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Ausgabe:

1910 Nr. 18

Spalte:

570

Autor/Hrsg.:

Rade, Martin

Titel/Untertitel:

Die Stellung des Christentums zum Geschlechtsleben 1910

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 18.

570

felben Zeit verfchiedene Strömungen durch- und gegeneinander
gehen können, und daß dabei der Unterfirom
dem Zuge der Oberfläche direkt widerfprechen mag'.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Gabriel, Paul, Euckens Grundlinien einer neuen Lebensan-
fchauung und fein Verhältnis zu J. G. Fichte. Bunzlau, G.
Kreufchmer 1910. (44 S.) gr. 8° M. 1.20

Auf kurzen 34 Seiten wird uns hier eine gedrängte
Skizze der Euckenfchen Lebensanfchauung geboten, die

deren charakteriftifche Hauptzüge hervorhebt, wie das i ™n™n. .c,n,ca .voncsoucnes- Kaum oenanoe.n lauen,
fchnn Pin RllrJr a„f HiP Inhalt.lih.rfieht verrät. Gewiß > Jefu Eheideal wurzelt in dem Boden der ihn umgebenden

Rade, Martin, Die Stellung des Chriftentums zum Gefchlechts-
leben. 1.—6. Taufend. (Religionsgefchichtliche Volksbücher
für die deutfche chriflliche Gegenwart. V.Reihe,
7./8. Heft. Herausgegeben von F. M. Schiele.) Tübingen
, J. C. B. Mohr 1910. (92 S.) 8° M. 1 —;

geb. M. 1.30

Rade behandelt fein Thema, indem er die Stellung
Jefu, Pauli, Auguftins, Luthers und Schleiermachers zum
Gefchlechtsleben darftellt. Anders wird es fleh auch im
Rahmen eines .Volksbuches' kaum behandeln laffen.

fchon ein Blick auf die Inhaltsüberficht verrät. Gewiß
zeigt die Studie, daß ihr Verfaffer auf dem Gebiete der
Euckenfchen Lebensphilofophie zuhaufe ift; im befonderen,
daß er fie unter dem für fie maßgebenden Gefichtspunkt,
nämlich eben der Lebensphilofophie, in fleh aufgenommen
hat. Ich wurde aber bei der Lektüre die eine Frage
nicht los: wem ift mit diefer Veröffentlichung ein Dienft
geleiftetf Wer Eucken nicht kennt, dem werden diefe
mageren Umriffe feine Lebensanfchauung fchwerlich fehr
nahe bringen. Wer ihn dagegen fchon kennt, dem er-
fchließen lieh hier keine neuen Perfpektiven; weder wird

Volkskultur, in der das Gefchlechtsleben verhältnismäßig
gefund war; aber es wächft über das in feinem Volke
gültige hinaus, indem für ihn zum Wefen der Ehe die
volle Gegenfeitigkeit zwifchen Einem Mann und Einer
Frau zum Zwecke unlöslichen Beifammenbleibens gehört.
Paulus ftellt unter dem Eindruck der von jeglicher Art
fexuellen Verderbens zerfreffenen heidnifchen Kultur
neben das Ideal einer reinen Ehe das Ideal der Virgini-
tät. Durch Auguftin ift die Idee der Jungfräulichkeit
zur höchften Ehre emporgeftiegen; wenn dadurch einer-

auf der von Eucken gelegten Grundlage weiter gebaut, fehs die Ehe entwertet wird, fo kommt darin anderer-
noch wird die von ihm vollzogene Grundlegung, etwa i [e,tns der Fortfchntt der fittl.chen Erkenntn.s zum Abdruck,
auch kritifch durchleuchtet daß erfl ln der Loslofung von der gemeinen Geltung

Angefün find reichlich 9 Seiten fehr fkizzenhafte ' des Gefchlechtstnebes der Menfch das Bewußtfein feiner
Bemerkungen über Euckens Verhältnis zu Fichte. Sie geifligen Würde gewinnt. Luther hat dem Ideal lebenswollen
nur das im Hauptteil Gewonnene nach beftimmten : pShcher Virgin.tät gegenüber das jelanger defto mehr
Richtungen präzifieren. Hier hatte hen aber gerade eine
tiefer bohrende Arbeit gelohnt.

