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Ausgabe:

1910

Spalte:

338-341

Autor/Hrsg.:

Krüger, Gustav (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Handbuch der Kirchengeschichte für Studierende. 4. Teil: Die Neuzeit 1910

Rezensent:

Heussi, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. n.

338

Loefche, Prof. D. Dr. Georg, Luther, Melanthon und
Calvin in Ölterreich-Ungarn. Zu Calvins vierter Jahrhundertfeier
. Mit archivalifchen Beilagen. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1909. (XVI, 371 S.) gr. 8° M. 4 —

Viel mehr als die gewöhnlichen Jubiläumsfchriften
gibt G. Loefche zu Calvins vierter Jahrhundertfeier, indem
er Calvin in unmittelbarer Verbindung mit Luther,
,den Nachfahren mit dem Stammvater', und mit diefen
unzertrennlich Melanchthon in ihren Beziehungen zu
Öfterreich-Ungarn darftellt und dann ihre Fußfpuren bis
in die Gegenwart verfolgt, und endlich in dem Schluß-
abfchnitt .Unionsgedanken' die Frage behandelt: Was
können und follen fie uns noch heute fein? Wir erhalten
hier einen reichhaltigen Beitrag zur Reformationsge-
fchichte der Donauländer und zur Gefchichte des dortigen
Proteftantismus feit dem Toleranzpatent mit kurzen
fcharf umriffenen Charakterbildern einzelner Perfonen,
z. B. Maximilians IL, wie der Völkerftämme des Kaifer-
reichs in der bekannten eigenartigen ftarkpointierten
Sprache (vgl. z. B. S. 233 ,die fchnell entzündlichen, überaus
neuerungsluftigen, auslandfüchtigen farmatifchen
Köpfe'). Der Gang der Darfteilung ift derfelbe wie in
Loefches kurzer Gefchichte des Proteftantismus in Ofterreich
(1902), indem er erft Beziehungen des betreffenden
Reformators zum Herrfcher, fo weit fie vorhanden waren,
zu den Räten und Adeligen behandelt, dann die einzelnen
Länder befpricht und endlich die Stellung Ofterreich-
Ungarns im Zeitalter der Toleranz und der Parität zu
den 3 Reformatoren beleuchtet, während Zwingli für
Öfterreich heute noch jener texc/usus' ift, wie er durch
fpätere Hand in der Wiener Matrikel Winter 1498 genannt
ift. Aber vielleicht hätte Loefche gut getan, auch
Bullingers und Joachim Vadians Verhältnis zu Öfterreich
eingehender zu beleuchten, zumal Vadians Briefwechfel
eigenartige Nachrichten darbietet, z. B. über den Prediger
eines Nonnenklofters in Tirol. Auch der von Traugott
Schieß herausgegebene Briefwechfel Bullingers mit den
Graubündenern ift für Öfterreich nicht ganz unergiebig,
wenn er auch für die erften Jahrzehnte der Reformationsbewegung
noch nicht in Betracht kommt.

Intereffant ift, wie Luther der Mann für die Deutfchen
Öfterreichs ift, während die Tfchechen und Magyaren
fich für den Romanen Calvin begeiftern, die Böhmen
nach dem Toleranzpatent fich für die Confessio Helvetica
entfcheiden, die Magyaren neuerdings den Profeffor Eugen
Zovänyi, den Bearbeiter der neuen Ausgabe von Wargas
Gefchichte des ungarifchen Proteftantismus, in Disziplinar-
unterfuchung zogen und fuspendierten, weil er an Calvin
fcharfe Kritik übte und erklärte, daß Calvin hinter Luther,
Zwingli und Melanchthon (Loefche fchreibt noch Melanthon
) zurücktreten müffe; nicht Calvin, fondern
Luther fei der Weltreformator (S. 313). Melanchthon
aber ift auch im Donauland nicht volkstümlich geworden,
fo wenig als daheim. Immerhin fpricht die Bibliographie
der Überfetzungen von Schriften Luthers, Melanchthons,
Zwingiis und Calvins in tfchechifcher, polnifcher, flowe-
nifcher und magyarifcher Sprache, welche Loefche S. 343
D's 359 g'bt, fehr ftark für Luthers Präeminenz, denn
von ihm find 61, von Melanchthon 19, von Zwingli 3,
von Calvin 15 Ausgaben aufgeführt.

