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Ausgabe:

1910 Nr. 10

Spalte:

315-316

Autor/Hrsg.:

Cathrein, Viktor

Titel/Untertitel:

Die katholische Weltanschauung in ihren Grundlinien mit besonderer Berücksichtigung der Moral. 2., bedeutend verm. Aufl 1910

Rezensent:

Bruckner, Albert

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 10.

316

Herco und im Vifitationsprotokoll von 1539 an Zufätzen
vom Jahr 1553 geboten ift. Es ift hier namentlich für
die Volksfitten viel geboten. Z. B. die Hochzeit dauert
3—6 Tage, das Hochzeiteffen befleht oft aus 7—8 Gängen.
S. 140,146. Die Trauung foll am ,Hollabend' (S. 140
Z. 34) ftattfinden, was nicht erklärt ift, aber wohl fagt,
am Abend der Einholung der Braut. Beachtenswert ift
der Reim am Rathaus zu Erfurt: Gottes leib, beicht und
tauf fol man jeden geben on kauf, S. 157.

Die fleißige Arbeit Einickes bildet bei allem Dunkel,
das noch aufzuhellen bleibt, eine dankenswerte Förderung
der Reformations- und Kulturgefchichte.

Stuttgart. G. Boffert.

Cathrein, Viktor, S. J., Die katholiTche Weltanfchauung in

ihren Grundlinien mit befonderer Berückftchtigung der
Moral. Ein apologetifcher Wegweifer in den großen
Lebensfragen für alle Gebildete. Zweite, bedeutend
vermehrte Auflage. Freiburg i. B., Herder 1909.
(XVI, 578 S.) gr. 8° M. 6—; geb. M. 6.80

Cathreins ,katholifche Weltanfchauung', die vor 2
Jahren unter dem Titel ,Die katholifche Moral in ihren
Vorausfetzungen und in ihren Grundlinien' in erfter Auflage
erfchienen ift, erinnert mich in ihrer Art lebhaft an die
ehemals vielgenannte Schrift des Jefuiten Hammerftein:
,Das Chriftentum' Trier 1893. Wie jene atmet auch fie
eine abgründige Verachtung gegen alles nicht Katholifche,
macht fich deffen Widerlegung in jeder Beziehung fehr
leicht und erftirbt fo hier in Bewunderung für die Glorie
der römifchen Kirche, an der überhaupt alles edel, groß,
heilig und göttlich ift. Ich verzichte deshalb von vornherein
auf eine Kritik, da diefelbe viel zu lang ausfallen
würde, auch wenn ich mich nur auf einige Hauptpunkte
befchränkte und fkizziere dafür lieber in einigen Strichen
die Tendenz und Art des genannten Werkes.

1. Der Verfaffer ift gewöhnt; apodiktifche Behauptungen
hinzuftellen, wo er Beweife bringen follte. S. 175
,Ein völlig durchfchlagender Beweis für die Wahrheit
der chriftlichen Offenbarung ift die Tatfache des Chriften-
tums felbft'. S. 187 ,An der Echtheit der paulinifchen
Briefe kann heute kein ernftlicher Forfcher mehr zweifeln'.
S. 188 ,Auch an der hiftorifchen Echtheit der übrigen
evangelifchen und apoftolifchen Berichte ift heute nicht
mehr zu zweifeln'. S. 190 ,Die Zeugniffe dafür, daß die
Evangelien und die Briefe der Apoftel echt find, daß fie
fchon in der zweiten Hälfte des erften Jahrhunderts
gefammelt waren und als infpirierte, mit göttlicher Autorität
ausgerüstete Schriften galten, find geradezu überwältigend
'. Zum Beweis, daß Jefus die römifche Kirche
geftiftet hat, behauptet er u. a. S. 229: ,Diefe Kirche
nennt Jefus bald darauf das Himmelreich .... An andern
Stellen nennt Jefus die Kirche das Reich Gottes (Lk. 4,43.
10,9. II. Act. 1,3)'. S. 516 ,Nach Ausweis der Gefchichte
waren die Menfchen urfprünglich Monotheiften'.

2. Er idealifiert die römifche Kirche, indem er alles,
was das Chriftentum an pofitiven Werten gefchaffen hat,
als ihre Leiftung ausgibt. Sie hat die Sklaverei befeitigt
(S. 177 f.), die Hochfehätzung jeder nützlichen Arbeit
gebracht und die allgemeine Pflicht der Arbeit nachdrücklich
eingefchärft (S. 178). Sie hat die Frau aus der
erniedrigenden Sklaverei des Heidentums befreit und fie
zur ebenbürtigen Gefährtin des Mannes gemacht (S. 426h),
wobei man fleh doch jedesmal fragen muß, wo denn
hier die Verdienfte der römifchen Kirche find und wie der
Verfaffer dazu kommt, fchlankweg fie und das Chriftentum
zu identifizieren?

