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Ausgabe:

1910 Nr. 10

Spalte:

308-309

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Dogmengeschichte. 3. Bd. 4., neu durchgearb. u. verm. Aufl 1910

Rezensent:

Harnack, Adolf

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307 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 10. 308

251, 12 auf Sap. 5,5 fo hier auf Sap. 5,7, deffen Text nur
in den Zufammenhang eingeflochten wird, verwiefen
werden, dann würde er die Unnahbarkeit des ,a' bald
einfehen. So forgfältig P. den Bibelzitaten nachforfcht,
ift ihm doch noch manches entgangen, anderes wird
nicht genau genug beftimmt; z. B. fehlt 218,2 ,vgl. Hebr.
10,31', zu 27,4 vgl. Prov. 29,24, zu 196,12 fchreibe Prov.
19, 18 (21), S. 103,12—26 vermißt man am Rande einen
Hinweis auf Matth. 13,24fr. 3, 12. 25,31fr. 13,47 ff-5 2%5>
auf I Cor. 12, 31.

Der letzte Band enthält nun auch außer dem ge- i
wohnten Index locorum 3 Regifter, die das Material der |
3 zufammengehörigen Bände auffpeichern, ein Namen-
und Sach-, ein Wort- und ein orthographifches Regifter.
Sie find mit peinlicher Genauigkeit gearbeitet worden;
Vollftändigkeit erftreben fie nicht; ich bedaure, daß im
erften theologifche Grundbegriffe Auguftins wie liberum
arbitrium, praedestinatio ohne Berückfichtigung bleiben.

Die Praefatio ift wieder von jener halb beglückenden
, halb erfchreckenden Knappheit, die kaum etwas
davon ahnen läßt, welch eine intereffante Gefchichte
diefe Dokumente hinter lieh haben: doch erwächft aus
diefer Vernachläffigung der Tradition ein wirklicher
Schaden nur bei dem Anhang S. XI f. Dort befpricht P.
die beiden Zugaben zu unferm Corpus, deren Text er,
den Maurinern folgend, am Schluß S. 281—310 mitteilt;
ein sermo de Rusticiano subdiacono und ein libellus adv.
FulgentiumDonatistum. Er nennt fie opera spuria, das zweite
einen libellus insulsus. Sonft erfährt man hier und auf S.
280 der Ausgabe bloß, daß die editio prinesps des sermo
auf einem codex Cellensis beruhe, und daß Petfchenig kein
Manufkript hat auftreiben können: hat er nichts davon erfahren
, welches Gericht Julien Havet in feinen Questions
Merovingiennes bereits vorJahrzehnten über die Fälfchungen
des Oratorianers Jerome Vignier gehalten hat? Seit
Havet werden wir keine Publikation diefes Vignier, für
welche die Handfchriften fehlen, ernft nehmen: unferm
pernio'' ift die moderne Fabrikmarke nicht etwa bloß in
feinen Bibelzitaten aufgeprägt! Und doch nimmt P. diefe
Sudelei in alle Indices auf; z. B. bei obstetricantibus, superim-
pendere S. 407. 435 erhält fie einen befonderen Artikel.

Dahingegen verdient der letzte Uber adv. Fulgentium
durchaus nicht die Geringfehätzung, mit der er von P.
abgefertigt wird: kein Wort über die Provenienz, über
den Wert der Handfchriften. Denn wenn das Ganze
als Dialog auch mißlungen ift, und die Gegengründe
des Katholiken aus Auguftin zufammengerafftes Gedanken
- und Phrafengut darftellen, fo liegt doch, in der
Hauptfache leicht zu rekonftruieren, die Schrift eines
Donatiften aus der Zeit Auguftins zugrunde, und diefe
ift fchon als Zeuge für die afrikanifche Bibel durch ihre
zahlreichen Zitate von hohem Wert. Daß P. Monceaux
diefe Grundfchrift in Revue de philologie XXXI wieder-
hergeftellt hat, notiert P. ja auch nebenbei; daß aber
auch Mai im Spicil.. Rom. V 1841 p. XV einen Kodex
der S. Fulgentü excerptio ex libris S. Augustini contra
Fulgentium Donat. befchreibt, der das Urteil über unfer
Büchlein zu wandeln geeignet fei, hätte man gern gehört,
und noch lieber die Verwertung diefes Lorfcher Kodex
in einer neuen Mufterausgabe beftätigt gefunden. — Bei
dem letzten Werk fcheint mir denn auch die Konftitution
des Textes noch am wenigften vollkommen; z.B. 292,4—6:
omnes qui derelinquunt ,te confundantur; recedentes a,
te scribantur in libro mortis; quoniam dereliquerunt [te
confundantur recedentes a] te fönte vitae find die eingeklammerten
Worte doch wohl zweifellos Dubletten zu
den in , ' gebotenen, fomit aus dem Text zu entfernen,
demgemäß freilich fontem am Schluß für fönte wieder
herzuftellen. 292,23 würde ich inhabitabit in alta spe
nicht im Text belaffen, noch weniger mit Engelbrecht
specu verbeffern, fondern inh. in alta spe (lunca petrae)
fchreiben. Dann ftimmt der Text buchftäblich mit dem
von Cyprian testim. II2g; das folgende fortis paßt auch

beffer wie bei Cyprian zu petrae als zu panis. Zu 295,8h
vgl. Matth. 10,25. S. 298,1 ift hinter multas eine Lücke
zu markieren; denn Z. 4 beweift, daß dort Apoc. 17,2a
nur nachträglich ausgefallen ift.

