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Ausgabe:

1910 Nr. 18

Spalte:

554-555

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft. V u. VI 1910

Rezensent:

Strack, Hermann L.

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Theologifche Literaturzeitung 19IO Nr. 18.

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Sternenglauben, die dagegen reagierende Sehnfucht nach
einer Erlöfung, die wie im Chriftentum (Paulus!) oft
phyfifch und geiftig zugleich vorgeftellt wird. Wir lernen
Kulte kennen, deren Gläubige ihre Hoffnung auf das
vorbildliche Schickfal ihres Gottes (Attis, üfiris), feinen
Tod und feine Auferftehung oder Wiedergeburt gründen.
Wir gewahren einen ffarken Zug zum Monotheismus,
gefördert durch Ausgleichung und durch Verfchmelzung
mit der Philofophie, durch die univerfalen Tendenzen
der vom nationalen Boden entwurzelten Religionen, durch
die Gewalt der Aftralreligion, deren Sonnenkönig fich
fo viele andere Götter affimiliert, bis endlich die Formen
der Religion und Philofophie in feinen Kult und Preis
auslaufen und felbft das konftantinifche Chriftentum fich
ihm anpaßt. Wir lernen endlich aus Parallelbildungen
zu den gnoftifchen Religionen, daß die Bildungen des
chriftlichen Gnoftizismus als Flutwellen zu verliehen find,
die die Propaganda der hellenifierten Orientreligionen in
die chriftlichen Gemeinden wirft, daß Genefis und Hauptprobleme
des Gnoftizismus nur im Zufammenhange mit
der allgemeinen Religionsgefchichte richtig beurteilt
werden können. Man muß fich felbft z. B. einmal dem
Zauber der Poefie hingegeben haben, die aus den Aftral-
religionen zu uns fpricht *, man muß die Ifismyftik von
dem Boden, auf den Apuleius' Gefchmacklofigkeit2 fie
verpflanzt hat, fich loslöfen können, um von dem Irrtum
frei zu werden, als ob der chriftliche Gnoftizismus die
Höhen, die verwandten profanen Gebilde nur Niederungen
darfteilten. Auf beiden Gebieten gibts, oft
unlöslich verbunden, Höhen und Tiefen, innige Myftik,
ergreifende Sehnfucht nach Erlöfung, himmelftürmende
Spekulation — Urväterhausrat, Moder und Schutt, fuper-
ftitiöfes Geröll alter Vergangenheit. Wir fehen, wie die
heidnifche Theologie mit ähnlichen Mitteln wie die chriftliche
heilige Gefchichten und Bräuche umdeutet und
fpiritualifiert.

Möchte dies Buch die Erkenntnis verbreiten, wie
groß doch der Heidentum und Chriftentum gemeinfame
Belitz an religiöfen und ethifchen Motiven und Stimmungen
, Begriffen und Ausdrucksformen gewefen ift und wie
er fich in konvergierender Entwickelung gemehrt hat.
Uie Beziehungen zum Chriftentum und die Einwirkungen
auf dasfelbe berührt der Verf. freilich nur gelegentlich.
S. 853 wird das Verhältnis von Chriftentum und phry-
gifcher Religion, 158 heidnifcher und chriftlicher Monotheismus
, 144. 293 Gnoftizismus, 121. 276 der ägyptifche
Urfprung des chriftlichen refrigerium, 197. 317 Stellung
der Kirche zur Aftrologie, 226 zur Magie befprochen.
Anderes, z. B. die Militia Christi, über die auch Reitzen-
ftein in feinem neuen Buche handelt, berührt C. in der
Vorrede. Die Referve, die er in den fchwierigen Abhängigkeitsfragen
in der Vorrede beobachtet, fcheint mir
etwas zu weit zu gehen und in der Vorrede des Uber-
fetzers mit Unrecht faft noch gefteigert zu fein. An
einer Reihe von Punkten hat jetzt Reitzenftein Paulus'
Zufammenhang mit den Myfterienreligionen ficher erwiefen.

Zur phrygifchen Religion ift jetzt Eifeles Auffatz
in den Neuen Jahrb. XXIII S. 620ff. zu vergleichen. Zur
Mifchung des Sabazios und des Jahve Sabbaoth (S. 768".)
ift jetzt ein neuer Auffatz von Cumont (Musee Beige 1910
Nr. 11) zu vergleichen, in dem die bekannte Nachricht
des Valerius Maximus (Schürer III4 58) auf Livius zurückgeführt
wird, und Eifeles jüngft in Rofchers Lexikon
erfchienener Artikel Sabazios; er will auch (freilich nicht
zwingend) Apok. 2,9. 3,9 auf folchen Synkretismus be-

1) Davon handle ich bei Befprechung von zwei neuen Arbeiten
Cumonts und Reitzendeins im Septemberheft der Göttinger Anzeigen.

2) Amor und Pfyche ift auch, dank den Zutaten des Apuleius und
feiner Vorläufer, recht gefchmacklos. Der Genius der Künftler hat das
Stück geadelt und ihm etwas von der urfprünglichen Schönheit des hel-
lcniftifchen Originales wiedergegeben.