3. Er verfchweigt alles für die römifche Kirche Be-
laftende und entwirft von ihren Gegnern ein kaum mehr
erkennbares Zerrbild, und alles Gute, das er ihnen noch
zuerkennen muß, fchreibt er auf ihr Konto.

S. 303 f. ,Welche von den vielen religiöfen Gemein-
fchaften, die fich für die Kirche Chrifti ausgeben, trägt
nun diefen göttlichen Charakter der Sieghaftigkeit und
des Triumphes in fich ftets erneuernden Leiden und Verfolgungen
? Einzig die auf den Felfen Petri gegründete
katholifche Kirche. Die meiden chriftlichen
Sekten .... frifteten nur ein kurzes Dafein. Sie fliegen
auf wie Meteore, um bald wieder zu verfchwinden. Einer
ernftlichen Verfolgung vermochten fie nicht ftandzuhalten.
Nur fo weit fie fich mit der Staatsgewalt verbanden und

| ihrerBotmäßigkeit willenlos unterwarfen, gelangten manche
zu dauerndem Beftande, verfielen aber völliger Erftarrung
und Entartung .... Das bischen religiöfes Leben, das
fie fich bewahrt, verdanken fie den Einrichtungen, die fie
noch aus der katholifchen Zeit herübergerettet haben
Die proteftantifchen Kirchen in Deutfchland, England,
Schweden, Norwegen, Dänemark und Holland verdanken
dem Staat, mit dem fie verwachfen find, ihre Erhaltung.

) (Und in Frankreich und Öfterreich?) Hätte fich der
Proteftantismus nicht von Anfang an auf die weltlichen
Machthaber ftützen können, die bei der neuen Bewegung
ihre Rechnung fanden, fo wäre er bald von der Bildfläche
verfchwunden ...'S. 465 ,Ich leugne gewiß nicht, daß

j es auch wahrhaft fromme, gottliebende Proteftanten gibt,

1 aber das verdanken fie dem Umftande, daß fie noch
manches vom katholifchen Glauben herübergerettet haben'.

Ich könnte noch lange fortfahren mit diefer Aufzählung
, denn meine Sammlung ift damit kaum angebrochen
, aber ich will bloß noch drei Punkte anführen,
die mir befonders beachtenswert erfcheinen. I. daß
Cathrein S. 397 ausdrücklich die doppelfinnige Redeweife
{Reservatio mentalis) billigt, wie überhaupt den getarnten
Probabilismus (S. 549ff.) mit Emphafe verteidigt und die
proteftantifchen Bekämpfer wie Herrmann und Harnack
,der gröbften Unwiffenheil' bezichtigt. 2. Er beftreitet
S. 441 ff. ganz energifch das Vorhandenfein einer doppelten

I Moral in der römifchen Kirche, vergißt aber dabei ganz,
daß in dem vor einigen Jahren ausgebrochenen Kampf
um Liguori allgemein von den katholifchen Apologeten
darauf hingewiefen wurde, daß die Kafuiftik nur das
unterfte Teilftück der Sittenlehre biete (Näheres darüber

, fiehe a. a. O. in meiner Schrift: Die 10 Gebote im Lichte

I der Moraltheologie des Heiligen Alphons von Liguori.
1904 S. 7ff., die, trotzdem fie zahlreichen katholifchen

Blättern und Gelehrten zugefchickt wurde, von der katholifchen
Preffe einfach totgefchwiegen worden ift).
3. mag es für zahlreiche evang. Geiftliche wertvoll fein,
aus dem folgenden Urteil zu erfahren, daß ihr Konfirmandenunterricht
ein Hauptbollwerk gegen die römifche

| Gefahr bildet. S. 314 ,Namentlich der Konfirmandenunterricht
ift vielfach nur eine Schulung zum Kampfe
gegen Rom mit Verwertung der althergebrachten Un-

| Wahrheiten und Entftellungen. Sich durch diefes Dickicht
von Vorurteilen zur Wahrheit durchzuarbeiten, ift für die
große Maffe fall ein Ding der Unmöglichkeit'.

Daß die Sprache flüffig, die Darfteilung anfehaulich
und überfichtlich und Druck und Ausftattung durchaus
gut und lobenswert find, foll am Schluffe doch auch
noch hervorgehoben werden.

Bremgarten. Alb. Bruckner.

Notiz.

Herr Prof. D. Thieme hatte uns eine Anzeige des II. und III. Teiles
des zweiten, ,Mythus und Religion' unterfuchenden, Bandes von Wundts
,Völkerpfychologie' eingefandt. Da diefer Auffatz aber für unfere Zeitung
zu umfangreich geworden war, fo ift er unter dem Titel: Zu Wundts Re-
ligionspfychologie in der J. C. Ilinrichs'fchen Buchhandlung in Leipzig
(Preis M. — 35) befonders erfchienen. Wir machen unfere Lefer auf diefen
Auffatz, der fich als ein .kleiner Leitfaden durch Wundts Riefenbau' anbietet,
gern aufmerkfam.

Die Redaktion.