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Ausgabe:

1910 Nr. 1

Spalte:

26-28

Autor/Hrsg.:

Braig u. a., Karl

Titel/Untertitel:

Jesus Christus. Vorträge auf dem Hochschulkurs zu Freiburg im Breisgau 1908, gehalten 1910

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 1.

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the leading of Jesus Christthe revealer. Diefem Programm
entfpricht die Dispofition der Schrift, wenigftens im
großen und ganzen: die Voranftellung der ethifchen Be-
ftimmungen, die Betrachtung der Wirkungen Gottes in
der Menfchheitsgefchichte und in dem Einzelleben, die
Unterordnung der kosmifchen Beziehungen unter die
religiöfen und heilsgefchichtlichen, endlich die Verlegung
der aus dem Glauben fich ergebenden Probleme an den
Schluß und die Prüfung der great objection gegen den
chriftlichen Gottesglauben, diefe Reihenfolge is the one
tliat seems to ine best suited to the cliaracter of the Christian
doctrinc. Allerdings dürften im einzelnen mancherlei
Ausheilungen zu machen fein. Die Liebe Gottes
behauptet nicht die alles beherrfchende Stellung, welche
durch die Vorausfetzungen des Verf.s geboten ift, fie wird
nicht als Wefensbezeichnung Gottes gefchaut, fondern
erfcheint als eine den andern ethifchen Charakterbedim-
mungen Gottes koordinierte Eigenfchaft; dasfelbe gilt
von der Vaterfchaft Gottes, wie fie im zweiten Teil
zwifchen dem Schöpfer und dem Herrn zur Darfteilung
gelangt. Auch fonft find einzelne Ausführungen nicht
einwandfrei.

Sehen wir indeffen von diefen rein formalen Bedingungen
ab, fo muß es mit Freuden begrüßt werden, daß
durch die ftete Orientierung der Gedanken an dem Zeugnis
Jefu als des Offenbarers Gottes, die von dem Verf.
behandelte Lehre ihr fcholaftifches Gepräge abgeffreift
und an religiöfer Lebendigkeit und Fruchtbarkeit wefent-
lich gewonnen hat. Dazu hat C.s Stellung zu der hl.
Schrift und die Art, wie er fie in Anwendung bringt,
fehr glücklich beigetragen; an Stelle des äußerlichen
Verfahrens der dicta probantia und der rein atomiftifchen
Verwertung des Bibelwortes, wird er der modernen Forderung
eines organifchen, ins große gehenden Schriftgebrauchs
gerecht. Damit hängt zufammen, daß der Verf.
für die praktifche Bedingtheit der religiöfen Glaubenserkenntnis
ein Verftändnis verrät, das fich in wichtigen
Ausführungen einen oft glücklichen Ausdruck gibt; man
vergleiche z. B. das Kapitel über die Trinität, in welchem
die abftrakt metaphylifche, in naturhaften Kategorien
fich bewegende Auffaffung aufgelöft wird in die durch
göttlicheOffenbarung bewirkteÜberzeugungundErfahrung
von der Gnade unfers Herrn Jefu Chrifti, welche uns die
Liebe des himmlifchen Vaters verbürgt und uns kraft
des heiligen Geiftes zu lebendiger Gewißheit und perfön-
lichem Befitze verinnerlicht wird (247). Ebenfo ift die
Ausfage über die Gottheit Chrifti eine praktifch bedingte
Ausfage über die erfahrbare Heilstätigkeit des Herrn
(224—5). In ähnlicher Weife behandelt Cl. das Lehrdück
von der Vorfehung. Daß indeffen der Verf. auch für die
Inftanzen des theoretifchen Erkennens ein offenes Verftändnis
befitzt, beweifen die Ausführungen des vierten
Teils. Das Kapitel über die Theodizee (Tki great objection
, 431 .ry.) ftellt die wichtigften hier berührten Einwendungen
, die weniger Denkfchwierigkeiten als Lebens-
rätfel betreffen, in das Licht der entwicklungsgefchicht-
lichen Betrachtung, welche auch für die Löfung des Problems
auf das praktifche Gebiet hinweift.