3) Ich zitiere nach der Cberfetzung, die gleichen Zahlen der Anmerkungen
laden die Stellen des Originals leicht finden.

ziehen. Für Firmicus Maternus (S. 240. 325 7) verweife
ich jetzt noch auf den fchönen Auffatz von Skutfch,
Archiv für Religionswiff. XIII 2918., füge noch hinzu,
daß das altchriüiiche Gebet im Grunde lauter Sätze der
ftoifchen Theodizee wiedergiebt. S. 289 (364 des Originals)
wünfehte ich den Wortfinn von x«rovot, den jetzt Reitzenftein
m. IC. endgültig feftgeftellt hat, noch klarer ausgedrückt
.

Die Ubcrfetzung ift gefchickt. Nur mitunter bleibt
I fie hinter der Eleganz des Originales zu fehr zurück.
S. V war die Antithefe etwa wiederzugeben ,hoffen, daß
diefe Seiten, für mündlichen Vortrag benimmt, auch die
Lektüre vertragen werden'. 25,3 befier ,legte' lt. erlegte.
1 91 ,Phaleron' ff. Phalerus. 33,3 wird jeder falfch verbinden
, beffer ,der Gleichgültigkeit entriffen wurden durch
diefe anfpruchsvollen Götter'. — Ich bedaure, daß die
Anmerkungen nicht unter dem Texte flehen. Der Über-
j fetzer wird das Buch noch nutzbarer machen, wenn er
fich für eine zweite Ausgabe die Erlaubnis diefer Abweichung
vom Originale vom Autor auswirkt.

Göttingen. Paul Wendland.

Jahrbuch der Jüdifch-Literarifchen Gefellfchaft. (Sitz: Frankfurt
a. M.) V. u. VI. 1907 = 5668 u. 1908 = 5669.
Frankfurt a. M., J. Kauffmann. (III, 384 u. 68 u. III,
416 u. 24 S.) gr. 8° Je M. 12 —

Inhalt: Band V: I. Ulimann, S„ Gefchichte der fpanifch-

portugiefifchen Juden in Amflerdam im XVII. Jahrhundert. _

II. L ewin, L., Deutfche Einwanderungen in poluifche Ghetti II.
— III. Auerbach, M., Zur politifchen Gefchichte der Juden Pa-
läflinas im dritten und vierten nachchriftlichen Jahrhundert. —
IV. Landsberger, J., Zur Biographie des R. Baruch Wefel (Ben-
dix Rüben Gumpertz), erden fchlefifchen Landrabbiners, ca. 1699
bis 1754, vorzugsweife nach archivalifchen Quellen. — V. Stein,
S., Die Behandlung des Problems der Notlüge im Talmud. —

VI. Hoffmann, D., Bemerkungen zur Gefchichte des Synedriou.—

VII. Bondi, J., Simon der Gerechte. Eine Richtigdellung nach
Halevys Doroth Harifchonim. — VIII. Goldhor, I., Die Grenzen
des Ofljardenlandes bei der Befetzung durch die aus Babel heimkehrenden
Exulanten. (Mit einer Karte.)— IX. Duckesz, E., Zur
Biographie des Chacham Ifaak Bernays. — X. Barth, J., Zu den
neuen Papyrusfunden in Elephantine. — XI. Eppendein, S., Jo-
feph Karas Commentar zum Buche Jofua und Nachträge zum Com-
mentar über das Buch der Richter. — XII. Marx, A., Unter-
fuchungen zum Siddur des Gaon R. Amram. — XIII. Sulzbach
, A., Das b^ns inj 55 -,1tb 1ED. — Hebräifche Abteilung.

'19 9«Bini iso ciis — .ys« c-bs 21 iioi dijnptii niBOin
.pyto) 1212 21a ni5m ias 5s 1122 ito -res — ,tnp 5351

Band VI: I. Aus dem älteden Protokollbuch der Portugiefifch-
Jüdifchen Gemeinde in Hamburg. Überfetzung und Anmerkung von
J. C. — II. Ehrentreu, H., Sprachliches und Sachliches aus dem
Talmud. — III. Lebermann, J., Aus der Gefchichte der Juden in
Heffen am Anfang des 19. Jahrb. — IV. Löwendein, L., Zur
Gefchichte der Juden in Fürth. I. — V. Lewin, B., Die Affi-
milation der Paarworte in der Bibel. — VI. Biberfeld, E., Zur
Methodologie der talmudifchen Bibelexegefe. — VII. Landsberger,
J., Schulden der Judenfchaft in Polen. — VIII. Kottek, H., Gefetz
und ( berlieferung bei den Juden Babyloniens in vortalmudifcher
^e4t- — IN. Hoff mann, D., Zur Einleitung in den Midrafch
Tanna im zum Deuteronomium. — X. Funk, S., Beiträge zur Geographie
des Landes Babel. — XI. Frankl, Ph., Quellen zur Gefchichte
der Geonim. — XII. Epdein, J. N., Notizen zu den jüdifch-
aramäifchen Papyri von Afluan. — XIII. Bondi, Der Hoheprieder
Jochanan. — Hebräifche Abteilung. J2 Epll '15 m-,25 iib ^hib '

1102 msmen rvirttri — .issisaasta ihr ntra S"in .'rxiBrts
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Der vierte Band des Jahrbuchs der Jüdifch-Literarifchen
Gefellfchaft, die in Frankfurt a. M. ihren Sitz hat,
ift im Jahrg. 1908, Nr. 5 von dem nach menfehlichem
Bedünken zu früh der Wiffenfchaft entriffenen Begründer

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