Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1910 Nr. 19

Spalte:

581-582

Autor/Hrsg.:

Jeremias, Alfred

Titel/Untertitel:

Der Einfluß Babyloniens auf das Verständnis des Alten Testaments. 2. Tsd 1910

Rezensent:

Vollrath, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

581 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 19. 582

Die englifche Überfetzung geht über das deutfche
Vorbild nur in wenigem hinaus. So ift z. B. die beigegebene
Schrifttafel I etwas erweitert. Befonderen
Dank verdient das eingehende Inhaltsverzeichnis am
Eingang und namentlich das Stellenregifter am Schluß
— beides ein Plus gegenüber der deutfchen Vorlage. Die
vielen Belegftellen, die Dillmann aus dem Henoch anführt,
find nach der Ausgabe des Henochbuches von Flemming
1902 revidiert, bezw. berichtigt — jetzt müßte auch
Charles' Ausgabe (1906) herangezogen werden. Einige
Beiträge hat Bezold z. B. aus feinem Kebra nagast bei-
gefteuert, einzelne Zufätze flammen von dem Überfetzer.
Mit diefen das Wefentliche der englifchen Überfetzung
gegenüber der deutfchen Vorlage hervorhebenden Notizen
glaube ich mich der Anzeigepflicht gegenüber dem
Lefepublikum diefer Zeitung erledigen zu können.

Eine glückliche Ergänzung und Berichtigung des in
der 2. Auflage von Dillmanns Athiopifcher Grammatik
behandelten grammatifchen Stoffes finden Intereffenten
in Brockelmanns Grundriß d. vergleichenden Grammatik
d. femit. Sprachen 1907 und in der Kurzgef. vergleich.
Grammatik der fem. Spr. von demfelben Verf. 1908.
Heidelberg. Georg Beer.

Jeremias, Pfr. Priv.-Doz. Lic. Dr. Alfred, Der Einfluß Ba-
byloniens auf das Verltändnis des Alten Teftaments. 2.

Taufend. (Biblifche Zeit- und Streitfragen. Herausgegeben
von F. Kropatfchek. IV. Serie. 2. Heft.) Gr.-
Lichterfelde, E. Runge 1908. (32 S.) 8° M. — 50

Verfaffer konflatiert im Anfchluß an die Vorarbeiten
Hugo Winklers eine einheitliche vorderorientalifche Ge-
famtkultur, an der auch das Volk Ifrael naturgemäß
teil hatte. Der Grundcharakter derlelben war babylo-
nifch (S. 9. 10). Im wefentlichen werden nur — Ausnahme
S. 21. 23 — Parallelen zur biblifchen Schöpfungsund
Vätergefchichte herangezogen, wobei das religiös
höhere Verfländnis und Urteil des ifraelitifchen Berichts
mit Recht unterflrichen wird (S. 26ff.).

Aber nicht im Hinweis auf folche Parallelen der
babylonifchen Literatur erfchöpft fleh das Intereffe
des Verfaffers. Die Beziehungen zwifchen diefer und
der ifraelitifchen Vorgefchichte und die Refultate, die er
hieraus gewinnen will, Hellt er in einen fcharfen Gegen-
fatz zu der religionsgefchichtlichen Konftruktion, die die
Religion Ifraels aus primitiven Anfängen heraus fleh
entwickeln läßt, S. 14.

