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Ausgabe:

1910 Nr. 1

Spalte:

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Autor/Hrsg.:

Gelbhaus, S.

Titel/Untertitel:

Der alte Orient und das Auftreten und Wirken Serubabels. Zur Geschichte und Literatur des zweiten jüdischen Staatswesens 1910

Rezensent:

Volz, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 1.

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wertvolle neue Beleuchtung des altvertrauten Gebiets;
daneben aber fließen fremdartige Gefichtspunkte ein, die
höchftens beiläufig, aber nicht durchgreifend auf die pro-
phetifche Gedanken weit wirkten. Höhepunkt der A.T.lichen
Ethik, weil des A.T.lichen Individualismus, ift dem Verf.
Ezechiel. Mit Recht lehnt er den Vorwurf der ,Atomi(fik',
der dem Ez. gemacht wurde, ab; er dürfte hier fogar noch
fchärfer fagen, daß jene atomiftifch gefcholtenen Stellen
vielmehr umgekehrt die Einheitlichkeit des Charakters
dartun. Ebenfo berechtigt ift das Verlangen des Verf.s,
den Maßflab der paulinifchen Erlöfungslehre von der
A.T.lichen Ethik fern zu halten und den gefunden Kern
der A.T.lichen Werkforderung in der A.T.lichen Ethik
wie überhaupt in der Ethik nicht zu verkennen. Aber
der Verf. verfällt andrerfeits in den Fehler, den Individualismus
zu überfpannen und zu gunften desfelben
den fozialen Zufammenhängen ihr Recht zu verkürzen.
Der foziale Zufammenhang ift ihm genügend gewahrt
durch die Einheit Gottes und durch die Sammlung der
Individuen im Gottesreich der Zukunft. Im übrigen regiert
die fittliche und religiöfe Selbftändigkeit des Einzelnen
und die taufendfältigen Zufammenhänge der
Menfchen, gerade in fittlicher Hinficht, beachtet Verf.
nicht. Der Gedanke des Sozialismus ift ihm vielmehr
ein Reft antiker Mythologie, der aus der Ethik auszumerzen
ift, Deuterojefaijas Idee vom Opfer des Ebed
hält er für einen Rückfehritt gegenüber Ezechiel und
er greift mit Freuden zu der kürzlich aufgeftellten Hypo-
thefe, diefer Ebed fei als Fremdkörper in die jüdifche
Religion eingedrungen. In diefer Überfchätzung der
individualiftifchen Ethik erkennen wir die genuine Fort-
fetzung des Judentums.

Intereffant ift, wie Verf. im zweiten Abfchnitt den
Meffianismus verwertet als die Verwirklichung der fitt-
lichen Ideale. Er zeigt fich auf der Höhe der Wiffen-
fchaft, indem er die uralten außerisraelitifchen Wurzeln
der Eschatologie erkennt; die Propheten haben die
Volkseschatologie radikal umgearbeitet und gerade in
die Form des Sittlichen gegoffen. Das ift in doppelter
Hinficht anfechtbar. Einmal ift es fehr fraglich, ob die
Eschatologie, wie fie uns jetzt aus der außerisraelitifchen
Literatur bekannt ift, etwas /Populäres' (nicht vielmehr
Efoterifches) war und ob man daher in Israel von populärer
, durch die Propheten umgearbeiteter Eschatologie
fprechen darf. Sodann ift die in den Prophetenfchriften
ftehende Eschatologie, wenigftens der älteren Zeit, gerade
nicht in die fittliche Form gegoffen, fondern recht national
und politifch. So großzügig die Verwertung des
Meffianismus als Verwirklichung des ethifchen Ideals an
fich ift, fo glaube ich doch, daß wir hierin mehr etwas
Modernes als etwas Antikes, alfo nicht eine Errungenfchaft
der A.T.lichen Propheten, zu fehen haben.

Der dritte Abfchnitt behandelt die Lehre von den
Pflichten, die Beweggründe des fittlichen Handelns und
die einzelnen Tugenden. Verf. zeigt gut, daß die eudä-
moniftifchen Triebkräfte von den Propheten nur aus
Gründen der Praxis aufgerufen wurden und daß fie
daneben immer wieder auf das primäre und einzig giltige
Motiv der Kenntnis des göttlichen Willens und des
Gefühls der Gehorfamspflicht hinwiefen. Die Belegftellen
nimmt Verf. in diefem Abfchnitt freilich mehr aus dem
Deut, als aus den Propheten. Bei dem Kapitel der einzelnen
Tugenden befpricht Verf. hauptfächlich Kultus und
Sittlichkeit, die Einheit von religiöfem und fittlichem Bewußtfein
, die Wertung der Kulturgüter, die Tugenden
des fozialen Lebens. Die Darftellung dürfte hier noch
ftrenger geordnet fein, es kreuzen fich die fachlichen Gefichtspunkte
und der hiftorifche der Anordnung der einzelnen
Propheten nach ihrer zeitlichen Folge. Treffend
betont Verf. fchließlich, daß die prophetifche Ethik vom
Jenfeitsglauben ganz unabhängig bleibt und daß die
prophetifche Tätigkeit mehr den Charakter der Kritik
trägt; die Propheten feien die ,Kritiker des öffentlichen

Lebens' gewefen, deswegen dürfen wir von ihnen nicht
eine ausgebildete Ethik erwarten.

