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Ausgabe:

1910 Nr. 13

Spalte:

406-407

Autor/Hrsg.:

Klotz, Philipp

Titel/Untertitel:

Johann Michael Sailer als Moralphilosoph 1910

Rezensent:

Hoffmann, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 13.

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von Bindegliedern zurückgeblieben wäre; denn die I Engert, DD. Jofeph, Hermann Samuel Reimarus als Meta-
Trennung ift nicht, wie in Frankreich von einem kirchen- | phyfiker. Ein Beitrag zur Gefchichte der Metaphyfik.

feindlichen, fondern von einem religions- und kirchen
freundlichen Geift vollzogen worden. Solche Bindeglieder
find neben einigen Reften von Verfaffungsbeltimmungen,
die in einigen Staaten noch etwa das Dafein Gottes von
den Bürgern anerkannt wiffen wollen, die Beftimmungen
ber den Sonntag und über den Gebrauch der Bibel in
in den Schulen; H. ftellt die geltenden Beftimmungen
überfichtlich nebeneinander. H. fieht die Folgen der
Trennung fehr günftig an: die Religion äußert fich fpon-
tan und wahrhaftiger als fonft, die befondere Eigenart
jeder Gemeinfchaft kann fich fchrankenlos entwickeln,
die Kirchen können fich leichter fozial betätigen; da

(Studien zur Philofophie und Religion, herausgegeben
von R. Stölzle. Zweites Heft.) Paderborn, F. Schöningh
1908. (VIII, 160 S.) gr. 80 M. 3 —

Klotz, Dr. Philipp, Johann Michael Sailer als Moraiphiloloph.

Ein Beitrag zur Gefchichte der chriftlichen Ethik im
XlXJahrhundert. (Studien zur Philofophie und Religion,
herausgegeben von R. Stölzle. Drittes Heft). Paderborn,
F. Schöningh 1909. (VIII, 174 S.) gr. 8" M. 3.40

Engerts Arbeit zerfällt in drei Abfchnitte. Der erfte

1 treten für H die Schattenfeiten, das eigentlich j behandelt des Reimarus Logik und Erkenntnistheorie, der
amerikanifche Chriftentum und der Wettbewerb der ; zweite ferne Naturphilofophie, der dritte feine /Theodizee
Kirchen zurück. Er fchließt feine wertvolle Studie mit ' and Religion. Der erfte ruht auf des Reimarus ,Vernunft-
einem kurzen Bericht über die Verfuche, die einzelnen | ehre', der zweite und dritte vornehmlich auf feiner .Abhandlung
über die vornehmften Wahrheiten der natürlichen
Religion', wozu für Teile des zweiten noch feine ,Betrachtungen
über die Triebe der Tiere' kommen. Der erfte

Kirchen in ein freundfchaftliches Verhältnis zu bringen,
die 1905 in der Church Federation, einer Gefinnungsver-
einigung zur Tat wurden, deren Beftand davon abhängt,

ob fie ihren Gliedern genug Arbeit zufchieben kann. - fchließt lieh fehr eng an die Vorlage an, ift im wefent-
Vendeiche ich mit diefer Darfteilung die von Tröltfch ! liehen ein z. T. ausführliches z. T fummar.fches Excerpt
in feiner Rektoratsrede ,Die Trennung von Staat und | derfelben mit vielen wörtlichen Herubernahmen, an das
Kirche ufw 1906 fo habe ich den Eindruck, als wenn ; fich eine kurze Krltlk anfehheßt. Etwas freier fleht der
H die von Tröltfch neben allen Vorzügen auch betonten i Verfaffer feinem Stoffe im zweiten und dritten Abfchnitte
Schattenfeiten etwas ftark zurücktreten ließe. Daß er [ gegenüber, doch bietet auch hier die Arbeit nicht viel
fich mit einer Schilderung ohne Vergleich und Nutzan- 1 mehr als elne fchlichte Reproduktion der Schriften
Wendung begnügt, ift nicht fchlimm; denn es ift beffer, ! des Reimarus, ohne ftarkere innere Durchdringung des
wenn diefes jeder für fich felbft beforgt. Außerdem hat l Stoffes, fo daß wir zwar viele richtige Linzelausführungen,
dafür Tröltfch reichlich Stoff gegeben. aber kein plaftifches Gefamtbild der Ideenwelt des Rei-

Den fchwierigften Punkt diefes Verhältniffes be- marus erhalten. Nach einer Seite hin muß das eben
handelt in dem zweiten Heft Clemen. In einer kurzen ausgefprochene Urteil aber emgefchränkt werden: der
Einleitung ftellt er die Verhältniffe in der Gegenwart i Verfaffer unterlaßt es nicht, der Herkunft der Anfchau-
dar: die Schule ift religionslos, und dies ihr Gepräge ungen nachzugehen. Er hat dabei natürlich oft auf Leibniz
wird faft allfeitig anerkannt und beachtet. Dann be- und Wolff hinzuweifen. Nicht feiten behauptet er auch
pricht er an der Hand von Gefetzesbeftimmungen und Beziehungen zur Scholaftik, m. E. mit Recht. Sie erklären

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Lehrplänen den Moralunterricht; deffen Mängel beftehen
in dem Fehlen der fog. weiblichen Tugenden und tiefer-

fich aus dem noch nicht völlig abgebrochenen Konnex
des Reimarus mit der proteftantifchen Schulphilofophie.

