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Ausgabe:

1910

Spalte:

12-14

Autor/Hrsg.:

Eubel, Conrado (Ed.)

Titel/Untertitel:

Bullarii Franciscani epitome sive summa bullarum in eiusdem bullarii quattuor tomis relatarum 1910

Rezensent:

Mueller, Karl

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I T

Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 1.

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kurzen Abfchnitte über die Verwertung der Dialektik
für die Theologie bei Auguftin, über deffen Auffaffung
des Verhältniffes von Glauben und Wiffen und feine
Anfätze zu einer Syftematik der Offenbarungswahrheiten
führen nicht über das allgemein Bekannte hinaus. Die
Art, wie Auguftin der Scholaftik in der Technik der
Problemftellung vorgearbeitet hat (S. 140), wird leider
nicht näher ausgeführt. Es bleibt bei der Andeutung,
daß fich aus Auguftinustexten eine förmliche Hodegetik
für die wiffenfchaftliche Formulierung, Präzifierung und
Beantwortung von Fragen zufammenftellen ließe. Wichtiger
ift der darauffolgende Abfchnitt über Boethius,
den Vermittler des Ariftotelismus an das abendländifche
Mittelalter. Da wir, abgefehen von den Artikeln in Enzyklopädien
noch gar keine Arbeiten über Boethius be-
fitzen, obwohl er ,der philofophifche Lehrmeifter der
früheren Jahrhunderte genau in demfelben Maße wie
fpäter Ariftoteles gewefen ift' (Baumgartner), fo find
die Mitteilungen Grabmanns über feinen Einfluß be-
fonders wertvoll. ,Die lateinifchen Schultermini der
Scholaftik, diefe gangbaren Münzen des mittelalterlichen
Verkehrs find durch Boethius geprägt worden'. Wenn Grabmann
recht hat, fo ift der Einfluß der boethianifchen theo-
logifchen Schriften (der fog. opuscula Sacra) auf die fcholaftifche
Methode bedeutfamer gewefen als felbft die
Einwirkung feiner Ariftotelesüberfetzungen und Arifto-
teleserklärungen. Denn in ihnen ift die Anwendung der
ariftotelifchen Philofophie auf die Offenbarungswahrheiten
(befonders auf die Trinitätslehre) bereits in mufter-
gültiger Weife vollzogen. Die Darfteilung der wiffenfchaft-
lichen Arbeitsweife im karolingifchen Zeitalter führt dann
zu dem befonders das 11. Jahrhundert ausfüllenden Kampf
zwifchen Dialektikern und Antidialektikern, in welchem
fich die eigentliche fcholaftifche Methode langfam herausbildet
. Bisher galt Abälard in feiner Schrift ,Sic et '
non' als der erfte, der die fcholaftifche Technik der j
Gegenüberftellung entgegengefetzter Autoritäten an- j
wandte. Grabmann findet diefe Sic-et-non-Methode fchon
bei Bernold von Konftanz (fnoo) in einer ziemlich
ausgeprägten Form. Bernold ftellt nicht nur ,verfchie-
denlautende Väterautoritäten rückfichtlich ein- und des-
felben Gegenftandes zufammen, fondern gibt auch eine
förmliche Hodegetik zur Bewerkftelligung diefer ,con-
cordantia auctoritatum discordantium'.

Auch Jvo von Chartres (+1116), neben Anfelm wohl
die einflußreichfte Perfönlichkeit an der Jahrhundertwende
, ,will Kanones und Autoritäten in uimm corpus,
in unum speculum zufammenfügen'. Das ,Speculum
universale' des Radulfus Ardens, eine ungedruckte
theologifche Summa am Ende des 11. Jahrhunderts, benützt
nicht nur die philofophifchen tcrmini zur Darlegung
des Glaubensgeheimniffes, fondern ftellt fogar
eine methodologifche Unterfuchung über die Berechti- 1
gung und die Art und Weife der Übertragung der j
philofophifchen Terminologie auf theologifches Gebiet
an. Im letzten Abfchnitt des erften Bandes, der Anfelm,
,den Vater der Scholaftik', behandelt, intereffiert befonders
die Befprechung der alten Frage, wie Anfelms j
methodifches Fundamentalprinzip ,creäo, ut intelligam'
zu verftehen fei. Von jeher ftand die traditionaliftifchc
Auffaffung des Anfelmfchen Prinzips der rationaliftifchen
gegenüber. Nach der erfteren bedeutet diefes Prinzip
die Zurückführung jeder menfchlichen Erkenntnis auf
die auktoritativ angenommene Offenbarung (Prantl, Über-
weg-Heinze). Nach der letzteren foll damit der Vernunft
die Kraft zugefchrieben werden, die Glaubensfätze
in rationale Erkenntniffe aufzulöten (Kunze). Grabmanns
Löfung, die einen Mittelweg zwifchen diefen beiden Extremen
einfchlägt, dringt nicht in die Tiefen des hier
vorliegenden Problems ein. Grabmann weift zunächft
nur die rationaliftifche Deutung ab. Die Einficht in
die innere Widerfpruchslofigkeit des Trinitätsgeheim-
niffes hat bei Anfelm immer die Offenbarungslehre zur

