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Ausgabe:

1910 Nr. 14

Spalte:

442-443

Autor/Hrsg.:

Simons, Eduard

Titel/Untertitel:

Die Konfirmation 1910

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 14.

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Wiffens gegenüber der des Glaubens, im Nachweife der
praktifchen Seite des Menfchengeiftes und feiner ,Triebe',
im Schematismus der Idee durch diefe und in ihrem
Lebendigfein im Gefühl fowohl die Anlage der Religion
im Menfchengeifte überhaupt als auch den geheimen
Quellort aller ihrer gefchichtlichen Erfcheinungen, als
auch den Grund ihres allgemeinen Anfpruches auf Wahrheit
, ja auf höchfte und letzte Wahrheit überhaupt'
(S. 193 f.). Aber die Friesfche Philofophie vermag noch
mehr Nutzen zu ftiften. Mit ihrer .Lehre vom Gefühl'
erfchließt fie das Verftändnis dafür, ,wie es Religion in
fo verfchiedenen Einzelerfcheinungen geben kann'. Und
zu guter Letzt weift fie auch noch ,das Vermögen des
Geiftes' auf, durch das ein .Abwerten' der verfchiedenen
Religionen gegen einander möglich wird, nämlich ,die
freie Urteilskraft aus bloßem Gefühl und ihren Anfpruch
auf Gültigkeit ohne Beweis'. So läßt fich dank den
Friesfchen Philofophemen eine Grundlage fchaffen, auf
der dann die chriftliche Religionswiffenfchaft fortarbeiten
kann. Denn diefe hat nun natürlich noch weitere Aufgaben
zu löfen, insbefondere die, ,Wefen und Geift des
Chriftentums aufzufaffen, darzuftellen und es in Form
von Lehre, fowohl kritifch erläuternd wie ausgeftaltend
und entfaltend, zu praktifcher Ausübung und Pflege darzuftellen
und mitzuteilen'.

Was dem Unterzeichneten das Befte dünkt an dem
Werk ift die unfraglich fehr glückliche Wiedergabe der
Friesfchen Gedankenwelt. Insbefondere der Abfchnitt,
der fleh auf die Vernunftkritik bezieht, ift ganz vorzüglich
gelungen. Hier kommt die glänzende Befähigung
des Autors für anfehauliche und klare Erörterung felbft
fehr fchwieriger Themata zu voller Geltung. Dagegen
fallen die fpäteren Partien, wie fleh vielleicht allein fchon
an den wenigen mitgeteilten Zitaten ermeffen läßt, min-
deftens in formaler Hinficht einigermaßen ab. Sie machen
den Eindruck haftiger geichrieben zu fein als die Anfangskapitel
und flehen nicht ganz auf der Höhe deffen,
was uns der Stilkünftler, als den der Verfaffer fleh
gelegentlich erwiefen hat, fonft zu bieten pflegt.

Was die Sache felbft betrifft, fo fei es geffattet,
wenigftens eines an diefer Stelle zur Sprache zu bringen.
Otto behauptet mit Recht, daß der Friesfchen Religions-
philofophie infofern ein gewiffes aktuelles Intereffe anhafte
, als fie der Frage nach dem .religiöfen Apriori'
entgegen kommt. Er findet allerdings — und man wird
ihm darin nur herzlich zuftimmen können —, daß der
Ausdruck ,religiöfes Apriori' .nicht fehr glücklich und
mit Mißverftändniffen umgeben' fei. Doch verbindet er
für feine Perfon damit einen ganz beftimmten eindeutigen
Sinn, fo daß eine Diskuffion möglich wird: das fei gern
und rühmend anerkannt. Danach beftände das religiöfe
Apriori vor allem in gewiffen unmittelbaren Vernunft-
erkenntniffen, die unabhängig von Erfahrung, wenn gleich
nicht ohne Erfahrung zuftande kommen, die dann durch
die praktifche Vernunft pofitiv ausgeftaltet werden und
im ahnenden Gefühl unmittelbar erlebt werden. Freilich
ift fofort hinzuzufügen, daß die Gültigkeit jener unmittelbaren
Erkenntniffe niemals bewiefen werden kann, fondern
auf dem Zutrauen der Vernunft zu dem Wert ihrer unmittelbaren
Erkenntnis beruht. Hier erhebt fich nun von
felbft die Frage, ob nicht eben dies Zutrauen der Vernunft
einen Ausfluß oder ein Ingrediens des religiöfen
Vertrauens überhaupt bildet als der Zuverficht zu einer
Ordnung über der Vernunft und dem Gegebenen, die
den Sieg der Vernunft und den Wert ihrer Auseinander-
fetzung mit dem Gegebenen verbürgt, fo daß das religiöfe
Vertrauen die Vorausfetzung für die Gültigkeit
jeder Vernunfterkenntnis, nicht umgekehrt irgend eine
Vernunfterkenntnis die Vorausfetzung für die Gültigkeit
des religiöfen Vertrauens bildete. Das ift eine An-
fchauung, der bekanntlich eine beftimmte moderne er-
kenntnistheoretifche Richtung fehr nahe kommt. Und
man fage nicht etwa, daß das religiöfe Vertrauen ohne

