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Ausgabe:

1910 Nr. 9

Spalte:

272-275

Autor/Hrsg.:

Heinrici, C. F. Georg

Titel/Untertitel:

Zur patristischen Aporienliteratur 1910

Rezensent:

Dräseke, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 9.

272

befte Unterfuchung über die Entwicklung Augudins, die
die letzten Jahre gebracht haben. In fehr eindringender
analytifcher und fynthetifcher Kleinarbeit bemüht (ich
Thimme, den Gedankengehalt der erden Schriften Augu-

Fragedellung infofern, als er die einzelnen Momente der
theoretifch-wiffenfchaftlichen Auseinanderfetzung mit der
Skepfis gleichzeitig als Linien der inneren Entwicklung
würdigt, Augudin alfo, wie das auch mehrfach ausge-

dins zu erfaffen und fo eine ganz in kritifcher Quellen- fprochen wird, allmählich, eben im Verlauf der Auseinarbeit
wurzelnde Dardellung der Entwicklung Augudins 1 anderfetzung die Gewißheit finden läßt. Aber Th. felbd
zu geben. Mit der neueren protedantifchen Forfchung I muß gelegentlich darauf hinweifen, daß von Augudin
hebt Th. als das charakteridifche Moment der augudini- j nicht verwertete Momente ihm doch fchon bekannt waren.

fchen Erdlingsfchriften den Neuplatonismus heraus, den
er noch därker betonen möchte, als ich es in meinen
Augudindudien getan. Darüber hier zu dreiten, würde
zu weit führen. Daß Augudin vom Neuplatonismus fehr
beeinflußt id, daß ein inneres Verdändnis für das chrid-
liche Schuldgefühl und die Verföhnung fehlt, daß das
Chridentum in erder Linie ihm als Myderienreligion und
autoritäres Lehrgefüge erfcheint, daß fpezififch chrido-

(Vgl. S. 105 fr. über die neuplatonifche Definition des
Böfen.) Das zeigt aber, daß man Fehlern und Unfichcr-
heiten in der Beweiskette Augudins nicht fofort eine
entwicklungsgefchichtliche Bedeutung geben darf. Die
entfcheidenden Begriffe und Anfchauungen befaß Augudin
bereits. Sie werden nicht erd jetzt allmählich entdeckt
und gewonnen, fondern nur gegen die Skepfis wiffen-
fchaftlich ausgefpielt. Dann aber kann man nicht fagen,

logifche Motive den inneren Umfchwung in Augudin j daß Augudin in Caffifiacum zunächd noch ungewiß ge-
nicht begründet haben, daß nicht anthropologifch-foterio- wefen fei. Er fetzt fich hier vielmehr methodifch-wiffen-
logifche, fondern metaphyfifch-fpekulative Intereffen ihn j fchaftlich mit der Skepfis auseinander auf Grund der
bewegen, daß in feiner Ethik die ciceronianifchen Ge- j Gewißheitsmomente, die er fchon befaß. Nicht mit einer
danken den Ausgangspunkt bilden, Augudin aber unver- J wirklich weiterführenden inneren Entwicklung haben wir
merkt hinübergleitet in den Neuplatonismus, die prak- ' es zu tun, fondern nur mit einer theoretifch-wiffenfchaft-

tifche Lebensweisheit des Ideals des doifchen Weifen
neutralifiert wird durch das neuplatonifche Schauen Gottes
und die Kontemplation, deren Gegendand aber nicht

liehen Anwendung deffen, was Augudin fchon befitzt.
Die Gewißheit id die Vorausfetzung feiner Argumentation.
Lücken im Beweisgang Augudins und fpätere Ergänzungen