Clarkes Buch ift nicht bloß fürTheologen gefchrieben;
es darf auch das Intereffe der gebildeten Laien für fich
in Anfpruch nehmen. Die Kraft und Klarheit der Dar-
ftellung, die religiöfe Wärme, die fich durch die Behandlung
aller Fragen hindurchzieht, der Verzicht auf jeden
gelehrten Apparat, die ftete Bezugnahme auf die religiöfen
Grundgedanken des alten und des neuen Teftaments verleihen
der Schrift einen Charakter edler Popularität, durch
welchen fie gewiß dankbare Freunde gewinnen wird.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Jelus Chriltus. Vorträge auf dem Hochfchulkurs zu Freiburg
im Breisgau 1908, gehalten von Proff. DD. Karl
Braig, Gottfried Hoberg, Cornelius Krieg, Simon
Weber und Gerhard Effer. Freiburg i. B., Herder
1908. (VIII, 440 S.) gr. 8° M. 4.80; geb. M. 6 —
In Freiburg i/B. haben in den Jahren 1906 und 1908
unter fehr zahlreicher Beteiligung katholifch-theologifche
Hochfchulkurfeftattgefunden. Die bei dem zweiten diefer
Kurfe von den Freiburger theologifchen Profefforen und
dem Bonner Prof. Effer gehaltenen Vorträge find im vor-,
liegenden Bande gemeinfam publiziert. Als Thema war
für fie ,im Hinblick auf die Irrtümer unferer Tage' gewählt:
Jefus Chriftus'. Ich weiß nicht, ob darauf gerechnet war,
daß diefelben Zuhörer alle diefe Vorträge gleich nacheinander
hören follten. Das wäre eine recht ftarke Zumutung
an fie gewefen. Denn wenn das allgemeine Thema
auch in mehrere Spezialthemata zerlegt ift, die auf die
verfchiedenen Vortragenden verteilt waren, fo find diefe
Spezialthemata doch nicht fcharf von einander abgegrenzt.
Die verfchiedenen Vortragenden bieten oft in recht ermüdender
Wiederholung gleichartige Ausführungen, namentlich
in ihrer Polemik.

Den Beginn machen zwei Vorträge von Prof. G. Hoberg
: ,Der gefchichtliche Charakter der vier Evangelien'.
Im erden Vortrag fucht der Verf. mit literarhidorifchen
Gründen zu erweifen, daß die drei fynoptifchen Evangelien
fchon im erden chriftlichen Jahrhundert vorhanden waren.
Schon in der Didache, die wahrfcheinlich in den letzten
| Dezennien des erden chridlichen Jahrhunderts oder min-
dedens gleich nach dem Jahr 100 verfaßt fei, fei unfer
: Mt. benutzt und die Art diefer Benutzung zeuge dafür,
daß das Evangelium damals eine allgemein bekannte
Schrift war. Die innere Verwandtfchaft zwifchen den drei
! fynoptifchen Evangelien rechtfertige den Schluß, daß
I wenn Mt. bekannt war, auch die beiden anderen Evangelien
bekannt bezw. vorhanden waren. Für den Ge-
fchichtswert diefer Evangelien fpreche die Überzeugung
des ganzen chridlichen Altertums. Auch die ,kritifche
Forfchung' auf dem Boden des Protedantismus habe ihre
Verfuche, die Entdehung der fynoptifchen Evangelien in
das zweite Jahrhundert zu verlegen, aufgeben müffen.
Sind aber diefe Evangelien im erden chridlichen Jahr-
: hundert vorhanden gewefen, fo folge aus diefer Tatfache
allein die Gefchichtlichkeit ihres Inhalts. — Im zweiten
Vortrag fucht der Verf. den gefchichtlichen Charakter
des Johannesevangeliums fedzudellen, mit befonderer
| Berückfichtigung von Bretfchneiders Probabilia vom J.
j 1820. Der Lieblingsjünger des vierten Evangeliums fei
der Verfaffer diefes Evangeliums und müde mit dem
Apodel Johannes identifch fein. Durch diefe apodolifche
Verfafferfchaft werde der gefchichtliche Charakter des
j Evangeliums verbürgt.

Es folgen drei Vorträge von Prof. S.Weber: ,Die Gott-
j heit Jefu im Zeugnis der h. Schrift'. Im Alten Tedament
fei andeutend fchon da, wo von der prophetifchen und
priederlichen Wirkfamkeit des kommenden Meffias geredet
werde, deutlich aber da, wo von ihm als dem meffianifchen
König die Rede fei, feine göttliche Perfönlichkeit bezeugt
. ,Nicht nur in gelegentlicher feierlicher Stimmung,
nicht nur vereinzelt und zaghaft, fondern dauernd, allgemein
, fed und klarbewußt fchaut das Judentum vor
I Chridus einem göttlichen Meffias entgegen' (S. 53). Diefe
1 alttedamentliche Erwartung laffe fich nicht als Auswuchs
I natürlicher Religionsentwicklung betrachten. Sowohl die
Übereindimmung der verfchiedenen Verfaffer in diefer
Verkündigung vom Meffias als auch die überrafchende
Verbindung der Vordcllung von der Göttlichkeit des
Meffias mit der Idee von feinem Leiden müffe als Beweis
für den höheren Urfprung der alttedamentlichen Weis-
fagungen gelten. Und die tatfächliche Erfüllung der
fpeziell die gefchichtliche Erfcheinung des Meffias
betreffenden Verheißungen diene dann zur Erhärtung der