Gnadenfeld. Th. Steinmann.

beladet war durch die Verdienftlichkeit und den Zwang,
die Ehe als Schöpfungsordnung wieder zur Geltung gebracht
, aber vertieft durch feine neue Erkenntnis, daß
das natürliche Verhältnis durch die Geflnnung geadelt
Bertholet, Prof. D. Alfred, Aelthetifche und chriflliche wird» '"dem der Mann im Glauben feine Frau als ein
Lebensauffaflung. Tübingen, J. C. B. Mohr 1910. (III, , Gefchenk Gottes betrachtet und umgekehrt. An Schleier

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55 S.) gr. 8° M. 1

machers Stellung zur Ehe, die fleh von der Zeit der
Lucindenbriefe bis zu feinen Eheftandspredigten durch-

Wer mit den Anfchauungen und Stimmungen der j aus folgerichtig entwickelt habe, kommt das moderne
heutigen gebildeten Jugend vertraut ift, der weiß, daß ! Eheproblem in feiner Kompliziertheit zur Erörterung.

fie nicht feiten in der Gefahr fleht, einem cinfeitig äfthe
tifchen Intereffe den Ernft zu opfern, ohne den es
weder gründliche Arbeit noch rcligiös-fittliche Vertiefung
gibt. Es ift darum erfreulich, daß die Chriftl. Studentenkonferenz
in Aarau das obige Thema auf das Programm
ihrer letzten Tagung gefetzt und in A. Bertholet einen
berufenen Referenten dafür gewonnen hat. Denn gegen
die Überfpannung des äfthetifchen Intereffes kann überzeugend
nur reden, wer der Kunft und äfthetifchen Kul

Nach feiner Auffaffung ift..in der Ehe das Geiftigfte und
das Sinnlichfte in jeder Äußerung und in jedem Zuge
auf das innigfte verbunden. Zum Wefen der Ehe gehört
neben der Dauer die Innigkeit. Daraus entfteht die
Schwierigkeit: Darf eine Ehe Dauer haben, wenn ihr
die Innigkeit fehlt? Anfangs hat Schleiermacher diefe
Frage verneint und demgemäß das Recht der Ehefcheidung
behauptet. Nachdem er aber in dem Zufammenbruch
des preußifchen Staates 1806 die Wichtigkeit der F'amilie

tur mit aufgefchloffener Teilnahme und wahrem Ver- 1 und Kirche als Organifationen ganz anders fchätzen

ftändnis gegenüberfteht. Nachdem der Verf. den Bund
der Kunft mit einer edlen fittlichen Lebensanfchauung
an den Ideen und Schöpfungen der großen Klaffiker
illuftriert und an die moderne Überfchätzung der äfthetifchen
Kultur bei Nietzfche u. a. erinnert hat, befpricht
er zunächft die Gefahren eines einfeitig äfthetifchen
Lebensideals. Als folche bezeichnet er: den arifto-
kratifchen Charakter diefes Äfthetizismus, den rafchen
Wechfel der Eindrücke, die unperfönliche Natur des
Kunftideals, die Ablenkung vom energifchen Handeln
in unferer oft unharmonifchen Welt, die egoiftifche Verwöhnung
, die fie leicht zur Folge hat (S. 19—32). Allein
darüber follen wir nicht vergeffen, daß die Kunft der
chriftlichen Lebensauffaffung eine Gehilfin werden kann,
indem fie den Sinn fchärft für das Echte, Schlichte,
Angemeffene (S. 43), das Leben zum fittlichen Kunftwerk
geffalten hilft (S. 46), auch der Religion felbft den Zugang
zum Gemüt bahnt, wie dies Luther von der Mufik
gerühmt hat (S. 48). Befonders glücklich ift es, daß
der Verfaffer einem fchalen Äfthetizismus gerade auch
die ernfthafte Teilnahme an der Kunft entgegenftellt.
Um der Feinheit und Befonnenhcit willen, mit der das
Schriftchen eine aktuelle Frage behandelt, darf man ihm

gelernt hat, gelangt er zu einer faft bedingungslofen
Verwerfung der Ehefcheidung.

Gegen Rades Darftellung wird fich im ganzen wenig
einwenden laffen. In Einzelheiten wird man allerdings
anderer Anficht fein können. Wenigftens möchte ich
nicht mit derfelben Beftimmtheit wie Rade die Auffaffung
ablehnen, daß Paulus, Lehre vom Fleifch als
dem fündigen Prinzip in enger Verbindung mit der fexuellen
Sphäre ftände.

Osnabrück. Rolffs.

Härtung, Superint. D. Bruno, Konfeflion und Schule. Vortrag
, auf der Meißner Konferenz am 31. Mai 1910
gehalten. Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung
1910. (23 S.) gr. 8° M. —40

Der Verfaffer rechtfertigt friedlich und feinfinnig
das in Deutfchland vorherrfchende Verhältnis der Schule
zum Staate. Er hat umfaffende Kenntnis der davon
anderwärts beftehenden Abweichungen. Bei uns ift
die Schule, wie er anerkennt, nicht von der Kirche,
fondern vom Staate gegründet. Durchdrungen von dem
eine weite Verbreitung wunfehen. Bewußtfein, daß ohne Religion beide, Staat und Schule,

Leipzig. O. Kirn. | nicht beliehen können, haben unfere Staaten die Schule