die praktifche Lebensweisheit fein kann, id richtig. In j find nicht Argumente für die innere Entwicklung Augu-
diefen Thefen liegt aber nicht das Charakteridifche der 1 dins zur Gewißheit hin, fondern nur Argumente für die
Unterfuchung Thimmes. Ihr fpringender Punkt id die ! Erkenntnis der wiffenfehaftlichen Methode und Arbeit
Frage, ob mit der Zuwendung Augudins zum Neupia- ; Augudins. Und gerade die Vernunftideen, die, wie Th.
tonismus der Zweifel, die Mailänder Skepfis, überwunden mit Recht betont, allein die Brücke zur wahren Erkennt-
wurde. Thimme verneint diefe Frage. Augudins Herz i nis fchlagen, gewann Augudin, als er vom Neuplatonis-
war noch nicht gewiß geworden. Weder die Autorität { mus fich gewinnen ließ. Die entfeheidende Wendung
noch der Neuplatonismus haben die Skepfis überwunden, zur Gewißheit id darum nicht in Caffifiacum zu fuchen,
Augudin fuchte immer noch die Wahrheit, und feine i fondern damals, als er dem Neuplatonismus fich zuwandte
erden Schriften fpiegeln nicht feine früheren Kämpfe und deffen Identität mit der Autorität, d. h. dem Chriden-
wider, fondern vielmehr den Gegenwartskampf. Die große ; tum erkannte. Daß Th. dem Autoritätsgedanken im Leben
Aufgabe der Überwindung des theoretifchen Zweifels des damaligen Augudin zu geringe Bedeutung beimißt,
durch Grundlegung einer rationalidifch-idealidifchen Welt- ' fei nur im Vorbeigehen erwähnt. Und daß Augudin
anfehauung wird in diefen Schriften gelöd. Eine innere ; wahrfcheinlich von der neuplatonifchen Moral den därkden
Durchdringung der Gedanken Plotins id weder in Mai- Antrieb erhalten habe, die Welt zu verlaffen, id eine
land noch zunächd in Caffifiacum erreicht. Diefe Durch- ; Behauptung, die, um annehmbar zu werden, doch mit
dringung und die Gewißheit fehen wir ihn erd allmählich | der Erzählung vom Ereignis im Mailänder Garten und
fich erkämpfen. Durch die Dialektik, durch das Glück- , von dem Eindruck, den die Berichte über das Mönchs-
feligkeitsmotiv, durch die Zahl als das fichere Erkenntnis- [ leben auf Augudin machten, fich hätte auseinanderfetzen
fundament und durch die unmittelbare Gewißheit des j müden. In den neueren Unterfuchungen über die Ent-
Selbdbewußtfeins,diefefpezififchaugudinifcheEntdeckung, . wicklung Augudins treten diefe Faktoren über Gebühr
überwindet er die Skepfis. Allein die Vernunftideen I zurück, die man aber, fo fkeptifch man auch zum Ge-
fchlagen die Brücke zu den Erkenntniffen, nach denen 1 fchichtswert der Konfeffionen fich dellen mag, nicht
Augudin verlangt. So werden die erden Schriften zu fchlechthin ignorieren darf. Doch das find Bedenken
einem wertvollen Dokument der inneren Entwicklung ! fekundärer Art (Vgl. dazu meinen Auffatz in Th. R. 1910:
Augudins, die erd allmählich zum Abfchluß kommt. Zu Augudins Entwicklung). Das Entfeheidende bleibt das
Wenn ich mit Th.s Dardellung nicht ganz mich be- erde Bedenken. Ich halte es wohl für möglich, daß Th.
freunden kann, fo möchte ich doch hervorheben, daß fie dies Bedenken als berechtigt anerkennen könnte und dann
eine muderhafte Analyfe der Gedankengänge der einzelnen feine Anfehauung von der Entwicklung Augudins in der
Schriften Augudins bietet. Gegen Wörter hat Th. auch Weife korrigieren könnte, die m. E. nötig id. Unter der
mit Erfolg den Nachweis einer originalen Selbdändigkeit Vorausfetzung diefer Korrektur wäre Th.s Unterfuchung
Augudins Plotin gegenüber erbracht (S. 136). Aus Th.s ein neuer Beweis für die entfeheidende Bedeutung, die
Unterfuchung geht auch deutlich hervor, was ich feiner- der Neuplatonismus für die Entwicklung Augudins be-
zeit hier gegen Lederer geltend machte, daß der Er- feffen hat. Daß diefe in der anfänglichen Fragedellung
kenntnistheoretiker Augudin ganz in neuplatonifchen ; Th.s fchon angedeutete Korrektur, die den eigentlichen

Fragedellungen wurzelt. Und wenn fich Th. zu einer
kleinen Änderung feiner Problemdellung verdehen könnte,
würde ich feiner Ünterfuchung im wefentlichen beipfiiehten
können. Wenn ich recht fehe, handelt es fich in den
Erdlingsfchriften Augudins nicht um eine weiterführende
Entwicklung, fondern nur um eine theoretifch-wiffen-
fchaftliche Begründung deffen, was ihm bereits fed deht.
Im Grunde behauptet das Th. auch zu Beginn feiner
Unterfuchung. Denn dort fagt er, daß für diefe Schriften
zweierlei charakteridifch fei: der Neuplatonismus und die
Überwindung des theoretifchen Zweifels durch die Grundlegung
einer rationalidifch-idealidifchen Weltanfchauung.
In der Unterfuchung felbd verfchiebt fich ihm aber die

Umfchwung wieder zurückdatieren würde, die Einzelausführungen
der Unterfuchung Th.s nicht antiquieren würde,
braucht nicht betont zu werden.

Tübingen. Scheel.

Heinrici, Georg, Zur patrittifchen Aporienliteratur. Des

XXVII. Bandes der Abhandlungen der philologifch-
hidorifchen Klaffe der Königl. Sächfifchen Gefell-
fchaft der Wiffenfchaften No XXIV. Leipzig, B. G.
Teubner 1909. (20 S.) gr. Lex.-8° M. 1 —

Mit einem glücklich gewählten, von ihm felbd weiter
ausgeführten Vergleich leitet Heinrici die vorliegenden,