Seine Unterfuchungen werden ihm vielmehr zu
Stützen der biblifchen Tradition. ,Die Monumente des
alten Orients' geben ,eine Vorflellung von den ge-
fchichtlichen Verhältniffen jener Zeit, die uns in der
Bibel als Urzeit erfcheint' S. 13. Es .kommt alfo die
biblifche Tradition über die ifraelitifche Urzeit allmählich
wieder zu Gehör' (S. 17). Die Kenntnis der babylonifchen
Dokumente bedeute eine Bekanntfchaft mit einer tiefen
Religiofität, die im Orient fchon in ältefter Zeit lebendig
pulfierte. In religiöfen Reformbewegungen foll fie —
nach Jeremias Behauptung — u. a. fleh ausgewirkt haben.
Auf diefer konfluierten Folie foll ein gefchichtlichcs
Verfländnis der Abrahamserzählungen gewonnen werden.
Freilich ifl diefe, wie Jeremias (S. 13) felber hervorhebt,
die einzige religiöfe Reformbewegung unter den vielen
von ihm behaupteten, die ,uns gefchichtlich bekannt geworden
' ift. Das Recht zu einer folchen Deutung foll
dem Verfaffer nicht ftrittig gemacht werden. Jedoch
frappiert es, von einem Hifloriker fofort die Behauptung
hören zu müffen, daß gerade für die Abrahamsgefchichte
das Prädikat .Offenbarung im befonderem Sinne' d. i.
.Initiative durch den lebendigen Gott' (S. 14) in An-
fpruch zu nehmen fei, was er durch die Bemerkung ergänzt
: ,nur (im Gegenfatz zu anderen religiöfen Bewegungen
diefer Art) werden wir annehmen dürfen, daß
die religiöfen Motive bei dem Mahdi Abraham lauter
und durchaus gottgewirkt waren' (S. 14). Er vertritt
eine ,Idealreligion' (S. 17). Nach ihrer objektiven Seite
fchließt fie als etwas gottgewirktes ,eine Afcendenz
im eigentlichen Sinne aus' (S. 19). ,Sie wird im Keime
alle religiöfen und fittlichen Werte in fleh getragen
haben, . . die ihr heilsgefchichtliches Ziel in der Er-
fcheinungjefu Chrifti haben'. Er konflatiert — nun nicht als
Hifloriker, fondern als Chrift — eine ,Kette von Abraham
auf Chriftus hin'. Gefchichte die doch wieder keine Ge-
fchichte fein will! Freilich, es ift Konftruktion der Gefchichte
; fie kennt keinen eigentümlichen hiflorifchen
Fortfehritt, fie kennt kein Werden neuer Werte: Das
Ideal, das als wertvoll empfunden wird, liegt in der Urzeit
. Die fpäteren Verhältniffe, von denen die Quellen
weiter berichten, wollen in das vorausgefetzte Urbild nicht
paffen. Darum: ,die Kinder Ifrael verfielen immer von
neuem der heidnifchen Religion' (S. 20). Von dem vorausgefetzten
idealen Urbild ift ebenfalls in unferen gelichteten
Quellen zum verzweifeln wenig zu entdecken.
Das Gewiffen fchlägt dem Verfaffer; es ift unficherer
Boden für den Hifloriker Jeremias! Darum auch die
unfichere Führung feiner Rede (vgl. S. 19: .wird gewiß',
.vielleicht'). Ein Hinweis auf Gen. 14 (S. 10) wirkt nicht
durchfchlagend. Gen. 16,5 bezeugt uns für eine ideale
Religion nichts. Eine Art fittlichen, oder fagen wir
beffer rechtlichen Verhältniffes Jahwes zu den Menfchen
fetzt im höchften Falle die Rede der inte voraus. Ob
es ein ideales ift?!. Das i"i i:sb i"bri gen. 17,1 24,40
braucht gar nicht einmal in der eigentlich fittlichen Spare
zu liegen. Jeremias modernifiert hier ftark. Nichts weift
darauf hin, daß es mehr bedeutet, als etwa eine kul-
tifche Prozeffion an der Stätte des Jahwebildes, ein
Verkehren vor feinem Heiligtum (vgl. Dt. 12, 7. 12.
18., Jef. 9).

Jeremias hat das Thema in feiner Darfteilung fehr
befchränkt. Andeutungsweife hätte vielleicht noch berichtet
werden können, wie gerade durch die Befchäftigung
mit der babylonifchen Religion und Kultur Licht fällt
auf eine große Reihe anderer Probleme der alttefta-
mentlichen Wiffenfchaft. Wir erinnern nur an die formellen
Probleme der ifraelitifchen Literaturgefchichte,
etwa an die Dichtung, ihre Formen und Stilarten. Vielleicht
wird auch in Zukunft einmal der Charakter der
Gefamtkultur, unter der Ifrael ftand, nicht mehr fo aus-
fchließlich als babylonifch bezeichnet werden. Wenn
auch nicht in demfelben Umfang wie die Affyriologen
dürften auch die Aegyptologen einmal ein gewichtiges
Wort mitzureden haben zu noch tieferem Verfländnis der
ifraelitifchen Religions- und Literaturgefchichte.
Leeheim b. Darmftadt. W. Vollrath.

Windfuhr, Paft. Walter, Der Mifchnatraktat von der Priigel-
ftrafe mit dem Kommentar des Obadja von Bertinoro
erläutert. Leipzig, R. Haupt 1910. (IX, 27 S.) gr. 8°

M. 1.80

Es ift fehr dankenswert, daß hier ein Hamburger
Paftor mit feinen rabbinifchen Kenntniffen und Studien
an die Öffentlichkeit tritt. Im Vorwort fagt er fehr
richtig, es fehle den rabbinifchen Studien an leicht zugänglichen
Hilfsmitteln, insbefondere dem Studium der
judifchen Kommentare. Diefe Lücke will W. durch
feine Ausgabe des Traktats Makkoth, vor allem des
Kommentars des Bartenora zu diefem Traktat, ausfüllen
. Er bietet einen vokalifierten Text der Mifchna,
verfehen mit kurzen Erläuterungen, außerdem einen
unvokalifierten Text des genannten Kommentars, und zwar
ift diefer Text in Rafchifchrift gedruckt und ebenfalls
mit kurzen Erläuterungen und Überfetzungshilfen ver-