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greifender Beweggründe, ganz abgefehen davon, daß ' Dagegen werden, obgleich Engert die empiriftifche Ader
zwar alle mögliche andere Literatur, aber nur keine des Reimarus keineswegs verkennt, Beziehungen zu Locke
chriftliche benutzt werden darf. In dem folgenden Ab- entfehieden abgelehnt. Ob Engert damit gegenüber den
fchnitt bekommt man einen großen Eindruck von dem Vermutungen Schettlers (Die Stellung des Reimarus zur
amerikanifchen Sonntagsfchulwefen. An feiner päda- Religion. Diff. Leipzig 1904) und Zarts (Einfluß der
gosifchen Entwicklung kann man fehen, daß es alle englifchen Philofophen auf die deutfehe Philofophie des
unfere Fehler und auch untere Fortfehritte getreulich | l8- Jahrhunderts 1881) Recht hat, ift mir zweifelhaft,
mitgemacht hat: vom gröbften Memoriermaterialismus Sailers Moralphilofophie zu unterfuchen, ift gewiß

unef einer kindifchen Zwangszufchneidung der Lektionen j ein um ihrer Bedeutung wie hiftorifchen Wirkung willen
erhebt es fich zu einer freieren Weife, die befonders 1 dankenswertes Unternehmen. Über die Ausführung ift
durch die echt amerikanifche Berückfichtigung der Kindes- Ahnliches zu fagen wie über die Engerts. Der Verfaffe*
natur bedingt ift. Nachdem C. ganz ausführlich über die gibt zunächft in einem erften (einleitenden) Abfchnitt
Studien der Kinderpfychologen und die ihren Ergeb- (S. 1—26) eine kurze Überficht über Sailers Leben, feinen
niffen angepaßten Lehrpläne berichtet hat, die fich im Charakter und feine Werke, fchildert die Philofophie und
ganzen mit unferen Gedanken berühren, ftellt er noch Theologie zu Sailers Zeit und Sailers Stellung zu ihr.
die Einrichtungen zufammen, die der Ausbildung der Der zweite Abfchnitt ift der Körper des Ganzen, er beLehrkräfte
dienen follen: dazu gehören z. B. die von Chrift- 1 handelt Sailer als Moralphilofoph (S.27—153). Ein kurzer
liehen Vereinen junger Männer eingerichteten Schulen i Schlußabfchnitt (154—171) kennzeichnet die Bedeutung
für zukünftige Vereinsbeamte, Kurfe und Sommerfchulen | der Moralphilofophie Sailers für feine und unfere Zeit.

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für Sonntagslehrer und endlich eine Schule für religiöfe
Pädagogik. — Auch Cl. enthält fich jeder Kritik und
jeder Nutzanwendung; aber die Vorzüge und Mängel
diefes Syftems im Vergleich mit unferen Verhältniffen
liegen zutage. Wieder hilft die oben genannte Arbeit
von Tröltfch, fie im einzelnen zu erkennen und zu
würdigen.

Heidelberg. Niebergall.

Die Darftellung der Sailerfchen Moralphilofophie befteht
im wefentlichen in einer Wiedergabe der Hauptgedanken
feines ,Handbuchs der chriftlichen Moral' in engfter Anlehnung
an die Dispofition desfelben und mit Beibringung
zahlreicher Zitate. Dem werden an verfchiedenen Stellen
Gedankengänge aus feiner ,Glückfeligkeitslehre aus Vernunftgründen
mit fteter Rückficht auf die Urkunden
des Chriftentums' eingefügt, was nicht immer ganz ohne
Störung des Zufammenhanges abgeht. Der Darftellung
liegt ein richtiges Verftändnis der Eigenart Sailers zugrunde
, fie ift klar und von wohltuender Liebe zu ihrem
Stoffe getragen. Aber freilich, die treibenden Gedanken
der Sailerfchen Morallehre find nicht prägnant herausgearbeitet
. Das zeigt fich fchon in der Dispofition. Der
Verfaffer beklagt felbft den Mangel einer fyftematifchen