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Ausgabe:

1910 Nr. 9

Spalte:

267-272

Autor/Hrsg.:

Thimme, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Augustins geistige Entwickelung in den ersten Jahren nach seiner „Bekehrung“, 386-391 1910

Rezensent:

Scheel, Otto

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267

Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 9.

26S

Seeberg immer nur obenhin grüßt. Er benutzt fie zweifellos
, aber nur im einzelnen. Das geht ja auch für
ihn nicht anders. Freuen wir uns, daß er als katholifcher
Forfcher folche Werke doch keineswegs bei Seite fchiebt!
Und laffen wir feine Art die Dogmen zu empfinden,
da er fich doch zu wirklich gelehrter Behandlung
derfelben gedrängt fieht, immerhin auf uns wirken! Unfere
dermaligen Perfpektiven find ja ohne Zweifel auch noch
nicht die letzten.

Ein Sonderkapitel (Nr. VII) gilt der theologie de
langue syriaque au IVe siede. In den letzten vier Kapiteln
behandelt T. dann die Theologie der Lateiner,
zuerft diejenige der ,Häretiker' unter ihnen (§ I Le do-
natistne, § 2 Le priscillianisme, § 3 Les erreurs d'Hel-
vidius, de Bonosus, de jfovinien et de Vigilancc: das
Ganze zufammen auf nicht einmal dreißig Seiten, was natürlich
nur eine fkizzenhafte, vielmehr allzu dürftige
Zeichnung geftattet). Es folgt, was T. eigentlich als ,la
theologie latine au IV' siede' bezeichnet, ein Kapitel,
das alle die Fragen berührt, die bei den Griechen auf .
fechs Kapitel verteilt find, alfo nur unter anderm auch, !
als § 6, die Chriftologie und Soteriologie. Ich empfinde
die Unlebendigkeit der katholifchen Gefchichtsbehand-
lung hier befonders tief. Merkwürdig ifi, daß T. der
Symbolgefchichte eigentlich gar keine Aufmerkfamkeit
zuwendet. Gerade vom ,apoflolifchen Symbol' aus kann !
man zu einem guten Verftändnis der Eigenart des
Abendlands kommen. Ich glaube in meinem Werke
über diefes Symbol (es gehört zu den Werken, die T.
nicht zu kennen fcheint), dafür Gefichtspunkte gewährt
zu haben. Gerade ein katholifcher Dogmenhiftoriker
könnte, wie ich mir vorftelle, die Symbolgefchichte (die
doch nicht bloß die Entwicklung der /Formeln' zu verfolgen
hat, fondern auch ins Auge faffen muß, welchen j
Einfluß das Tauffymbol geübt hat!) für feine Dar-
ftellung der Dogmengefchichte mit Nutzen heranziehen.

Die beiden letzten Kapitel gelten Auguflin, das I
erfle feiner Theologie in der Vielheit ihrer Probleme,
das zweite infonderheit dem Streite zwifchen ihm und
Pelagius. Diefe beiden Kapitel haben vollauf teil an j
den Vorzügen von T.s Arbeitsweife. Man wird das 1
Einzelne darin auf unferer Seite zu würdigen wiffen und
fich gern darin unterrichten, wie Auguflin fich in katholifchen
fcharffichtigen Augen darftellt. Es ift nicht
unwahrfcheinlich, daß folche Augen manches richtiger
fehen, als unfere; z. B. in bezug auf Auguftins Betrachtung
der Sakramente.

Halle a. S. F. Kattenbufch. ,

The Confessions of Augustine. Edited by Prof. John Gibb,
D.D., and William Montgomery, B.D. Cambridge,
University Press 1908. (LXX, 480 p.) 8° s. 7.6

Becker, Pfr. Lic. Dr. Hans, AuguTtin. Studien zu feiner
geiftigen Entwicklung. Leipzig, J.C. Hinrichs'fche Buchhandlung
1908. (IV, 156 S.) gr. 8° M. 3 —; geb. M. 4 —

Thimme, Lic. theol. Wilhelm, Auguftins geiftige Entwickelung

in den erften Jahren nach feiner „Bekehrung", 386—391.
(Neue Studien zur Gefchichte der Theologie und der
Kirche. Herausgegeben von N. Bonwetfch und R. Seeberg
. Drittes Stück.) Berlin, Trowitzfch & Sohn 1908.
(255 S.) gr. 8° M. 8 —

