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Ausgabe:

1910 Nr. 16

Spalte:

506-508

Autor/Hrsg.:

Drury, T. W.

Titel/Untertitel:

Elevation in the Eucharist, its History and Rationale 1910

Rezensent:

Drews, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 16.

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entzündet, das trotz aller mitunter berückenden Schönheit
den Altar in fremdartigem Lichte beleuchtet werden läßt.
N. weiß, was er tut; fein Verfahren ift grundfätzlicher
Art. ,Es heißt, fich der beften Hilfen für eine gefchmack-
volle und behaltbare Predigt berauben, wenn man fich
nicht das Recht wahrt, in freier künftlerifcher Weife
einem bekannten, Gemüt und Phantafie anfprechenden
Text ein ihm fremdes, aber an fich reiches und erquickendes
Leben einzuhauchen. Darum alfo nur allen
hiftorifchen Pedanterien zum Trotz fröhlich allegori-
fiert, wo eine tiefe Wahrheit fich aus einer fonft unergiebigen
, aber eindrucksvollen Stelle herausholen läßt'
(S. 39. 40). Origenes würde feine Freude an dem gelehrigen
Schüler haben. Über die homiletifche und
katechetifche Behandlung der Gleichnisreden Jefu Ftellt
N. die Doppehegel auf: ,Wir dürfen nichts aus dem
Bilde folgern, was nicht fonft vorher fchon feftfteht, aber
alles dürfen wir hineinlegen, was an fonft feftttehenden
Erkcnntniffen ohne Zwang und mit Gefchmack' — aber
welcher Prediger und Katechet hält fich denn für ge-
fchmacklos? — ,fich in die anfprechenden und bekannten
Züge der Gleichnisbilder einkleiden läßt'1
(S. 76). Inhaltlich alfo find die Gleichnisreden Jefu
völlig überflüffig, nur die Bildform ift von einigem Wert.
Dem ganzen Unwefen der allegorifchen Mißdeutung der
Gleichniffe Jefu ift grundfätzlich Tor und Tür geöffnet
und auch der willkürlichften Typologie wird kein Zaum
angelegt. Schleiermacher hat einfit (Pr. Th. 228 f) Förderung
des Schriftverfitändniffes von der Predigt
gefordert; das ift nach N. augenfcheinlich eine veraltete
und rückltändige Anfchauung. Die Hörer werden fortan
den Prediger, wenn er ihnen geiftreich und gefchmack-
voll vorkommt, bewundern, aber fie werden vom Geift
und Gefchmack des Predigers abhängig bleiben und niemals
zu felbftandigem Schriftverftändnis emporgehoben
werden. Was das für die Entwicklung der Predigt bedeutet
, lehrt ihre Gefchichte; die Vernachläffigung des
Schriftveritändniffes ift bisher ftets ihr Verfall gewefen.

In dem Vorwort zur erfiten Hälfte des Werkes ent-
fchuldigt fich der Verfaffer wegen der Ungleichmäßig-
keit der Behandlung der einzelnen Abfchnitte. Sie ift
durch den Plan, dem Ganzen eine geringere Ausdehnung
zu geben, bedingt. Auffallend ift fie allerdings. Daß
z. B. Lc. 23 und 24 auf einer halben Seite abgetan werden
, ilt zu beklagen. Die ausführliche Behandlung von
Lc. 10 I, fodann die mit großer Liebe behandelten ausführlichen
Abfchnitte über Lc. 7, 36—50 und befonders
über Lc. 15 u. v. a. ftechen fehr dagegen ab. Daß N.
die beiden Gleichniffe Lc. 16 für unevangelifch, daher
als unverwendbar für Predigt und Katechefe hält, kann
ich verftehen, ohne jedoch das wegwerfende und doch
nur einfeitig begründete Urteil über den reichen
Mann und den armen Lazarus zu teilen. Auch über
die Art, wie der Erzählungsfitoff der Evangelien verwertet
wird, kann man recht verfchiedener Meinung
fein. Der Kanon, den N. S. 64 auffitellt, den er jedoch
bald darauf wefentlich einfchränkt: ,Der Unterfchied
zwifchen den Evangelien und den Epifteln ift gar
nicht fo fehr groß. Beide find Entladungen perfön-
licher religiöfer Kräfte' macht nicht feiten ftörend fich
geltend, als ob wir in den Evangelien nicht den Nieder-
lchlag gefchichtlicher fchriftlicher und mündlicher Traditionen
, fondern lediglich Erzeugniffe der Glaubens-
phantafie der Gemeinde vor uns hätten. So fcheint es
nur eine glückliche Inkonfequenz zu fein, wenn der Verfaffer
die von ihm religiös tief erfaßte und verehrte
Perion Jefu nicht hinter dem Glauben, wie er in der
Gemeinde lebt, verfchwinden läßt. In der umfangreichen
und inftruktiven Einleitung, in der N. feine Methodenlehre
der praktifchen Auslegung entwickelt, finden fich
manche Sätze, die mit den oben angeführten und in

1) Alles von mir gefperrt.

