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Ausgabe:

1910 Nr. 16

Spalte:

491-493

Autor/Hrsg.:

Egli, Emil

Titel/Untertitel:

Schweizerische Reformationsgeschichte. Bd. I. Umfassend die Jahre 1519 - 1525 1910

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 16.

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in der Vorbemerkung erklärt. Den größten Teil feiner
Auswahl hat diefer Seufes Autobiographie entnommen
; kleinere Abfchnitte hat er aus dem .Büchlein der
ewigen Weisheit' und dem ,Briefbüchlein' ausgewählt.
Seine Überfetzung ift unabhängig von Denifles neuhoch-
deutfcher Übertragung des .Exemplars' von 1880 ent-
ftanden; das fertige Manufkript hat er dann, Denifle
vergleichend und nach dem Urtexte nachbeffernd, nochmals
durchgearbeitet. Das mittelalterliche Deutfch follte
feine traute Eigenart möglichfl bewahren und ift darum
nur ein klein wenig modernifiert worden, indem hier
und da die Konftruktion vereinfacht oder ein verfchol-
lenes Wort durch ein gebräuchlicheres erfetzt wurde.
Selbft myftifche termini technici wie Selbftheit, Anderheit
, Entwordenheit, Entfunkenheit ufw. hat Oehl beibehalten
. Die Ausftattung des Büchleins ift fehr hübfch,
der Preis fehr billig.

Zwickau i. S. O. Clemen.

Egli, Prof. D. Emil,-;-, Schweizerilche Reformationsgefchichte.

Band I. Umfaffend die Jahre 1519—1525. Im Auftrage
des Zwinglivereins in Zürich herausgegeben von
Dr. theol. u. phil. Georg Finsler. Zürich, Zürcher &
Eurrer 1910. (XVI, 424 S.) gr. 8° M. 8—

Das im Auftrag des Zwinglivereins von G. Finsler
herausgegebene Werk aus dem Nachlaß des zu früh der
neu erblühten Arbeit für die Schweizerifche Reformation
und der Neuherausgabe von Zwingiis Werken entriffenen
E. Egli ift nicht nur ein literarifches Ehrendenkmal, das
ihm dankbare Pietät widmet, fondern auch ein Gewinn
für die Wiffenfchaft. Mit vollem Recht durfte Egli
auf dem Umfchlag feines Manulkripts bemerken: ,Ein
großer Fortfehritt gegenüber Wirz-Kirchhofer ift erreicht
', und zugleich den Wunfeh ausfprechen: Möchte
der Druck möglich werden! Freilich hat Egli fein Manufkript
fchon am 1. Okt. 1902 abgefchloffen, da die neue
Zwingli-Ausgabe feine volle Kraft in Anfpruch nahm,
hoffte aber fpäter die Stücke, welche er nur mit ziemlich
druckfertig' bezeichnete, noch einmal vornehmen
und die fehlenden Stücke ausarbeiten zu können. Aber
feine fchwere Erkrankung ließ ihn nicht mehr dazu
kommen.

Obwohl nun feitdem Dierauers dritter Band der Ge-
fchichte der Schw. Eidgenoffenfchaft und die neue
Zwingli-Ausgabe vieles in andere Beleuchtung fetzte,
und der Briefwechfel Vadians und der Brüder Blarer
neue Quellen erfchloß, hat Finsler doch gut daran getan,
die reiflich erwogenen Ergebniffe jahrelangen Studiums
ohne einfehneidende Änderungen und Beifügung neuen
Stoffs darzubieten, und fich darauf befchränkt, das vorliegende
Manufkript druckfertig zu machen, die zahlreichen
Zitate zu ergänzen und nach den Neudrucken
von Zwingiis Werken und Bernh. Wyß Chronik anzugeben
. Die vereinzelten Wiederholungen S. 17 und 51,
S. 36 und 47 konnte er belaffen.

Egli hatte das ganze Werk auf zwei Bände angelegt
, von denen der zweite von den Bauernunruhen 1525
bis 1531 (Zwingiis Tod) reichen follte, während der erfte,
von ihm allein noch ausgearbeitete bis zum ,wefentlichen
Abfchluß der Züricher Reformation 1525' geht und in
zwei Abfchnitte zerfällt: 1. Evangelium und Territorium
1519—23. 2. Reformation und Intervention 1524—25. In
beiden Abfchnitten fteht Zürich voran, dann folgen die
einzelnen Gebiete. Im erften Abfchnitt fehlen Mül-
haufen, Rottweil, Biel, ebenfo im zweiten, aber hier auch
Schaffhaufen, Glarus, Gaffer, Freiamt, Bern, Solothurn,
Freiburg. Voraus hat Egli eine Einleitung geftellt, in
welcher er den Staat, die Kirche, die Religion, die reformvorbereitenden
Momente, den Humanismus, Zwingiis
Vorleben und das alte Zürich behandelt.

