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Ausgabe:

1910 Nr. 10

Spalte:

295

Autor/Hrsg.:

Thomsen, Peter

Titel/Untertitel:

Palästina und seine Kultur in fünf Jahrtausenden 1910

Rezensent:

Köhler, Ludwig

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295

Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 10.

296

Thomten, Dr. Peter, Palältina und leine Kultur in fünf

lahrtaufenden. Nach den neueften Ausgrabungen und
Forfchungen dargeftellt. Mit 36 Abbildungen. (Aus
Natur und Geifteswelt. 260. Bändchen.) Leipzig, B. G.
Teubner 1909. (IV, 108 S.) 8° M. 1—; geb. M. 1.25

Der Verfaffer ift durch mehrere Arbeiten zur bifto-
rifchen Paläftinakunde vorteilhaft bekannt. In dem vorliegenden
Büchlein beweih; er ein großes Gefchick zu
volkstümlicher Darfteilung. Seine Sachkunde ift ohne
Lücken, der Darftellung kann ich mich in den meiften
Punkten anfchließen, die Auswahl der Abbildungen ift
mit Glück getroffen, die Wiedergabe faft ausfchließlich
wohl gelungen. Das Büchlein wird ohne Zweifel rafch
eine zweite Auflage nötig haben. Für eine folche empfehle
ich Weglaffung der phantaftifchen Abbildung 11:
Die Weftburg von Thaanach vom Ortsinnern aus gefehen
(fo etwa würde ich die Unterfchrift formuliert haben)
und Verbefferung von Quarnifet (S. 18) in Qarnifet.

Aeugft (Zürich). Ludwig Köhler.

Ginzberg, Louis, The Legends of the Jews. Translated
from the German Manuscript by Henrietta Szold. I.
Bible Times and Characters from the Creation to
Jacob. Philadelphia, The Jewish Publication Society
of America 1909. (XVIII, 424 p.) gr. 8°

,In gegenwärtigem Werke habe ich den erften Ver-
fuch gemacht, aus den Originalquellen alle jüdifchen
Legenden zu fammeln, infoweit fie fich auf biblifche
Perfonen und Begebenheiten beziehen, und fie mit der
größten erreichbaren Vollftändigkeit und Genauigkeit
wiederzugeben. Ich gebrauche den Ausdruck „jüdifche"
und nicht „rabbinifche" Legenden, weil die Quellen, aus
denen ich gefchöpft habe, fich nicht auf die rabbinifche
Literatur befchränken'. Mit diefen Worten (p. XI) kennzeichnet
der Verfaffer den Inhalt feiner Arbeit, zu der
ihn offenbar feine eigenen vergleichenden Studien über
,die Haggada bei den Kirchenvätern und in der apokry-
phifchen Literatur' (Monatsfchrift für Gefchichte und
Wiffenfchaft des Judentums 1898 und 1899, 42. und 43.
Jahrgang, auch befonders erfchienen, Berlin 1900) die
Anregung gegeben haben. Diefe Studien, die der Verf.
übrigens in feinem Vorworte gar nicht erwähnt, befchränken
fich auf die Genefis, während das großangelegte
Werk, deffen erfter Band hier vorliegt, den gefamten
Erzählungsftoff der Bibel zum Gegenftande hat. Diefer
erfte Band zerfällt in fechs große Abfchnitte unter den
Titeln: Die Weltfchöpfung (1—46), Adam (47—102), Die
zehn Generationen (103—142), Noah (143—182), Abraham
(183—308), Jakob (309—424). Der Inhalt erftreckt fich
auf Gen. I—36. Die weiteren zwei Bände find bereits
druckfertig; ein vierter Band wird ,die Quellenangaben,
die Erläuterung der benutzten Quellen, die in der Bearbeitung
gegebenen Erklärungen und fpeziell zahlreiche
Textverbefferungen zu den Midrafchim und Pfeudepi-
graphen' bringen (p. XV). Die wiffenfchaftliche Bedeutung
der Ginzbergfchen Arbeit wird alfo erft nach Erfcheinen
des Schlußbandes gewürdigt werden können. Jetzt erhalten
wir nur eine fortlaufende Erzählung biblifcher
Legenden jüdifcher Herkunft, wie fie fich in Talmud und
Midrafch, fowie in den Apokryphen und Pfeudepigraphen
des A.T., eventuell bei den Kirchenvätern finden. Aber
fchon hier verweifen Ziffern auf die im Schlußband zu
bringenden Noten zu den betreffenden Stellen. Um fein
Werk nicht ins Ungebührliche auszudehnen, gibt der
Verfaffer feine Quellen nicht wörtlich wieder, fondern
er befchränkt fich auf das Wefentliche des Inhaltes.
Von verfchiedenen Verfionen derfelben Erzählung bietet
er nur eine, die Berückfichtigung der anderen fich für die
Anmerkungen vorbehaltend. Man fieht, ,die Legenden

der Juden' find zunächft zur Lektüre beftimmt, zu einem
Textbuche für jemanden, der die Ausfchmückung und
Erweiterung des biblifchen Erzählungsftoffes, wie er in
den genannten Quellen fich darbietet, im Zufammenhange
kennen lernen will. Weder eine Sonderung diefer biblifchen
Legenden nach Zeit und Ort ihrer Entftehung,
noch eine Vergleichung mit anderen Literaturkreifen ift
beabfichtigt.

