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Ausgabe:

1910 Nr. 17

Spalte:

529-532

Autor/Hrsg.:

Clemen, Otto (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Supplementa Melanchthoniana. Werke Philipp Melanchthons, die im Corpus Reformatorum vermißt werden. 1. Abt 1910

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 17.

530

Rottenburg, bekannt geworden. Er zeigt fich in der vorliegenden
Arbeit, deren erfte 8 Kapitel als Doktordiffer-
tation große Auszeichnung erhielten, durchaus als Schüler
von W. Götz. Alle die Vorzüge, die Götz in feinen
hiftorifchen Arbeiten aufweift, zeigen fich auch hier,
der unermüdliche Fleiß, der nicht ruht, bis jeder Punkt
feine Beleuchtung findet, die Gewiffenhaftigkeit, die
überall die möglichen Einwände ins Auge faßt, die
Zurückhaltung, die nicht mehr behauptet, als bewiefen
werden kann. Soweit die Arbeit als Differtation diente,
möchte man vielleicht ausfetzen, daß vom Gerüft des
Aufbaues mehr als nötig flehen geblieben ift. Aber
fonft ift fic in jeder Hinficht zu rühmen, man bekommt
ein vortreffliches Bild von dem Mann nicht nur, dem
die Unterfuchung gilt, fondern auch von der Zeit, in
der er lebte. Befonders hervorheben möchte ich, was
über die Beiträge gefagt ift, die Jakob v. Vitry zur Ge-
fchichte des Franziskanerordens gegeben hat. Zwar ift
zu proteflieren gegen den Ausdruck, daß Götz ,eine Zer-
(treuung der Nebel der von Sabatier ausgegangenen
Hypothefen' (S. 170) herbeigeführt habe, das trifft weder
die Sache noch die Stellung Götzens zu Sabatier. Gegenüber
der Geringfehätzung Sabatiers, die man neuerdings
hier und da trifft, möchte ich entfehieden darauf hinweifen
, welche große Verdienfte diefer Forfcher um die
Gefchichte des Franziskus fich erworben, wie viel alle —
Götz eingefchloffen — von ihm gelernt und angenommen
haben.

Übrigens hat F. treffend die Stellen aus Jakob ausgelegt
und benutzt, die fich auf Franz v. Affifi und
fein Werk beziehen. Die Briefe Jakobs find ja fchon
bisher als Zeugniffe erften Rangs für die frühelte Fran-
ziskanergefchichte verwertet worden. Leidig ift, daß F.
das Mißgefchick begegnet ift, daß ein Druckfehler den
unkundigen Lefer über die ftrittige Datierung des erften
Briefs unficher machen muß (S. 84). Neu und wertvoll
ift die Parallele zur Stigmatifation Franzens, die F. in
der künftlichen Stigmatifation der Maria v. Oignies
(S. 127 f.) beibringt, und die Stelle aus einer Predigt
Jakobs (S. 175f.), die einen deutlichen Hinweis auf die
wiffenfchaftfeindliche Strömung im Orden enthält und
die mit Recht gegen die Vertufchungsverfuche Felders
angeführt wird. — Möge der Gelehrte uns noch viele
und größere Proben feines wiffenfehaftlichen Könnens
geben!

Stuttgart. Lempp.

Supplementa Melanchthoniana. Werke Philipp Melanchthons, die
im Corpus Reformatorum vermißt werden. Herausgegeben
von der Melanchthon-Kommiffion des Vereins für
Reformationsgefchichte. Erfte Abteilung. Dogma-
tifche Schriften Philipp Melanchthons. Herausgegeben
von Gymn.-Oberlehr. Lic. Dr. Otto Giemen.
Teil I. Leipzig, R. Haupt 1910. (LH, 250 S.) Lex.-8°
für Subfkribenten M. 12—; Einzelpreis M. 14 —

Mit Freuden ift die erfte Frucht der Arbeit der
Melanchthon-Kommiffion des Vereins für Reformationsgefchichte
zu begrüßen. Schon äußerlich ift der Eindruck
, den der erfte Band macht, ein angenehmer. Gegenüber
den unbequemen Quartbänden des Corpus Reformatorum
erhalten wir das handliche Großoktavformat,
ein gutes Papier und einen fauberen Druck, im Text
Zeilenzählung und nach Analogie der Weimarer Lutherausgabe
die kritifchen und erläuternden Anmerkungen
getrennt, und dazu gründliche Einleitungen und einen
forgfältig bearbeiteten Text. Dem Band fchicken Kawerau
als Vorfitzender des Vereins für Reformationsgefchichte
undLoofs als Gefchäftsführer der Melanchthonkommiffion
ein Vorwort voraus, das über die Aufgabe der Kommiffion
gegenüber der großen Zahl der im C. R. fehlenden

Schriften Melanchthons, ihre Mittel und ihren Arbeitsplan
orientiert. In erffer Linie dürfte die Aufgabe der
Kommiffion fein, den für die Gefchichte der Reformation