Wir erhalten ein Bild des ganz eigenartigen Staats-

I wefens der Schweiz, dem die Zentralgewalt fehlte, ein
Mangel, der für die Reformation günftig wirkte. Reich ift
der Gewinn, den nicht nur die Einleitung, fondern der
ganze Band für die Kenntnis des Staatskirchenrechts
I vor der Reformation und auch in den Gebieten, die fich
der Reformation verfchloffen, darbietet. Bei allen engen
j Beziehungen zum päpftlichen Stuhl, bei aller regen Kirch-
I lichkeit regt fich kühne ,ftaatsrechtliche Oppolition' und
zwar im Intereffe mittelalterlich katholifcher Kirchlichkeit
und Religiofität! (S. 23). Welche Sprache führt
nicht das Luzerner Vorkommnis, das Reformationsprogramm
der ftreng altgläubigen Innenfchweizer!
(S. 318 ff.). Man wird an den Reformationseifer des Herzogs
Georg von Sachfen erinnert. Die Taglatzung empfiehlt
, Bafel den alten Brauch, ,Kurtifanen ihre Bullen an
I den Hals zu hängen und fie unter einem Locken Waffer
zu inveflieren' (S. 34). Der Bann hat feine Schrecken
verloren.

Mit fichtlicher Liebe ift das Bild des alten Zürich
S. 37 ff. gezeichnet, wie überhaupt der Gang der Reformation
in Eglis Vaterftadt mit Recht den Kern feiner
Arbeit bildet. Doch finden wir überall Spuren feiner
eindringenden Forfchung und feines fcharfen klaren Urteils
. Vgl. die Bemerkungen zu Stähelins trefflicher

1 Zwinglibiographie S. 90 Anm. 2, 104 Anm. 1, und gegen

1 die Erklärung von ,Chorgericht' RE. 3, 817 ff. (S. 339)

! und Blöfchs Annahme eines befonderen Typus der

| Berner Reformation S. 181. Gründlich hat E. feine frühere
Arbeit über die Zürcher Täufer neu durchgefehen und ergänzt
. Hier fei noch auf die Darfteilung des Verhältniffes
von Thom. Münzer zu Konr. Grebel S.29iff. aufmerk-
fam gemacht und noch befonders hervorgehoben, daß
Egli ,Einflüffe mittelalterlicher kirchlicher oder
fektiererifcher Parteien auf die Züricher Täufer'

1 nicht für wahrfcheinlich hält. .Weder deutet Zwingli
derartiges an, noch hört man in der Gegend von

I Zürich jemals von Waiden fern, noch findet fich
von diefen und ihren Lehren irgend eine be-

! ftimmte Spur in unfern Quellen zur Täuferge-
fchichte' (S. 329 Anm.). Sehr zu beachten find die
religiöfen Erforderniffe und Vorausfetzungen für den
Empfang der Wiedertaufe und ihre Wirkungen S. 327.
Ergreifend ift die Schilderung der außerhalb der Schweiz

j wenig bekannten Martyrien von Klaus Hottinger S. 254 fr.
und der beiden Wirth, Vater und Sohn, und des Vogts
Rütimann von Nußbaum S. 284 ff. Für den Geift der
Reformationsgegner ift kaum etwas bezeichnender, als

i daß bei der Einladung Zürichs nach Baden zur Disputation
mit Eck nur dem Sieger freies Geleite nach
Haufe zugefichert wird, während der Unterliegende ,deffen

j nach Recht und Billigkeit entgelten follte' (S. 300).

Im einzelnen fei noch bemerkt, daß die Charakteriftik
des Bifchofs Hugo von Konftanz S. 20 zu günftig fein
dürfte. Vgl. Bl. f. württb. K.G. 1894, 23 ff., wo auf
Luthers Tifchreden B.A. 8, 285; E.A. 61, 287 hingewiefen
ift. Daß E. noch die Exiftenz des offenen Mandats von
1520 an alle Leutpriefter, Seelforger und Prädikanten zu
Stadt und Land, die Evangelien und Epifteln zu predigen,
mit Bullinger und der Verteidigungsfchrift Zürichs an
die Eidgenoffen annimmt, kann nicht überrafchen,
hat doch erft P. Wernle in den Zwingliana 1907, 166
dagegen Bedenken erhoben, die m. E. trotz W. Köhlers
Widerfpruch (ebd. S. 208) zutreffen. Denn exiftierte das
Mandat, wie konnte dann Konr. Hofmann im April 1522
(zum Datum Egli Ref.G. 63) erft ein folches fordern?
(Egli, Aktenfammlung Nr. 24 S. 65 Mitte: ,Die Obrigkeit
hätte bei dem großen Bann und „faft hocher buoß" allen
Prieftern ... zu gebieten, nur aus der heiligen Schrift
und den alten Lehrern das Volk zu unterrichten'.)
Noch auffallender wäre, daß das Mandat von 1520 nicht
erwähnt wurde, als allen im Klofler Oetenbach predigenden
Prieftern I. Dez. 1522 geboten wurde, .nichts andres
zu lehren, als was fie mit dem heiligen Mund Gottes