Prinzipielle Bedeutung hat die Darlegung, mit welcher
der Verfaffer fein Vorwort eröffnet (VII—XI). Er geht
von dem richtigen Gedanken aus, daß nicht alles, was
die rabbinifche Literatur zum biblifchen PTzählungsftoffe
hinzu tut, in der Schule, in der gelehrten Bibelauslegung
feinen Urfprung hat, daß vielmehr ein großer Teil diefer
Legenden der Phantafie des Volkes entfprang und diefe
Erzeugniffe des jüdifchen Volksgeift.es von der berufsmäßigen
Schriftauslegung und Homilefe in der ,Haggadah'
(Agada) verwendet und verwertet wurden. ,Eine der
wichtigften Aufgaben der modernen Agadaforfchung wäre
eine reinliche Scheidung zwifchen den urfprünglichen
Elementen und den fpäteren gelehrten Zufätzen' (p. XI).
Da aber ,in diefer Richtung kaum noch ein Anfang gemacht
ift', könne man bei einer Wiedergabe der biblifchen
Legenden des Judentums auch diejenigen Elemente nicht
unberückfichtigt laffen, die aus der Schule der Gelehrten
flammen. In diefer Darlegung hat der Verfaffer, wie ich
glaube, die große Bedeutung der Bibelauslegung als
fagenerzeugendes Element unterfchätzt. Und auch in
feiner Wiedergabe der Legenden fieht er ganz von den
biblifchen Texten ab, aus denen fie oft entftanden, durch
die allein fie erklärlich find. Nur ein Beifpiel fei angeführt
. S. 317 heißt es; ,Abraham hatte eine gute Urfache,
; Jakob befonders zu lieben, denn dem Verdienfte diefes
: feines Enkels verdankte er es, daß er aus dem Feuerofen
I erlöft wurde'. Dies wird nur dann verftändlich, wenn
| man die Quelle (Berefchith rabba, Kap. 63 und Vajjikra
1 rabba, Kap. 36) einfieht. Hier lefen wir (ich zitiere nach
meiner Wiedergabe in Agada der paläft. Amoräer III, 52):
,So war Abraham von Nimrod zum Feuertode verurteilt.
Gott fah aber, daß von ihm Jakob erflehen foll, und um
Jakobs willen rettete er ihn. Darauf geht, was gefchrieben
fleht (Jef. 29, 22): Jakob, der Abraham erlöft hat'. Als
Urheber des Ausfpruches, der mit einem Gleichniffe
illuftriert ift, wird ein paläftinenfifcher Amora genannt.
Und einzig und allein die Auslegung des auffallenden
Satzes im Jefajaverfe (ntVQX rTIE "lOS) erzeugte die
Verbindung von Abrahams Errettung aus dem Feuerofen
mit Jakob, woraus Ginzberg ein von dem Bibelverfe
ganz abgelöftes Legendendetail macht.

Diefe Unterfchätzung der agadifchen Schriftauslegung
bewirkte auch einen Mißgriff des Verfaffers in der
Auffaffung und Verwendung des Begriffes und Wortes
Haggadah (Agada). Er verlieht darunter in erfter Reihe
die oben erwähnten populären Elemente der die biblifche
Gefchichte erweiternden Legenden und läßt fich dadurch
zu der fchiefen Äußerung verleiten: ,Von der Agada
der Tannaiten und Amoräer zu fprechen, fleht vom Tat-
beftande ebenfo fern, wie wenn man von den Legenden
Shakefpeares oder Scotts fpräche'. Wie unberechtigt diefe
j Kritik des Titels meines Agada-Werkes ift, ergibt fich
1 leicht aus einem Blicke in jedes beliebige Kapitel des-
felben. Was ich in diefen Kapiteln über die einzelnen
Tannaiten und Amoräer in befonderen Abfchnitten mit der
Überfchrift ,Zu den biblifchen Perfonen und Erzählungen'
zufammengeftellt habe, ift nur ein geringer Teil der Ge-
famtheit deffen, was nicht anders bezeichnet werden
kann als ,die Agada' des betreffenden Tannaiten oder
Amoräers. Und das meifte diefer befonderen Abfchnitte
hat den Charakter individueller Schriftauslegung, fo daß
eigentlich die mit Autornamen bezeichnete Agada nur
wenig volkstümliche Legenden in fich begreift. Tatfäch-
lich find diefe Legenden zumeift als anonyme Agada
überliefert. Es lag mir in diefer Bemerkung nicht fo