Faß gleichzeitig find über die Entwicklung Auguftins
drei Unterfuchungen erfchienen, die das traditionelle,
heute noch nicht in der katholifchen wiffenfchaftlicheti
Forfchung (vgl. neuerdings Mausbach, die Ethik des hl.
Auguftinus) überwundene Urteil über die Bekehrung Auguftins
preisgeben und mit Hilfe der hiftorifch-kritifchen
Grundfätze das Problem zu löfen fuchen. Zu einem
einigermaßen einhelligen Ergebnis find aber die vorliegenden
Arbeiten nicht gekommen. Sie differieren nicht
unwefentlich in der Würdigung der einzelnen Entwicklungsfaktoren
, und dem entfprechend ift auch der Zeitpunkt
der entfcheidenden Wendung im Leben Auguftins
verfchieden beftimmt worden. Es ift fogar in diefe Frage
durch diefe neuen Unterfuchungen eine bisher nicht
vorhandene Unficherheit gebracht worden. Denn fo
verfchieden auch das Urteil über den Quellenwert der
einzelnen zur Verfügung flehenden Dokumente war, und
fo fehr die Anflehten auseinander gingen, wenn die Frage
aufgeworfen wurde, was denn eigentlich den entfcheidenden
Umfchwung herbeigeführt habe, fo war man fich
doch im wefentlichen darüber einig, daß diefer Umfchwung
in der Mailänder Zeit vor dem Aufenthalt in Caffifiacum
ftattgefunden habe. Thimme aber und vollends Becker
fetzen die Wendung fpäter an, als bisher üblich war.
Auf jeden Fall haben diefe neuen Arbeiten das Verdient!,
das Problem mehr oder weniger in neuer Beleuchtung
zu zeigen und, das gilt befonders von Becker und Thimme,
Momente betont zu haben, die bisher in der Forfchung
über die Entwicklung Auguftins weniger deutlich markiert
waren. Ob die neuen Darftellungen und Löfungen zutreffend
find, ift freilich eine andere Frage.

Die in den Cambridge Patristic Texts gegebene Einleitung
zu den nach dem Text Knölls abgedruckten, mit
wertvollen fachlichen Anmerkungen verfehenen und mit
einem ausführlichen Wort-, Sach- und Schriftftellenregifter
ausgeftatteten Konfeffionen Auguftins lehnt fich noch am
ftärkften an die herkömmliche Betrachtung an. Hier ift
auch die Antithefe gegen die am radikalften von Gourdon
verfochtene Meinung, daß Auguflin in Caffifiacum Neu-
platoniker gewefen fei und einen inneren Bruch mit feiner
beruflichen Vergangenheit und feinen Lebensintereffen
nicht erlebt habe, am fchärfften. Der Wert der Konfeffionen
als Quelle für die Erkenntnis der Vergangenheit
Auguftins wird hier auch recht hoch eingefchätzt.
Die Konfeffionen bleiben eine brauchbare Gefchichts-
quelle, wenn fie auch ein einfeitiges Bild des Lebens in
Caffifiacum bieten (LX1II). Sie müffen ergänzt werden
durch die erften Schriften. Aber die zunächft vorhandenen
Differenzen zwifchen den Berichten der Konfeffionen
und den Erftlingsfchriften Auguftins verfchwinden doch
bei näherer Erwägung. Denn daß Auguflin bloß Neu-
platoniker, nicht Chrift gewefen fei, widerfpricht feinem
eigenen Bekenntnis in der Schrift contra Academicos (LX).
Da Auguflin damals ferner davon überzeugt war, daß
bloß unwichtige Differenzen zwifchen Chriftentum und
Neuplatonismus beftänden, konnte er unbedenklich in
neuplatonifcher Sprache reden. Auch die Rückficht auf
feine Schüler legte ihm dies nahe. Auguflin wollte zeigen,
daß er, obwohl Chrift geworden, doch ein Jünger der
Philofophie geblieben fei. Es war ihm auch nicht möglich
, mit feinen jungen und unreifen Schülern über die
Krifis feines Lebens zu fprechen. So lebt denn fchließ-
lich die fchon von Nouriffon vertretene Thefe auf, daß
Auguflin in Caffifiacum ein doppeltes Leben geführt
habe, ein philofophifches mit feinen Schülern, ein innerliches
mit fich felbft. Dies innerliche Leben ift aber (LH)
durch Paulus bereits über den Neuplatonismus hinausgeführt
. Bei Paulus fand er wie fpäter Luther die Gnade,
von der die Neuplatoniker nicht fprachen. Und hier
fand er gleichfalls den Erlöfer von der Sünde, den er
bis dahin nicht gekannt hatte. Denn bisher hatte er
Chriftus nur als den Weifeften unter den Lehrern gewürdigt.

Doch diefer Verfuch, den Bericht der Konfeffionen
mit dem Inhalt der Erftlingsfchriften in Übereinftimmung
zu bringen, ift undurchführbar. Er fcheitert nicht bloß
an den mancherlei Vermutungen, die nötig find, um eine
einigermaßen erträgliche Harmonie herzuftellen. Schon
diefe Vermutungen bewegen fich auf höchft unficherem
Boden. Daß Auguflin feinen Schülern den Beweis erbringen
wollte, er fei trotz feiner Zuwendung zum Chriftentum
Philofoph geblieben, ift eine Vermutung, der