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Ausgabe:

1910 Nr. 16

Spalte:

486-489

Autor/Hrsg.:

Koch, Hugo

Titel/Untertitel:

Cyprian und der römische Primat. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Studie 1910

Rezensent:

Krüger, Gustav

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485 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 16. 486

für Jefus. In der Tat leidet der Verf. Außergewöhn- I ein, der Gefetzesdiend habe lediglich veräußerlichend
liches in gerechter, unvoreingenommener Behandlung | gewirkt. Im Gegenteil fieht er dch in der Bergpredigt
des Helden der Evangelien. Er fpricht von dem klaren j befonders oft an die rabbinifchen Lehren erinnert. Nur
prophetifchen Blick und dem reinen religiöfen Geide Jefu j id die rabbinifche Ethik nüchterner und weniger en-
(LXXXVI), von den erhabenen und originellen Elementen | thufiadifch (515). Den foliden Unterbau für feine Profeiner
Lehre (593). Befonders hervorragende Proben der- j tede foll ein dritter Band bringen, in welchem J. Abrahams
felben fieht er in der Bergpredigt und einzelnen Gleich- in einer Anzahl Noten, auf die M. bereits fortlaufend hin-
niffen; und er erkennt rückhaltlos an, daß gewiffe Worte gewiefen hat, gewiffe Stellen der Evangelien vom Stand-
Jefu an religiöfem und fittlichem Wert hinausgehen über j punkt des Rabbinen aus beleuchten wird. Diefer Schluß-

das Alte Tedament (225). Was diefes anlangt, fo liegt
es M. als Juden natürlich nahe, den weitgehenden Ein-
duß des A. T.s auf die fynoptifche Dardellung hervorzuheben
. Aber er id fehr weit entfernt davon, dem
ärmlichen Unternehmen, die Lehre Jefu redlos aus dem
A. T. oder gar der talmudifchen Weisheit herleiten zu
wollen, feinen Beifall zu fpenden. Im Gegenteil verteidigt
er die Selbdändigkeit Jefu und erklärt mit Nachdruck
, daß bei einem Vergleich der Evangelien und des
Talmud die Originalität fad dets auf Seiten der Evangelien
läge (CIV). In der Frage, was rein und unrein
fei (170 f), oder ob man das Eheweib kurzer Hand
mit einem Scheiclebrief entladen dürfe (235), tritt M.
durchaus auf die Seite Jefu, deffen unbeirrbarer ethi-
fcher Indinkt' Triumphe über Gefetz und rabbinifche
Praxis feiert.

An Jefu Handlungsweife lobt M. befonders feine
Stellung zum Sabbat, welche die eines aufgeklärten
Juden von heute fei (S. 92), weiter fein Verhalten
gegenüber den Kindern (244) und die Behandlung der

band verfpricht höchd intereffant zu werden und läßt
hodentlich nicht zu lange auf dch warten.

Marburg (Heden). Walter Bauer.

Koch, Hugo, Cyprian und der römifchePrimat. Eine kirchen-
und dogmengefchichtliche Studie. (Texte und Unter-
fuchungen zur Gefchichte der alttchridlichen Literatur
. Herausgegeben von A. Harnack und C. Schmidt.
3. Reihe. 5. Band, Heft 1.) Leipzig, J. C. Hinrichs'fche
Buchhandlung 1910. (IV, 174 S.) gr. 8° M. 5.50

An diefer Abhandlung haftet zunächft ein warmes
perfönliches Intereffe. Ihr Verfaffer, Profeffor der Kir-
chengefchichte an der Akademie in Braunsberg, hat feine
Vorlefungen im Sommerfemefter nicht wieder aufgenommen
. Der Anlaß dazu kann nicht nur in der Tatfache
liegen, daß nach Kochs Unterfuchung Cyprian als Zeuge
für den römifchen Primat ausfeheidet, fondern mehr noch
darin, daß Koch felbft fich Cyprians von ihm dargelegte
Sünder (985). Er hofft ttark, daß Jefus das Heil nicht Anfchauung unmißverftändlich angeeignet hat und fich

an die Anerkennung feiner Meffianität geknüpft hat an vielen durch das Buch verftreuten Stellen als Gegner

(2891!); und es würde ihn betrüben, wenn Jefus fo weit
die Demut vergeffen hätte, fich für den größten, weifeften,
Gott am nächlten flehenden Menfchen zu halten (105).