gewiffe metaphyfifche Vorftellungen nicht möglich fei.
Gewiß involviert es ftets transzendente Vorftellungen.
Aber darum dreht fich eben heutzutage ein wichtiger
Streit, ob diefe Vorftellungen emotionalen oder kognitiven
Urfprungs find. Das erftere behaupten Biedermann,
Pfleiderer, Girgenfohn; das letztere andere. Wir verdanken
neuerdings H. Maier (Pfychologie des emotionalen
Denkens) den Nachweis, daß Vorftellungen emotionalen
Urfprungs fein können ohne deshalb bloße
.Poftulate' zu fein.

Vielleicht läßt fich die Differenz, die zum Ausdruck
gebracht werden foll, noch durch Nachftehendes verdeutlichen
. Nach der Friesfchen Betrachtungsweife beruht
die Religion in letzter Inftanz auf einer apriorifchen
Anlage, das heißt, auf einer unmittelbaren, von der Erfahrung
unabhängigen, allgemeingültigen und notwendigen
Erkenntnis, die fich von der den Erfahrungswifferifchaften
und der Mathematik zu Grunde liegenden unmittelbaren
Erkenntnis nur infofern unterfcheidet, als fie nicht an-
fchaulich ift. Nach der vom Unterzeichneten vertretenen
Anfchauung wurzelt die Religion als das Vertrauen, daß
die Vernunft mitfamt ihren apriorifchen Anlagen etwas
objektiv Gewolltes, alfo Seinfollendes und unbedingt Wertvolles
ift, nicht in einer apriorifchen Anlage als folcher,
fondern tiefer noch in einem Akt der Freiheit, den Gott,
der über der .Vernunft'und dem .Gegebenen' waltende und
deren Verhältnis beftimmende Wille, vom Vernunftwefen
verlangt, — wodurch nicht ausgefchloffen ift, daß feine
Gnade ihn zugleich in denen wirkt, die fich ihr nicht ver-
fchließen. Diefe Auffaffung wird dem Wirklichkeitsbilde
und der Tatfache, daß nicht jeder gleichfam notwendig
religiös ift fondern immer nur derjenige, der leben will, in
weit höherem Maße gerecht als die abgelehnte Auffaffung.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Simons, Prof. Dr. P2duard, Die Konfirmation. Tübingen
J. C. B. Mohr 1909. (VII, 63 S.) gr. 8« M. 1 —

Die Konfirmationsfrage ift eine Lebensfrage der
evangelifchen Kirche. Seit 40 Jahren kann fie nicht zur
Ruhe kommen, fie darf es auch nicht, folange die Miß-
ftände der Konfirmationspraxis nicht befeitigt find und
gefunderen und wahreren Verhältniflen Platz gemacht
haben. Die vorliegende Schrift von Simons ift durch
ihren vortrefflichen Inhalt und durch die klaren, nüchternen
und von dem wärmften religiöfen und pädagogi-
| fchen Intereffe getragenen Erörterungen vornehmlich
dazu berufen, in weiten Kreifen der Gemeinde Verftändnis
für das Problem und Glaubensmut zu verbreiten,
auf die hochnötige Reform zu dringen und fie in die
Hand zu nehmen. Es handelt fich bei ihm in der Tat um
eine Reform, nicht um radikale Änderung oder gar Verwerfung
der Konfirmation. In dem erften Abfchnitt:
,Zur Gefchichte der Konfirmation' (S. 4—11) werden wir
in kurzen kräftigen Strichen von den Anfätzen im N.T.
(Act. 8 und 19) und von der römifchen Firmung bis zur
allgemeinen Einführung der evangelifchen Konfirmation
(1832) geführt. Über die von Butzer flammende Heffifche
Konfirmation (feit 1539) ift jedoch das Urteil, der Schwerpunkt
ruhe in der Beziehung auf die Gemeinde, wohl etwas
zu günftig formuliert. Der Schwerpunkt ift vielmehr die
,Handauf legung' und die .Leiftung des Hl. Geiftes'; daß
die Kinder lieh ,in den Gehorfam der Gemeinde begeben',
heißt wohl nur, daß fie fich der Kirchen zu cht unterwerfen.
Die Bedeutung der Konfirmation (S. 12—24) fieht der Verf.
darin, daß fie ,der feierliche Abfchluß der Vorbereitung
ift, welche die Gemeinde durch den Pfarrer ihrem Nachwuchs
zuteil werden läßt, damit er fähig werde1), aller
Güter, die der Gemeinde gegeben find, fich zu erfreuen
und zugleich die Arbeit an feinem Teil und zu feiner Zeit
weiter zu fuhren, die einer chriftlichen Gemeinde in diefer

1) Von mir gefperrt.