! hervorragend wichtigen Briefwechfel Melanchthons mög-
lichfl bald durch die neuen Funde, vor allem von Nik.
Müller, zu ergänzen und zugleich die im C. R. vorliegenden
Briefe Melanchthons, deren Neudruck freilich das
belle wäre, aber wegen der Kotten fich nicht verwirklichen
läßt, gründlich zu revidieren. Dabei müßten die
falfchen Adreffen und unrichtigen Lesarten des Textes,

i ganz befonders aber die falfchen Daten Bretfchneiders

| berichtigt werden. Die dankenswerte Zufammenflellung,
welche Lic. Vogt in den Th. Studien und Kritiken 1910,
195—243, 375—417 gibt, hat fich bemüht, die Briefe des
C. R., deren Datum anders zu beftimmen war, an der

] richtigen Stelle einzufügen, aber foviel Ref. auf Grund

| feiner früheren Studien über die Wartburgpoftille, die
Reformation in Württemberg und die Interimszeit beobachten
konnte, ift Vogt viel zu behutfam vorgegangen.
Hier feien nur einige Beifpiele aus des Ref. Handexem-

i plar mitgeteilt. Nr. 3476 gehört in diefelbe Zeit wie
Nr. 3491, 93 (24. Juni 1546), Nr. 3477 ans Ende Jan. 1547.

j Nr. 3490 ift vor Nr. 3201 zu fetzen, alfo auf den 24. Juni
1545. Nr. 3499 wird ins Jahr 1552 gehören. Vor Nr.

j 3518 ift Nr. 2327 (IV, 263) einzureihen. Nr. 3523 ift bald
nach Nr. 3506 gefchrieben. Nr. 3587 etwa 30. Okt./i. Nov.
Nr. 3588 vor 8. Nov. Nr. 3594 1. Nov. (vgl. Nr. 3589,
3591). Nr. 3610, 3611, 3613 Okt., Nr. 3619 24/25. Nov.,
3025 22. Nov. Nr. 3641 25. Dez. Nr. 3647 6. Dez. 1546.
Nr. 3646 gehört wohl ins Jahr 1552, Nr. 3654 in die Zeit
vom 17/22. Nov. Nr. 3658 1. 21. Dez. ftatt 12. Nr. 3663
ift Ende Dez. gefchrieben. Nr. 3691 nach 3671. Nr. 3696

I gehört vor den Beginn des Schmalkaldifchen Kriegs.
Nr. 3701 und 3763 find gleichzeitig gefchrieben. Nr. 3702
und 3763 dürften Exzerpte desfelben Briefes fein. Die
Drohung des Führers der ungarifchen Truppen, Luthers
Leiche ausgraben und den Hunden vorwerfen zu laffen,
zeigt, daß der Brief Nr. 3701 in die Zeit der bevorftehen-
den Belagerung Wittenbergs gehört. Nr. 3724 ift vor
24. Febr. 1547 gefchrieben, Nr. 3810 und 3827 gehören

: in den Dez. 1546 Nr. 3811 ift am 15. Juli 1546 geichrieben,
vgl. den Brief vom 13. Aug. Nr. 3532. Nr. 3818 ift

I am 18. Apr. 1546 gefchrieben, vgl. Nr. 3447. Doch es
muß hier an diefen Beifpielen genügen, um zu zeigen,
daß ein kleiner Band, welcher die Revifion der bisher
gedruckten Briefe geben würde, bei der großen Verwirrung
, die Bretfchneider immer wieder anrichtet, eines
der dringendften Bedürfniffe neben der Herausgabe der
ungedruckten Briefe ift.

Die erfte Abteilung der Supplementa bilden die
dogmatifchen Schriften, welche Lic. O. Clemen mit den

: Loci communcs in der Überfetzung Spalatins, dann den

j zwei letzten Kapiteln der Loci in der Bearbeitung Martin
Reinharts, weiter mit der Überfetzung von Melanchthons
Iudicium de Luthero ad Campegium (1524) und von feiner
Epitome renovatae ecclesiasticae doctrinae ad illustrissimum

prinäpem Hessorum von 1524 eröffnet. Wir erhalten
damit ein Stück derjenigen Werke Melanchthons, welche
,in den Anfangszeiten der Reformation auf breitefte

| Schichten des Volkes einen großen Einfluß ausgeübt

; haben'. In der Einleitung verbreitet Clemen neues Licht
über die Genefis der Loci. Er zeigt, wie jene jnet/iodos',

I die Melanchthon als Einleitung in feine Vorlefung über
den Römerbrief feiner Privatfchule diktiert hatte (Mel.
Brief an Ge. Ebner vom 12. Febr. r521) die ,Theologica
institutio . . in Epistolam Pauli ad Ro; in einem Kodex
derGymnafialbibliothek zu Altona ift (gedruckt CR. XXI,
49—60). Diefe Institutio, auf deren Kopie M. Ebner
verweift, fandte Th. Blarer am 15. Febr. 1521 wohl an
feinen Bruder in einer Abfchrift, und pries fie Joh. Botz-
heim als ein Buch, das allen Kommentaren feit 1000 Jahren
vorzuziehen fei (Schieß, Briefwechfel der Brüder A. u. Th.

I Bl. 1,33). Aus der Widmung der Loci an Thomas Platner