Daß Jefus die Menfchheit nicht fchlechthin überragt
hat, fleht dem Juden natürlich feft, ebenfo dem Modernen,
daß Jefus keine wirklichen Wunder vollbracht und die
Zukunft vorausgewußt habe. Zum ,Herrn' eignet fich
Jefus nicht; denn trotz all feiner unfehätzbaren Vorzüge
war er nicht vollkommen, gibt vielmehr Anlaß zu mancherlei
Beanflandung. Während die alten Propheten frei
find vom Dämoncnglauben, fleckt er mitten darin (66),
wie er auch die fchreckliche Vorflellung von der ewigen
Verdammnis feflhält (117). Das abfolute Scheidungsverbot
, das er erlaffen zu haben fcheint, ifl unannehmbar
(242). Jefus bleibt in Unklarheiten und Widerfprüchen
befangen (176), teilt das Mißverftändnis der meiden religiöfen
Reformatoren, als ob Ablehnung ihrer Anfprüche
moralifche Minderwertigkeit bedeute (631). Mit Paulfen
begegnet fich M. in dem Bedauern, daß die Verkündigung
Jefu der tätigen Abwehr des Unrechts keine Stelle einräume
(518). Und mit Schmerz kondatiert er, daß Jefus
ohne Bedenken die große Maffe für verloren erklärt
(251. 550). — Mag der Gefetzesdiend feine Mängel haben,
auch die Religion Jefu id nicht frei davon, bedenklich
vor allem ihre Tendenz zur Askefe und ihr Mangel an
Verdändnis für Familien- und Staatsleben.

Und noch etwas id zu rügen, was Jefus ebenfo wie
die Synoptiker und die modernen protedantifchen Ausleger
der Evangelien trifft: Die Behandlung der Phari-
fäer und Schriftgelehrten. Diefe kommen viel fchlechter
weg, als fie es verdienen. Der Jefus, der die Pharifäer
Otterngezücht nennt, hatte das Gebot der Feindesliebe
fo wenig vor Augen, wie die heutigen Antifemiten (519.
625). Wenn die Pharifäer als geldgierig verfchrien werden,
fo gehört das zu den Behauptungen, mitteld deren die
IWangeliden ihre Gegner anzufchwärzen fuchen (998).
Und die modernen Protedanten meffen den Pharafäern
gegenüber mit zweierlei Maß (1008). M. klagt laut, daß
die neueren Ausleger in folch darkem Vorurteil befangen
find, daß fie fich in ihrer Unkenntnis des Rab-
binentums allerlei Übertreibungen zu fchulden kommen
laden. Er legt geharnifchten Proted gegen die Meinung

nicht nur des Papalismus erweid. Er fchreibt (S. 67
Anm.): ,Der theokratifch-fouveräne Bifchof id in praxi
ziemlich demokratifch, aber ,römifch/ id er nicht. Je römi-
fcher er wurde, je mehr Rechte er nach oben einbüßte,
um fo eiferfüchtiger entfehädigte er fich nach unten. Die
Gefchichte der klerikalen Verfaffung id die Gefchichte
der Klerikalifierung, Aridokratifierung und Monachifierung
der Kirche, die Gefchichte der Entrechtung der Laien
und des „niederen Klerus". Oder S. 88: ,Es hat noch nie
eine Dogmatik ohne Zirkel gegeben, und der kirchliche
Konfenfus id noch immer dadurch zudande gekommen
daß man die Diffenters ausgefchaltet hat'. S. 103 Anm.:
,Das find Anfchauungen, die fpäter als Konfequenzen
des Wiclifitismus wieder auftauchen, der vom Geide
Cyprians jedenfalls inniger berührt war, als Gregor VII.,
wenn er dem Volke verbot, am Meßopfer eines verheirateten
Frieders teilzunehmen'. S. 104: ,Nur rede
man nicht fo viel von der Unveränderlichkeit der kirchlichen
Verfaffung und kirchlicher Anfchauungen, wo doch
alles, was in die Gefchichte eintritt, ihren Fluß mitmachen
muß oder als Wrack ans Land geworfen wird.
Das Mitfchleppen von Petrefakten id noch lange keine
Unveränderlichkeit'. Wenn man die römifchen Bifchöfe
der erden Jahrhunderte im Unterfchied von den andern
Bifchöfen als Päpde bezeichnet, fo (S. 127), ,follte man
fich bewußt bleiben, daß es eine Unterfcheidung ex
eventu id, die die ältede Kirche weder fprachlich
noch fachlich machte. Da dies meidens nicht gefchieht,
fo bleibt diefe Unterfcheidung, auf die Freiheit der
katholifchen Kirche angewandt, eine Altersrente für die
ungefchichtliche Vorflellung, der fie entfprang'. S. 137
,Im Reiche diefer (cyprianifchen) Gedanken hat die
romifche Infallibilität kein Heimatsrecht. Sie wuchs
aus anderem Samen und in anderem Klima empor. Die
erden Triebe lugten freilich fchon damals aus dem Erdreiche
der Kirche hervor — in Rom'. Endlich (S 146V
,Das Papdtutn id ein Produkt der Gefchichte eine
Schöpfung der Zeitverhältniffe und darker Perfönlich-
keiten'. Wer fo fchreibt — ich denke dabei auch an die
Form — deht zum mindeden nicht mehr auf dem Boden
der vatikanifchen Konditution. Koch wird das felbd
wiffen, denn er fagt im Vorwort, daß diefe Studie zum