Einen großen Raum beanfprucht der Kampf gegen
die Antitrinitarier, in welchen Calvin auf den Hilferuf
der Polen eingreifen mußte. Hervorragend fchön ift das
Charakterbild Wenzels Budowec von Budowa S. 211—217.
Mit Recht darf Loefche fagen: ,Hätte Stieve ihn näher
gekannt, würde er jene übereilten und unerhörten Zeilen
von dem in Selbftfucht und äußerlichem Kirchentum
verkommenen Adelsgefindel nicht niedergefchrieben
haben, das den Aufftand in Böhmen und den Neben-
kändern machte' (S. 212). Es ift Loefche geglückt, einige
nicht gedruckte Stücke aufzufinden und das Corpus Re-

formatorum zu ergänzen, fo einen tapferen Brief des
gefangenen Kurfürlten Johann Friedrich vom 25. Jan. 1549,
S. 91—9$, einen Brief Nidbrucks an Calvin vom 27. Dez.
1556, S. 189, theologifche Abhandlungen Jörgers, S. 88
bis 136. Die 433 katholifch gewordenen Reformierten,
1775 in Gehlingen-Gailingen find etwas verdächtig. Weder
Vierordt, Gefchichte der evg. Kirche Badens, nochBlöfch,
Gefchichte der Schweizer Kirchen, weiß etwas von einer
fo Marken und ficher Auffehen erregenden Konverfion.
Nicht unmöglich wäre, daß das Sammelpatent unter-
fchoben wäre. Jedenfalls müßten die Kirchenbücher
von Gailingen klare Auskunft geben. S. 205 ift Joh.
Kafimir irrtümlich der Nachfolger Friedrichs des Frommen
genannt. Denn das war fein Bruder, der Lutheraner
Ludwig, nach deffen frühem Tod Joh. Kafimir als Vormünder
des unmündigen Friedrich IV. die Pfalz regierte.
S. 216 ift als Heimat des Joh. Jak. Grynäus Prag ftatt
Bern angegeben.

Entgangen ift Loefche der Empfehlungsbrief Luthers
für Theobold Didelhuber, den Luther am 15. Mai 1535
an Ehrhard Schnepf empfahl, und als eine wahre Na-
thanaelfeele, aufrecht und treu, rühmte. Er gab ihm auch
einen offenen Empfehlungsbrief und am 2. Nov. die Antwort
auf eine Anfrage Bernh. Wurzelmanns in Dinkelsbühl
mit (De Wette S. 404, 605, 646; Enders 10, 150, 151, 264),
als er nach Schwaben definitiv überfiedelte, weil fein
xorpus Austriacum' an ein füdlicheres Klima mit wärmerer
Luft gewohnt war und das feuchte, kalte Klima der
Gegend von Wittenberg nicht ertragen konnte. Sein
Sohn ift ohne Zweifel Israel Didelhuber ,exMachainpago
distante duo miliaria a Lypsia1, der am 26. Mai 1551 in
Tübingen infkribiert und am 9. Juni 1553 als Chr. Dittel-
hofer ins Stift aufgenommen, aber bald wegen Unfleiß
entlaffen wurde (Hermelink, die Matr. der Univ. Tübingen
1,351, Nr. 24). Diefe Angabe ftimmt nicht zu Luthers
Ausfage, daß D. apud nos in rure Pfarrer gewefen fei.
Wahrscheinlich hat der Abfchreiber der Matrikeln Leu-
corea nicht verftanden und dafür Lipsia gefchrieben und
ift ftatt Macham Marzan (Marzahna) zu lefen. Machern
AG. Würzen kann nicht gemeint fein, da es zum Gebiet
des Herzogs Georg gehört haben wird und für die von
Luther vorausgefetzte Nachbarfchaft von Wittenberg zu
entlegen ift. D. kam nach Illingen, 1543 auf Schnepfs Bitte
nach Untertürkheim, und endlich nach Baltmannsweiler
und ftaib 1574 in Eßlingen. Schnepf fchreibt am 5. Febr.
1543, er habe ihn um feiner Frömmigkeit willen fehr lieb
und wünfehe ihn in feiner Nähe zu haben.

Stuttgart. G. Boffert.

Handbuch der Kirchengefchichte für Studierende, in Verbindung
mit Gerhard Ficker, Heinrich Hermelink,
Erwin Preufchen, Horft Stephan herausgegeben von
Guftav Krüger. Vierter Teil. Die Neuzeit. Bearbeitet
von Priv.-Doz. Lic. Horft Stephan. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1909. (XII, 300 S.) gr. 8° M. 5 —

Seit der Zeit, da der junge Jenenfer Profeffor Karl
Hafe die erfte Auflage feiner Kirchengefchichte ausarbeitete
(veröffentlicht 1834), haben fich die Bedingungen,
unter denen ein Lehrbuch der Kirchengefchichte entlieht
, wefentlich gewandelt. Das von den jeweilig Lebenden
getragene kirchengefchichtliche Gefamtwiffen hat
fich intenfiv und extenfiv fo gewaltig gefteigert, die An-
fprüche an Vertrautheit des Verfaffers mit den Quellen
find fo gewachfen, daß heute die Ausarbeitung eines
umfangreichen Lehrbuchs der KG. durch einen einzigen
Gelehrten kaum noch möglich erfcheint. Daher ift es
gerechtfertigt, die auf dem Gebiet derUniverfalgefchichte
bereits erprobte Methode, die verfchiedenen Perioden
von verfchiedenen Gelehrten ausarbeiten zu laffen auf
die KG. zu übertragen. Man könnte zwar einwenden,
daß es einem folchen Werke notwendig an der künftleri-