| Vorausfetzung, da er nichts behaupten will, was fich
nicht durch Schrift und Väterftellen verteidigen läßt, da
er ftets von der Unbegreiflichkeit der höchften Geheim-
niffe überzeugt ift, da fich endlich feine Schriften an
Mönche, alfo an einen bereits chriftlichen Leferkreis
wenden. Intereffanter wäre die Frage gewefen, wie das
Anfelmfche credo, ut intelligam gegenüber dem Tra-
| ditionalismus des reinen Auktoritätsprinzips abzugrenzen
| ift, was für ein Glaubensbegriff hier vorliegen muß, wenn
i das credere als Quelle und Ausgangspunkt für eine rationale
Einficht höherer Ordnung bezeichnet werden kann.
Grabmann fleht ganz richtig, daß diefer intellectus fidei
kein Wiffen im Sinne des von Thomas adoptierten ariftotelifchen
Wiffensbegriffs fein kann, alfo kein ,den Geheimnischarakter
der Offenbarungslehre zerftörendes
Wiffen' (S. 283). Um fo mehr drängt fich die Frage
auf, wie unter dem Einfluß der übernatürlichen Gnaden-
j Wirkung diefe eigenartige Einficht aus der fides hervorgehen
kann, wie es möglich ift, daß ,der Glaube dem
Geift die Schwingen zum Höhenflug der Betrachtung
himmlifcher Geheimniffe' verleiht. Vom Autoritätsglauben
aus bleibt diefer Höhenflug ja vollftändig un-
1 verftändlich. Daß Grabmann das hier vorliegende Problem
nicht empfindet, zeigt eine gewiffe Schranke der
philofophifchen Schulung, die fich trotz der erftaunlichen
Gründlichkeit und Detailkenntnis in einem charakterifti-
fchen Mangel an großen einheitlichen Gefichtspunkten
kundgibt. Wenn Harnack zwifchen dem urchriftlichen
Gotteserlebnis und dem unter griechifchen Einflüffen
entftandenen Dogma unterfcheidet, fo kann Grabmann,
ebenfo wie die andern katholifchen Forfcher dies immer
nur als verfchwommenen Gefühls-Agnoftizismus verftehen.
Er glaubt Argumente gegen Harnacks Pofition vorzubringen
, indem er darauf aufmerkfam macht, ,es finde
fich in der heiligen Schrift neben praktifchen Anweifungen
für die Erlangung der Seligkeit auch eine Fülle theore-
tifcher Sätze' (S. 58). ,Die Behauptung eines grundfätz-
lich antiintellektualiftifchen Charakters des Chriftentums
des Evangeliums fei unbegründet und unrichtig' (S. 61),
eine Fülle von Vernunftwahrheiten über Gott, Unfterb-
lichkeit der Seele ufw. feien zugleich Inhalt oder doch
Vorausfetzung der chriftlichen Offenbarung und auch
Gegenftand des Erörterns und Ahnens in der griechifchen
Spekulation, darin liege ein ,Rechtstitel für die
Verwertung der griechifchen Philofophie zur Begründung
einer chriftlichen Spekulation' fp. 67).

Es fehlt alfo bei Grabmann vollftändig das Ver-
ftändnis dafür, daß es etwas geben könnte, was weder
wiffenfchaftliche Erkenntnis noch auch verfchwommenes
Gefühl wäre, fondern etwas Drittes, nämlich aus Glauben
geborene Einficht, ,Glaubensgedanke', intellectus fidei,
fpezififch religiöfe Erkenntnis, die auf jeden ,Bund mit
einem philofophifchen Syftem' (S. 65) verzichtet, aber
darum doch keineswegs in einen gefühlsfeligen Anti-
intellektualismus verfinkt. Daß Grabmann der Sinn für
diefes Dritte fehlt, daß er deshalb auch für die Spuren
desfelben bei Auguftin, Anfelm und in den Anfängen
der Scholaftik kein Auge hat, ift vielleicht der Hauptmangel
feiner Gefchichte der fcholaftifchen Methode.

Halle a. S. K. Heim.

Bullarii Franciscani epitome sive summa bullarum in
eiusdem bullarii quattuor prioribus tomis relatarum,
addito supplemento in quo tum gravissima illorum
quattuor voluminum diplomata verbotenus recepta
tum nonnulla quae in eis desiderantur documenta
sunt inserta. Iussu atque auspiciis reverendissimi
patris magistri Dominici Reuter, totius ordinis mi-
norum S. Francisci conventualium post seraphicum
patriarcham ministri generalis CVII, a Conrado Eubel,