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Ausgabe:

1910 Nr. 12

Spalte:

355-357

Autor/Hrsg.:

Allen, Willoughby C.

Titel/Untertitel:

A critical and exegetical Commentary on the Gospel according to S. Matthew 1910

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 12.

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ten, durch die aufzeigende Art der göttlichen Erziehung, j er zunächft am Anfang die entfcheidenden Daten zu-
durch die Zeitbedingungen und durch den rein referie- I fammengeftellt hätte, auf Grund deren die Kritik zu der
renden Charakter vieler AT.lichen Schriften als Ge- j Behauptung der Priorität des Markusevangeliums kommt,
fchichtsbücher; fie können außerdem den Ruhm des AT. fo etwa wie namentlich Wernle es in feiner ,fynoptifchen
als des klaffifchen Weltbuchs der Ethik nicht verkürzen. J Frage' neuerdings mit Meifterfchaft getan hat. Man darf
Befonders ausführlich befpricht S. die Manifeftation Gottes | jene Thefe von der Abhängigkeit des Matthäus von
in der Gefchichte; die AT.lichen Schriftfteller, befonders j Markus doch niemals zum Dogma, das keines Beweifes
die Propheten, haben allein die richtige Erkenntnis von . mehr bedarf, werden laffen.

dem planmäßigen, auf ein Ziel hinführenden Walten Eine andere Quelle für den Stoff, der durch das

Gottes und von den in der Gefchichte wirkenden Ge- | Markusevangelium gedeckt wird, erkennt A. weder für
fetzen Gottes, wobei die Erwählung, die Solidarität, die Luk. noch für Mtth. an. Die vielen gemeinfamen Ab

Vergeltung und die Kraft des ftellvertretenden Leidens

Schriftfteller find die einzigen, die uns fo von dem gött-

weichungen des Mtth. und Luk. von Mrk. fucht er fich

als göttliche Methoden erkannt werden. Die biblifchen durch textkritifche Erwägungen, refp. durch Annahme

einer partiellen Abhängigkeit des Luk. von Mtth. zu erhöhen
Wefen und Wirken den richtigen Auffchluß geben, klären.

und das konnten fie dadurch, daß der göttliche Geilt in Über die zweite Grundpofition moderner Evangelien-

ihnen tätig war. kritik, die Annahme einer gemeinfamen Redequelle für

Für den Verf. kommen die Männer der israelitifchen Mtth. und Luk, äußert fich Allen fehr zurückhaltend
Religion vorwiegend als Schriftfteller, nicht als lebendige [ und lkeptifch. Nun ift ja zuzugeben, daß die Redequelle
Zeugen in Betracht. Die Ausführungen über die Bibel- ! natürlich, auf das einzelne gefehen, eine fchwer greifbare
kritik und die über die Infpiriertheit find nicht recht in Größe fei, und daß felbft der Satz, daß alles Redematerial,
Einklang gebracht. Nicht die literarifche Kritik erfchwert j das Mtth. und Luk. gemeinfam haben, auf die Logia zu-
den Glauben an den göttlichen Urfprung, fondern die rückzuführen fei, — fich zu abfoluter Evidenz nicht
Erkenntnis der im AT. vorhandenen fremden Stoffe, der J bringen laffe. Aber die Gegengründe, die A. hier bei-
Verwandtfchaft der israelitifchen Literatur mit den Litera- bringt, find doch recht fadenfcheiniger Natur. Er weift
turen der anderen Völker, der moralifchen Anftöße und namentlich auf die ftark differierende Überlieferung des

der Irrtümer. Auf den Wert der außerbiblifchen Religionen
läßt fich der Verf. nicht ein, ebenfowenig auf
die Frage, wie die Infpiriertheit der biblifchen Autoren
zu denken fei. Im einzelnen beobachtet er gut und
fchreibt mit Wärme.

Redeftoffes bei Mtth. und Luk., auf den verfchiedenen
Umfang, die Widerfprüche in der Anordnung, die Differenzen
in der Überlieferung der einzelnen Worte hin.
Als wenn fich nicht für alle diefe Erfcheinungen Parallelen
in der Art, wie Mtth. und Luk. den Markustext be-

Tübino-en Volz handeln, reichlich beibringen ließen. Man denke nur

an die umfangreichen und komplizierten Umftellungen

Allen, Willoughby C., M. A., A critical and exegetical Com- der Markusperikopen in Mtth. 8—9, an die große Aus-
mentary on the Gospel according to S. Matthew. (The i laffung in der mittleren Partie des Markus (vom erften
International Critical Commentary.) Edinburgh, T. & I *UI? weiten Speffungsbericht) bei Luk. an die mannig-
„ „, . V^7I o on Aachen Erweiterungen der Leidensgefchichte, an die viel-

