Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1910 Nr. 1

Spalte:

501-502

Autor/Hrsg.:

Schwartzkopff, Paul

Titel/Untertitel:

Das Wesen der Erkenntnis. Grundlegung zu einer neuen Metaphysik. Ein Versuch, Kants Weltanschauung weiter zu bilden 1910

Rezensent:

Heinzelmann, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

501 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 16. „ 502

gegenbringt, ift nicht zu verwundern. Zu diefer ein-
feitigen Beurteilung trägt vielleicht die ftete Rückficht-
nahme auf die augenblicklich in Belgien beftehenden
Verhältniffe bei (8. 14. 40. 64. 70. 72). Von einer Kampf-
fchrift ift ftets Wahrhaftigkeit zu fordern, volle Gerechtigkeit
aber kaum zu erwarten; jene kann dem Verf. nicht
abgefprochen werden, diefe wird man zuweilen bei ihm
vermiffen. Seite 26 find Eychhorn und R. Strautt
fchlimme Verfehen.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Schwartzkopff, Gymn.-Prof. Dr. Paul, Das Wefen der

Erkenntnis. Grundlegung zu einer neuen Metaphyfik.

EinVerfuch, Kants Weltanfchauung weiter zu bilden.

Heidelberg, C. Winters Univ.-Buchh. 1909. (VIII,

422 S.) gr. 8° M. 11 —

Das vorliegende Buch will verfuchen, ,Kants Weltanfchauung
weiter zu bilden'. Daher gibt der Verf. im
erften Ilauptteil (S. I—208) eine fortlaufende Metakritik
' der ,Krit. der rein. Vernunft', die fich in eine
Metakritik des Verbandes und der Vernunft gliedert.
,Das zentrale Problem der „Krit. d. rein. Vernunft" überhaupt
' (S. 117) fieht der Verf. in dem Verfuch, ,die wirkliche
Objektivität aus dem Subjekt zu erfetzen'. Er bezeichnet
ihn als mißlungen und beweift das, indem er
im Lauf der Metakritik des näheren zeigt, daß die mathe-
matifchen Urteile, obwohl ihnen Allgemeinheit und Notwendigkeit
zukommt (S. 22), weder fynthetifchen noch
apriorifchen Charakter haben, vielmehr ,apofteriorifche
Analyfen find' (S. 33) und ihre Notwendigkeit gerade
aus ihrer Apofteriorität ziehen (!) (S. 120); daß niemand
,die Spur eines Beweifes' für das Dafein von Kategorien,
die der Erfahrung vorausgehen (S. 67), erbringen, und
daß die Einbildungskraft nicht zwifchen Verftand und
Anfchauung vermitteln kann (S. 80); daß die Antinomien
ein Widerftreit der Vernunft mit dem Verftande find,
wobei der letztere hegt (S. 158); daß endlich die Ideen,
weil theoretifch ohne wahre Objektivität, auch praktifch
bedeutungslos werden (S. 197).

Nehmen wir gleich hier zur ,Metakritik' des Verf.s
kurz Stellung, fo ift anzuerkennen, daß im ,tranfzenden-
talen Idealismus' die Schwäche der Kantifchen Pofition
liegt, wie fich befonders in den Widerfprüchen zeigt,
die fich an die Lehre vom ,Ding an fich' anheften. Docli
fcheint uns das Problem der ,Krit. der rein. Vern.' keineswegs
nur im ,Tranfzendentalismus' zu beftehen, wie
Verf. meint. Verf. hatte beffer getan, fich an Kants eigene
Problemftellung zu halten. Kant verfucht eine Kritik
der Vernunft zu geben. Ihm ift es darum zu tun, die
Möglichkeit allgemein-gültiger und notwendiger
Erweiterung unferer Erkenntnis aufzuzeigen. Daran geht
die Metakritik völlig vorbei, wie fich am beften daran
zeigt, daß nach ihr die mathem. Urteile ihre Notwendigkeit
aus ihrer Apofteriorität ziehen follen. Der Grund
liegt darin, daß fie die ,Krit. d. rein. Vernunft' pfycho-
logiftifch verfteht (vgl. bef. S. 67).

Der zweite .aufbauende 1 eil' des Buches (S. 211—422)
(teilt das Wefen der Erkenntnis unter pfychologifchem
und metaphyfifchem Gefichtspunkt dar. Unter erfterem
ergibt fich nach des Verf.s eigener Anficht (vgl. S. 407 f.)
als das Wichtigfte die Ableitung der Erkenntnis aus dem
Gefühl. Im Fahlen liegt ,der letzte Stützpunkt der Erkenntnis
' (S. 231). Das Sachgefühl, das zwei Seiten hat:
,das Seinsgefühl und das Wefensgefühl' (S. 237), ermöglicht
erft die Aneignung des Empfindungsftoffes; aus dem
Zwangsgefühl der Empfindung entfpringt die ,Dingbe-
züglichkeit'; und dadurch, daß fich das empfindende
Subjekt nur fo auf das Empfundene beziehen kann, ,daß
es fich zugleich auf fich felbft bezieht' (S. 278), liegt im
Gefühl ,der Urfprungsort der Entftehung des Denkens',
,denn hier liegt ja von Anfang an ein inneres Beziehen