Solche kleinen Mängel, die fich der Hiftoriker Petfchenig
zufchulden kommen läßt, follen aber in nichts
den Dank vermindern, den wir dem Editor für die fo
prompte wie ausgezeichnete Erledigung feiner Aufgabe
fchulden.

Marburg. Ad. Jülich er.

Harnack, Adolf, Lehrbuch der Dogmengefchichte. 3. Band.
Die Entwickelung des kirchlichen Dogmas II. III.
— Regifter zu den drei Bänden. Vierte neu durchgearbeitete
und vermehrte Auflage. Tübingen, J. C. B.
Mohr 1910. (XX,959 S.) Lex. 8° M. 24 —; geb. M. 27 —

Diefer dritte Band meines Lehrbuchs ift in der neuen
Auflage um 119 S. gewachfen. Davon fallen auf das
1 Regifter 25 S. Zuwachs. Hr. stud. theol. H. Neumann
hat es mit großen Fleiße ausgearbeitet, fo daß es jetzt
51 S. umfaßt und fich den Lefern gewiß als nützlich er-
; weifen wird.

Bei diefer Neubearbeitung war in Bezug auf Auguftin
und die abendländifch-vorfcholaftifche Zeit außer der
Berückfichtigung der Arbeiten von Gottfchick, Loofs
und Scheel verhältnismäßig nicht viel neuere Literatur
heranzuziehen, um fo mehr aber für die Dogmengefchichte
der folgenden Epoche. Dennoch waren einfehneidende
Veränderungen nicht notwendig, wenn auch die ftillen
1 Zwiegefpräche mit zahlreichen Fachgenoffen famt ihren
Folgen für die genauere Faffung des Textes dem auf-
merkfamen Lefer nicht entgehen werden. Der bedeu-
tendfte Eortfchritt hier war m. E. in dem Werk von
Haller über Papfttum und Kirchenreform einerfeits und
in den Unterfuchungen von Seeberg u. A. über Duns
Scotus und den Nominalismus andererfeits gegeben.

In Bezug auf die Reformation und den Abfchluß der
Dogmengefchichte habe ich den in den früheren Auflagen
eingenommenen Standpunkt feftgehalten und verteidigt
, verteidigt fowohl gegen die, welche die dogma-
tifchen Hervorbringungen der Reformation dogmen-
gefchichtlich (Loofs, Seeberg ufw.) auf diefelbe
Fläche ftellen wie die katholifchen, als auch gegen
Troeltfch, der fie inhaltlich *janz nahe an die katholifchen
heranrückt und zum Mittelalter rechnet. Troeltfch
geht mit mir in Bezug auf die Würdigung Luthers und
der deutfehen Reformation faft den ganzen Weg zu-
I fammen; aber er glaubt dann Konfequenzen ziehen zu
J müffen, die ich für überftürzt und unzutreffend halte. Sie
mögen für die ,Kulturgefchichte' ein gewiffes Recht haben,
für die Religions- und Kirchengefchichte kommt ihnen
diefes Recht nicht zu. Sieht man aber näher zu, fo
gelten diefe Konfequenzen auch nach Troeltfch für
die Religions- und Kirchengefchichte nicht, in welcher
er vielmehr Luther und der Reformation wefentlich gerecht
wird. Aber wird nicht von der Ideen- und Kultur-
gefchichte, in welcher diefe eine fchlechte Note erhalten,
zuviel Aufhebens gemacht? Ich meine von der Ideen-
und Kulturgefchichte, die übrig bleibt, wenn man von
ihr die Gefchichte der Religion, der öffentlichen und
privaten, abgezogen hat. Wir Theologen haben allen
Grund — felbft auf die Gefahr hin, für einfeitig oder
rückftändig zu gelten — dabei zu beharren, daß die
feierlichen Fragen des religiöfen Gewiffens, wie es durch
das Chriftentum erzogen ift, auch heute noch das verborgene
Fundament und Hauptftück der Kultur bilden,
mag das zur Zeit noch fo verdeckt fein und mag auch
die gemeine Gefchichtfchreibung davon wenig Notiz
nehmen. Dann aber wird die deutfehe Reformation
niemals ihren Platz in der gefchichtlichen Betrachtung
des Verlaufs der Dinge verlieren. —