Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1910 Nr. 1L

Spalte:

325-327

Autor/Hrsg.:

Schneider, Hermann

Titel/Untertitel:

Zwei Aufsätze zur Religionsgeschichte Vorderasiens. Die Entwicklung der Jahureligion und der Mosesagen in Israel und Juda. - Die Entwicklung des Gilgameschepos 1910

Rezensent:

Volz, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

325 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. iL 326

doch eben vorwiegend Religionsverfaffung. Die Ver-
faiTungsbeftimmungen, die Muhamed feiner Gemeinde
in Medina gab (Wellhaufen, Muhameds Gemeindeordnung
in Medina; Skizzen und Vorarbeiten IV), find lehrreicher
für das Wefen des Islam als diefe buntgewürfelten Koranauszüge
. Aber auch hier wäre freilich der Rahmen des
Werkes überfchritten, wenn derartiges hätte Berückfich-
tigung finden dürfen.

Trotz mancherlei Ausheilungen und frommer Wünfche
haben wir dem Herausgeber doch fehr dankbar zu fein
für das Geleiftete. Man fleht, es find auf diefem Gebiete
große Schwierigkeiten zu überwinden, und allen
Wünfchen wird ein religionsgefchichtliches Lefebuch
natürlich bei dem befchränkten Raum niemals gerecht
werden. Die von mir erhobenen pia desideria hallten
vor allem darauf hinweifen, wie wünfchenswert, ja notwendig
die Vollendung des vom Verfaffer in Ausficht
genommenen zweiten Bandes ift. Hoffentlich haben
Herausgeber wie Verleger den Mut, diefen zweiten Band
in Bälde folgen zu laffen. Soll das religionsgefchicht-
liche Studium fich auf unteren Univerfitäten einbürgern,
fo bedürfen wir zur Unterftützung der Vorlefungen und |
zu Übungen in Seminaren dringend derartiger Hilfsmittel
. Pflicht der Theologie-Studierenden wird es
andrerfeits fein, Verleger und Herausgeber bei ihrem
fchönen Unternehmen nicht im Stich zu laffen.

Göttingen. Bouffet.

Schneider, Priv.-Doz. Dr. med. et phil. Hermann, Zwei
Auffätze zur Religionsgefchichte Vorderafiens. Die
Entwicklung der Jahureligion und der Mofelagen in Israel
und Juda. — Die Entwicklung des Gilgamelchepos. Mit

zwei Abbildungen. (Leipziger femitiftifche Studien.
Herausgegeben von A. Fifcher und H. Zimmern. V, I.)
Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung 1909. (III,
84 S.) gr. 8» M. 1.80

Die Gefchichtsbücher des AT., erft in verhältnismäßig !
fpäter Zeit als Einleitung zu dem bereits vorhandenen
Gefetz und den Propheten aus vorliegenden Quellen
verfaßt, wollen nicht ftrenge Gefchichtfchreibung, fondern
eine Art Gefchichtsphilofophie fein. Aus diefer
Theorie leitet der Verf. feinerfeits das Recht ab, eine
gefchichtsphilofophifche Konftruktion aus diefen ,Ge-
fchichtsbuchern' herzuftellen. In vier vei fchiedenen
Wanderprozeffen zogen die vom AT. erwähnten Haupt-
ftämme in Paläftina ein;, der Stamm Jakob-el mit dem 1
Stammfetifch Jakob-el, zur kanaanitifchen Einwanderungs-
fchicht gehörig, mit den Hykfos verwandt und einft aus
Ägypten vertrieben, läßt fich bei Betel nieder, der Stamm I
Jofeph-el mit dem Stammfetifch Jofeph-el, ebenfalls zur
kanaanitifchen Schicht gehörig, bei Sichern. Die Tutmofis-
lifte beweift, daß c. 1500 diefe beiden Stämme im Befitz
zweier paläftinifchen Orte waren, die nach ihnen bzw.
nach ihren gleichnamigen Göttern hießen, und daß diefe
beiden Stämme in Paläftina eine ägyptifche Bedrückung |
erfuhren. Die Jakoberzählungen der Genefis gehen auf j
priefterliche Legenden von Betel zurück; fie zeigen die
Entwickelung von roher zu feinerer Gottesauffaffung.
Ein dritter Stamm war der von Often herüberkommende,
bei Silo fich anfiedelnde, von Merenptah erwähnte Israel-
ftamm; fein Gott heißt Israel, die Geftalt diefes Stamm-
fetifches war die Lade, feine Priefter waren die ,Söhne
der Lade', die ,Söhne Aharons'. Der vierte Stamm ift
Juda mit dem ebenfalls gleichlautenden Gott Jahu; er
gehört zur aramäifchen Einwanderungsfchicht und ift
mit dem nordfyrifchen Stamm Ja'udi verwandt. Geftalt
des Stammfetifches ift die eherne Schlange (vgl. Nehustan,
Schlangenftein, Seraphim ufw.); die Priefter Jahus heißen !
,Söhne der Schlange', ,Leviten'. Erfte Niederlaffung des ]
Stammes ift bei Jerufalem. Alle diefe vier Stämme |

rücken im Lauf der Zeiten vom offenen Feld in die
benachbarten größeren Städte (Betel, Sichern, Silo) ein,
der Judasftamm unter David nach Jerufalem. Im
Tempel zu Jerufalem wird die Jahureligion unter dem
Einfluß der babylonifch-priefterlich-bürgerlichen Welt-
anfchauung gereinigt und erweitert, die Gottheit im
Lauf der Jahrhunderte vermenfchlicht (Hiskia's Zer-
ftörung der Schlange).

