ein und ift darum auch
Tat gefeiert, und die wichtigften Konzeptionen der fol- j nicht geeignet, das ,Wie' des Fortlebens uns näher zu
genden Epoche, deren Lofung die Einheit des Menfchen ! bringen.

war, aus der erregenden Kraft diefes Werkes abgeleitet. | Göttingen. Heinzelmann.
Berlin. Heinrich Scholz. ]___

- Herrmann, Max, ,Ein fefte Burg ift unfer Gotfi. Vortrag,

Kelfeler, Kurt, Der Unsterblichkeitsglaube in religionsge- gehalten in der Gefellfchaft für deutfche Literatur in

fchichtlicher und religionsphilofophifcher Beleuchtung. Berlin und mit ihrer Unterftützung herausgegeben

Bunzlau, G. Kreufchmer 1910. (56 S.) 8" M. —90 Mit fechs Tafeln und einem bibliographifchen An-

Janfen, Paft. Jons., Gibt es ein Leben nach dem Tode? Kiel, hang. Berlin, B. Behrs Verlag 1905. (32 S.) 8°

R. Cordes 1910. (68 S.) 8° M. —75 Kart. M. 4 —; auf Büttenpapier M. 6—■

Zwei neue Schriften über .Unfterblichkeit'. Das ift Vielleicht kommt die vom Referenten verfchuldete

ein erfreuliches Zeichen. Es zeigt, daß die PTage nach unliebfame Verzögerung diefer Anzeige dem Werke
der Ewigkeit wieder in Gang kommt. Leider ift die | felbft zugut, indem die Aufmerkfamkeit der Lefer aufs
Arbeit von Keffeler, ein erweiterter Vortrag, ziemlich ! neue auf das anziehende und meifterhaft exakt durchwertlos
. Sie ftellt den Unfterblichkeitsglauben in reli- 1 geführte Werk gerichtet wird. Es handelt fich um das
gionsgefchichtliche und religionsphilofophifche Beleuch- j angeblich originale Konzept des Reformationsliedes. In
tung. Aber das Licht, das hier erborgt wird, ift fehr 1 einem Exemplar von Mirandula: De amore divino, Rom
fchwach. Der religionsgefchichtliche Überblick ift fo j 1516 findet fich auf der zweiten Seite unter dem Vormager
, daß man fragt, wozu dann die ganze Mühe? zu- j wort in Luthers Schriftzügen die Bemerkung: ,Hett
mal da der Verf. den Beweis e conscnsu gentium ab- myr vereret meyn gutter freund herr Johannes Lange
lehnt. Aber der Überblick führt auch irre. Der Un- ; zu Wittenberg am X. Novem: Anno MDXXIIIJ. Dem
fterblichkeitsglaube findet fich danach bei allen Völkern, , Gott gnade Martinus Luther'. Am Schluß des Bandes
felbft im Animismus und im urfprünglichen Buddhismus! ■ befindet fich ein leeres Blatt, deffen beide Seiten in
Ein Blick in die moderne einfchlägige Literatur, etwa Luthers Schriftzügen das Lied ,Ein fefte Burg' mit
in Wundts Völkerpfychologie II, 3, hätte den Verf. eines ; wichtigen Änderungen des urfprünglichen Wortlauts ent-
Befferen belehren können. Der religionsphilofophifche halten. Darunter: ,Anno MDXXVII Martinus Luther'
Teil gibt eine ebenfo wertlofe .Darftellung und Kritik ' Ift dies Blatt keine Fälfchung, fo würde damit der Streit
der Beweife für die Unfterblichkeit' und rechtfertigt auf i der Lutherforfcher über die Abfaffungszeit des Liedes
6 Seiten den Unfterblichkeitsglauben mit Euckens An- endgültig gefchlichtet fein zugunften des Jahres 1527