I dem Werke tatfächlich durchgeführten Anfchauungen
fich nicht reftlos vereinigen laffen. Aber die ange-

j führten und tatfächlich durchgeführten Sätze brechen
über die Methodenlehre trotz einzelner fchönen Ausführungen
den Stab. Es handelt fich um grundfätzliche
Verfchiedenheiten zwifchen dem, was in der Homiletik
feit Schleiermacher als maßgebend anerkannt ift, und
den Aufftellungen Niebergalls. Die Verfchiedenheiten
beftehen darin, 1) daß einerfeits der Akzent auf den
religiöfen Wert des N. T. als der literarifchen Urkunde
der in Jefus Chriftus vollendeten Heilsoffenbarung Gottes,
anderfeits auf die gegenwärtige Auffaffung der literarifchen
und religionsgefchichtlichen Kritik gelegt wird;
2) daß dort das Hauptintereffe auf die Predigt als einer
Form des göttlichen Wortes fich richtet (in dem Sinn,
wie ihn jüngft Joh. Herzog in feiner Abhandlung ,die
Autorität der Predigt' in der Monatfchrift für Paftor.
Theologie 1910 S. 63—82 entwickelt hat), während hier

j das Hauptintereffe darauf ruht, daß die Predigt den
Hörern gefällt. 3) Daß Niebergall die beanfpruchte

I Freiheit zu individueller Ungebundenheit entarten läßt

I und diefe als allgemein gültig hinftellt, während wir andern
die Freiheit, auch die Freiheit des KünfUers, nur
in den Schranken fachlich begründeter, hermeneutifcher
und pfychologifcher, Gefetze wollen gelten laffen.

Noch ein Wort über das fprachliche Gewand. Es
bedarf wohl keines Wortes, daß die ungefchminkte Wahrhaftigkeit
des Verfaffers fich auch darin kundtut, daß
dem Gedanken fein Ausdruck durchaus entfpricht: die
Sinnigkeit feiner Reflexion wie die Wärme feiner edlen
Begeifterung fpiegelt fich in der fprachlichen Form. Aller-

1 dings mag der Ton des Dozenten, der feiner Überlegenheit
fich bewußt ift, hie und da ftörend wirken; auch die
fehr häufige Zitierung der eigenen Arbeiten des Verfaffers
, während Zitate anderer Autoren nur fpärlich fich
finden, gehört dahin. Man überfieht auch gern die mit-

! unter hervorlugende Spottluft und das Wohlgefallen an
Schnurren und Scherzen über pietiitifche Wunderlichkeiten
, die zürnende Richtermiene wider allerlei Sitten
und Ünfitten der Prediger u. dgl. mehr. Alles dies
kommt jedoch tatfächlich wenig in Betracht gegenüber
der des hohen Gegenftandes würdigen und ihm ent-
fprechenden Darfiellung.

In Summa: in Niebergalls Buch ift uns ein Werk,
reich an großen und tiefen Gedankengängen, gefchenkt,
das dem empfänglichen Lefer edlen Genuß und mannigfaltige
Anregung bietet. Die verfprochene praktifche
Auslegung des N. T. tritt jedoch verfchwindend zurück
hinter der Fülle geifireicher Reflexionen über das N. T.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Drury, T.W., D.D., Elevation in the Eucharist, its History
and Rationale. Cambridge, University Press 1907.
(XVI, 188 p.) 8» s. 3.6

Ich bin den Lefern diefer Zeitfchrift, befonders den
liturgifch intereffierten unter ihnen, noch einen Bericht
über diefes Buch fchuldig, das ohne Zweifel eine weitere
Beachtung verdient. Veranlaßt ift es durch die Tatfache,
die gelegentlich der Tagung der ,Royal Commission on
Ecclesiastical Discipline' 1906 zu Tage trat, daß in England
vielfach die Elevation beim Abendmahl vollzogen
wird, während man doch zugleich diefe Tatfache leugnete.
Diefer wunderliche Selbftwiderfpruch erklärt fich aus
einer völligen Unklarheit über das Wefen der Elevation.
Um Klarheit zu fchaffen, unternahm der Verf. feine
hiftorifche Unterfuchung. Ihre Ergebniffe find folgende:
Im Offen, deffen Liturgien im 1. Kapitel unterfucht
werden, findet fich eine Elevation weder beim Offer-
torium (p. 9—12), noch bei den Einfetzungsworten
(p. 12—30), wohl aber bei den Worten: xa ayia xolg
cqioiq unmittelbar vor dem Nießungsakt (p. 30—60)