T. Clark 1907. (IV, XCVI, 338 p.) gr. 8 s. 12— fachen Abweichungen im Wortlaute, und vieles andere,
Wir haben hier eine der fauberen und forgfältigen, ; das A. felbft hervorhebt. Man darf doch auch nicht
reichhaltigen und umfichtigen Arbeiten, durch welche j gar zu ängftlich fein mit der Zulaffung der Annahme
neuerdings gerade englifche Bibelerklärer fich in hohem j eines eignen felbfttätigen Eingriffes unferer Evangeliften
Maße auszeichnen. Das vorliegende Werk enthält zu- in den Überlieferungsftoff! (Damit foll übrigens na-
nächft eine reichhaltige Einleitung, in der befonders die 1 türlich die auch von A. berührte Möglichkeit nicht un-
evangelienkritifche Frage behandelt wird; der Kommen- ; bedingt zurückgewiefen werden, daß Luk. im Vergleich
tar felbft gibt eine fortlaufende englifche Überfetzung 1 mit Mtth. die Logia in einer andern, überarbeiteten Form
nebft eingefügter Erklärung und guten textkritifchen | benutzt haben könnte.) — Im übrigen ift A. wieder beBemerkungen
, reit, der bekannten Notiz des Papias folgend, Logia des
Bemerkenswert und vor allem hervorzuheben ift, j Apoftels Matthäus als eine fpezielle Quelle des Matthäus-
daß Allen in der Einleitung das Markusevangelium | evangeliums zuzugeftehen und faft das gefamte Rederundweg
als die Hauptquelle des Matthäusevangeliums material des Mtth. diefer Quelle zuzuweifen. M. E. beanerkennt
. Das fcheint ihm das einzige feftftehende | geht er aber hier den entfcheidenden Fehler, auch alles
Refultat der evangelifchen Quellenkritik zu fein: die ] fichtlich fekundäre und finguläre Redematerial des Mtth.
Priorität des Markusevangeliums und die Abhängigkeit einfach um einen Schritt weiter auf die Logiaquelle zurück-
des Matthäus von Markus. Es ift gerade bei der kon- zufchieben, ohne den Verfuch auch nur zu machen, das
fervativen Grundftimmung des Kommentars dies Zu- Maß der redaktionellen Selbfttätigkeit des Mtth. abzu-
geftändnis an die moderne Kritik mit großer Freude zu [ grenzen. Das einzige Mittel, hier bei der Überlieferung
begrüßen. Endlich einmal wenigftens ein Punkt, an dem | des Redegutes noch einige fichere Schritte in der Lite-
von rechts und links eine Einigung erzielt zu werden rarkritik zu machen, nämlich der fortgefetzte Vergleich
beginnt. Theodor Zahn mit feiner hartnäckigen Be- • der Überlieferung bei Mtth. und Luk. unter Anwendung
hauptung des Gegenteils diefer Anfchauung beginnt j einer hier nicht zu umgehenden fachlichen Kritik aus
immer einfamer zu werden. Ja Allen fetzt diefen Satz j inneren Gründen, wird von A. aus gleich noch zu be-
von der Priorität des Markusevangeliums bereits einfach ' fprechenden Gründen im großen und ganzen abgelehnt,
als erwiefen voraus. Und er unternimmt ganz von diefer Gerade ein folcher Vergleich aber gäbe wiederum den
Vorausfetzung aus eine umfaffende und minutiöfe Ver- | ftärkften Beweis für eine dem Mtth. und Luk. gemein-
gleichung des Textes der beiden Evangelien. Er ftellt fam vorliegende Quelle, die bald der eine, bald der
die Auslaffungen, die Umftellungen, die Abkürzungen, : andere getreuer bewahrt hat. — Nach alledem wird man
die Ausweitungen, die fprachlichen Varianten, die Ver- j nicht urteilen können, daß die Behandlung der Überänderungen
fachlicher Natur hinfichtlich der Perfon und , lieferung des evangelifchen Redeftoffes bei Allen einen
der Wunder Chrifti, der Wertfehätzung der Apoftel, der [ Fortfehritt über die bisherige Arbeit bedeutet; mir
Betonung der Erfüllung der Weisfagung, der genaueren fcheint im Gegenteil feine Methode in größere Unklar-
Feftftellungen des Tatbeftandes nach einander in lehr- heit und Willkür zurückzuwerfen. —

reichen und umfichtigen Tabellen zufammen. Für die Damit bin ich denn fchließlich bei dem Punkt an-

Lefer wünfehenswert wäre es vielleicht gewefen, wenn gelangt, der hauptfächlich Widerfpruch und Bedenken