Möge das gehaltvolle Buch des Verf.s noch manchen
zu der wichtigen Arbeit auf dem Gebiet der prophetifchen
Ethik anregen.

Tübingen. Volz.

Gelbhaus, Rabb. Pred. Lekt. Dr. S., Der alte Orient und
das Auftreten und Wirken Serubabels. Zur Gefchichte
und Literatur des zweiten jüdifchen Staatswefens.
Wien, M. Breitenftein 1909. (86 S.) gr. 8° M. 1.80

Nachdem G. das Leben und Wirken des Esra und
des Nehemia befchrieben hat, wendet er fich dem Seru-
babel zu. Er weiß zwar, daß über das Leben, die Pläne
und Gefchicke des Serubabel tiefes Dunkel gebreitet ift,
aber er meint, aus indirekten Quellen (Äußerungen in
den Propheten, Pfalmen, Jofephus, der targumifchen und
rabbinifchen Literatur) laffe fich manches holen, befon-
ders könne aus den leitenden Ideen des israelitifchen
Volkstums, der allgemeinen orientalifchen, politifchen
und fozialen Weltanficht das Wirken diefes judäifchen

i Fürften erkannt werden. Der eigentliche Name war
nicht Serubabel (dies fei kein nomen proprium, nur ein
epitheton ornans), fondern Hiskia. Seine Haupttaten waren
die Regelung der Stellung des Prieftertums innerhalb des
öffentlichen Staatslebens und die Propaganda für den

j Monotheismus in der großen Welt. Da er fich als Meffias
fühlte und politifche Selbftändigkeit anftrebte, wurde er
vom Großkönig abgefetzt. In feiner Darftellung holt G.
mitunter weit aus und ergeht fich ins Breite; fo beginnt
er mit den monotheiftifchen Vorftellungen der arabifchen
Urheimat, fpricht ausführlich über Davids Wirken für das

j israelitifche Weltreich u.dgl. Er fchmückt feinen Helden mit
allerlei Beiwerk; er macht ihn zum Verfaffer lyrifcher
Gefänge (Pf. 113 u. 56), er findet ihn und feine Zeit ge-
fchildert in Jef. 9 und Ii, Jer. 23,5—7, Pf. 45, 72, 144,

J 150 und fonft. Auch G. fleht unter dem Einfluß der

j Ideen, die die letzten Jahre über die ,altorientalifche
Weltanfchauung' brachten. Immerhin ift es verdienftlich,
wie er das Wirken Serubabels in den Zufammenhang der

1 Weltgefchichte zu Hellen und mit der geiftigen Art des
Perferreichs zu verbinden fucht; hier fehlt es der Bro-
fchüre nicht an treffenden Beobachtungen.

Tübingen. Volz.

Klein, Dr. S., Tod und Begräbnis in Palältina zur Zeit der
Tannaiten. Berlin, L. Lamm 1908. (101 S.) gr. 8°

M. 2 —

Arbeiten wie diefe find für die neuteftamentliche
Forfchung fehr wertvoll; denn wir brauchen eine jüdifche
Kulturgeschichte der neuteftamentlichen Zeit, und dazu
find Monographien in der Art der vorliegenden Schrift
K.s unentbehrliche Vorarbeiten. — K. behandelt im
I.Teil die Vorftellungen der Tannaiten über den Tod,
und zwar zunächft die ,Vorftellung von Seele und Zu-
ftand nach dem Tode'. Die Unterabfchnitte über ,die
Seele im A.T.' und ,das Jenfeits im A.T.' hätten ohne
Schaden für das Thema K.s fortbleiben, refp. in Anmerkungen
untergebracht werden können. Der 2. Abfchnitt
des erften Teils handelt von der Tiehandlung des
Sterbenden und der Leiche' (1) Verhalten während des
Todeskampfes, 2) Behandlung der Leiche, 3) Leichengewänder
, 4) die Leiche im Sarge), der 3. Abfchnitt von
,Sarg und Bahre' (1) der Sarg, 2) die Bahre). Thema
des 2. Teils ift ,das Begräbnis'. Hier wird zunächft
in einem I. Abfchnitt gehandelt von ,der Zeit der Beerdigung
', dann im 2. Abfchnitt von dem Leichenbegängnis
' (1) die Bahre und ihre Träger, 2) das Leichengefolge
, 3) der Weg des Leichenzugs, 4) außergewöhnliches
Leichenbegängnis), im 3. Abfchnitt von den ,Be-