und und Unterfcheiden vor' (id.). Die Unterfcheidung der
einzelnen Gegenflände von einander ift daher erft mittelbar,
weil nur durch gemeinfame Beziehung auf das Subjekt
möglich. In der Betrachtung der Erkenntnis unter metaphyfifchem
Gefichtspunkt handelt es fich dem Verf. befonders
um das richtige Verftändnis der Kaufalität. Das
Spezififche derfelben ift .dingliches Wirken'. Beweis dafür
ift inneres Erleben (S. 310). Die Urfächlichkeit mehrerer
auf einander wirkender Dinge wird von hier aus erft
durch ,analogifche Induktion' abgeleitet. Diefe hat ,als
völlig ficher zu gelten' (S. 323). Um den Zufammenhang
des Wirkens verftändlich zu machen, bedarf es einer
dritten Urfache. Sie muß den wirkenden Dingen gegenüber
zugleich immanent und tranfzendent fein (S. 335 f.).
Hier liegt der .zwingende' Beweis für das Dafein Gottes
vor. Die Allurfache hat Bewußtfein ohne empirifche
Schranken. Sofern das Einzelbewußtfein nur durch das
Allbewußtfcin möglich wird, find feine einzelnen Äußerungen
diejenigen des,Welt-Ich'. Diefes aktualifiert in jenen
die .doppelfeitige Anlage des Eigen- und Fremdbe-
wußtfeins' (S. 368), daraus folgt, daß die fog. ,üenk-
formen' Kants in Wirklichkeit Seinsformen find (S. 358).
Der .tranfzendentale Idealismus' ift überwunden (ib,) die
wahre Metaphyfik im Sinne der .Emphyfik', ,die die Welt
als einen Zufammenhang von urfprünglich innerlich feienden
Dingen anfleht', ift in ihr Recht eingefetzt (ib.).

Überfchaut man den zweiten Teil von Schw.s Buch,
fo fällt das Fehlen des logifchen Gefichtspunktes auf.
Die Unterfuchung bleibt in den Feffeln des pfychologi-
fchen Gefichtspunktes hängen. Das zeigt am deutlich-
ften ein Satz wie auf S. 362: ,Erkenntnis gibt es unmittelbar
nur für das Individuum'! Der metaphyfifche Gefichtspunkt
aber erweift fich als nicht fruchtbar für das
Verftändnis des Wefens der Erkenntnis. Denn .der Verf.
muß felbft zugeben ,die Frage: wie die Allurfache fich:
Bewußtfein fchaffend und erleuchtend betätigen könne,
läßt fich nicht beantworten' (S. 369). Die Allurfache
war aber eingeführt, um das Erkenntnisproblem zu löfen.
Statt deffen hat fie ein anderes an feine Stelle gefetzt.
Der größte Mangel der pofitiven Erörterung ift der, daß
der Grad der Gewißheit der einzelnen Erkenntniffe nicht
aufgezeigt wird. Gefühlswahrheiten, Wahrfcheinlichkeiten,
Analogien fungieren als abfolut gewiß. — Im einzelnen
fei nur noch ein Doppeltes hervorgehoben: die Ableitung
des Denkens aus dem Gefühl icheint uns unmöglich.
Weder erleben wir unfer Ich nur im Gefühl — nach dem
Verf. hat ja auch jede Empfindung einen Beziehungspunkt
zum Ich vgl. S. 216 —, noch unterfcheiden wir die
Gegenftände erft nach ihrem Gefühlseindrucke, noch ift
endlich die Unterfcheidung der Gefühle felbft eine Tätigkeit
des Gefühls, fondern bereits Sache des beziehenden
Denkens. Zum anderen fei darauf hingewiefen,
daß das Problem der Kaufalität durch Einführung einer
,dritten Urfache' nicht zu löfen ift. Sie ftatuiert das
Problem nur noch einmal, und wir müßten eine vierte
Urfache poftulieren und fo fort. Die Konfequenzen für
des Verf.s Gottesbeweis find aus dem Gefagten leicht
zu ziehen.

Göttingen. Heinzelmann.

Hunzinger, Prof. Lic. Dr. A. W., Der apologetifche Vortrag
, feine Methodik und Technik. Leipzig, A. Dei-
chert'fche Verlagsbuchhandlung Nachf. 1909. (IV
51 S.) gr. 8° M. 1.20; kart. M. 1.50

Das Büchlein enthält Vorlefungen, die auf dem
dritten apologetifchen Inftruktionskurfus zu Berlin im
Oktober 1908 gehalten und bereits in der Monatsfchrift
,Die innere Miffion im evangelifchen Deutfchland' veröffentlicht
worden find.

Sie handeln im allgemeinen von Methode und Technik
des apologetifchen Vortrags; im befonderen 1) von ,Wefen