Soweit die Ürgefchichte Israels. Es folgt eine
Skizze der Königszeit von Saul bis zum Exil. Saul kämpft
im Bund mit dem Stammgott feines benjaminitifchen
Stammes, David regiert bloß über Juda, ift indes gegen
,Israel' (Efraim—Silo) freundlich gerichtet, hat aber nie
die Lade nach Jerufalem gebracht; Jerobeam gründet,
von Ägypten begünftigt, das .Reich Israel' mit der Haupt-
ftadt Sichern (nebft den Vororten Silo und Betel) und
mit der Hoheit über Jerusalem. Am Reichsheiligtum
von Sichern werden die alten Traditionen der verfchie-
denen Stämme verfchmolzen und zum erftenmal eine
Sage vom Auszug aus Ägypten komponiert. Gegen die
Omriden, die Juda ihrem Reich einverleiben wollen,
flehen die Vertreter der Jahureligion auf, der Judäer
Jehu (deffen Name mit Jahu identifch ift) und die Reka-
biten. Inzwifchen fchreitet die innere Entwickelung des
Jahu in Jerufalem mächtig weiter; die Priefterfchaft ge-
ftaltet ihn nach babylonifchem Mufter aus der Tierheit
eines Stammfetifches zum menfchlichen und übermenfch-
lichen Reichsgott, zum Sonnen- und Himmelsgott; die
Rekabiten bringen zu diefem ,wiffenfchaftlichen' Element
das foziale hinein, die Propheten (die natürlich nur in
Juda wirkten) erheben ihn hoch über alle Götter der
Babylonier und Ägypter und machen ihn zum Einen
Gott und zur Einen Kaufalität in der Welt. Im Exil
nun wird jene gefchichtliche Einleitung zum Gefetz ge-
fchaffen; die Quellen für den Inhalt der Gefchichtsbücher
find babylonifche Mythen, israelitifche Uberlieferungen,
wie fie unter Jerobeam I geftaltet worden waren, und
judäifche Sagen; aber es wird eine ganz freie, judäifch
orientierte Konftruktion daraus geformt.

Jeder wiffenfchaftliche Verfuch, der die Einwan-
derungsgefchichte aufhellen will, muß begrüßt werden,
und fo wird auch in diefer neuen Skizze manches neu
und fcharffinnig beleuchtet; die geographifchen Verhält-
niffe Paläftinas fcheinen diefe Darfteilung der vier Einwanderungen
zu begünftigen. Jedenfalls ift es dankenswert
, daß der Verf. durch feine Brofchüre daran mahnt,
die Anfänge des Volkes immer wieder zu durchforfchen.
Wertvoll ift das neue Prinzip der Quellenfcheidung.
Scheidet man fonft überwiegend nach literarifchen
Quellen (J,_E), fo fcheidet S. vorwiegend nach hiftorifchen
Quellen (Uberlieferung von Betel, Sichern ufw.; Abraham,
Laak fpäte tendenziöfe judäifche Umbildung); daraus
könnte in ausgiebigerer Weife als es feither gefchah ein
Ergänzungsprinzip, aber eben nur in Ergänzung zum
bisherigen, genommen werden. Man müßte wohl über
die Wanderungen der arabifchen Stämme, die Ver-
fchiebungen der Nomadenftämme noch in heutiger Zeit
Erkundigungen einziehen, um von da aus Licht über
die früheren Schübe zu bekommen. Im übrigen flößt
die Konftruktion des Verf. auf fchwere Bedenken. Aus
den dürftigen ägyptifchen Nachrichten macht er ein
vieltragendes Fundament; die Hyperkritik erftreckt fich
nicht bloß auf die Pentateuchüberlieferung, fondern auch
auf Ri. 5, auf Sam. und Könige; zur Zeit Jerobeams I hatte
man doch wohl noch zuverläffige Traditionen; bedenklich
ift es, Israel neben Jakob als felbftändigen Stamm anzunehmen
, Silo (Efraim) mit Israel zu kombinieren, da doch
Efraim und Manaffe mit Jofeph gleichgeftellt werden.
Die theophoren Jahwenamen der Omriden kann Verf.
nicht erklären, Jehu muß er um feiner Theorie willen
zum Judäer machen, die Propheten befchränkt er auf
Juda und verkennt, daß fie das ,Volk Israel' als ein
Ganzes vorausfetzen. Verfehlt ift feine Darfteilung der