Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1910 |
Spalte: | 252-253 |
Autor/Hrsg.: | Baumgarten, Otto |
Titel/Untertitel: | Die persönlichen Erfordernisse des geistlichen Berufs 1910 |
Rezensent: | Schian, Martin |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
251
252
flößen zu befreien und in feiner praktifchen Tragweite
darzuftellen. Überall redet Lahufen felbft aus einer
erquickend klaren evangelifchen Totalanfchauung heraus.
Er ift im tiefflen vom Neuen Teftamente unter Luthers
Beihülfe infpiriert. Ich glaube, feine Predigten werden
allen evangelifchen Chriften zu Herzen gehen und jedem
etwas von dem, das unter uns gewiß fchon oft gefagt
und doch nie genug gefagt ift, bieten. Darf ich die
Predigten nennen, die mir die mächtigften, gedanken-
hafteften und anfaffendften dünken, fo ift es gleich die
erfte ,Gott der Vater' (unter dem frifchen Eindruck des
Entfetzlichen, das in Meffina gefchehen, gehalten) und
die fünfte Jefus der Herr'. Am weniglten zur Abrundung
gelangt fchien mir die über die Wiederkunft des Herrn.
Aber das ,am wenigften' ift nur gemeffen an der Reife
und Schönheit der anderen; auch diefe (elfte) Predigt ift
an fich wohl durchdacht und wirkfam.
Halle a. S. F. Kattenbufch.
Baffermann, Prof. D. Heinrich, Beiträge zur praktifchen
Theologie. Gefammelte Auffätze und Vorträge. Leipzig,
M. Heinfius Nachf. 1909. (VII, 325 S.) gr. 8» M. 8 —
Wenige Wochen nach dem Erfcheinen der Beiträge
wurde ihr Verfaffer, der Geh. Kirchenrat Prof. Dr. Heinrich
Baffermann, auf einer Ferienreife zu Samaden im
Engadin durch eine typhöfe Erkrankung plötzlich dahingerafft
(am 29. Auguft 1909). Die praktifche Theologie
hat in dem feinfinnigen, in Vornehmheit der Gefinnung
von wärmftem religiöfem und kirchlichem Intereffe erfüllten
Gelehrten einen zurzeit unerfetzlichen Verluft
erlitten. Die Stimme des treuen Schülers Schleier-
machers konnte ftets unter feinen Fachgenoffen auf ehrfürchtiges
Gehör rechnen. Der gediegene Inhalt und
die edle Form feines Wortes diente, fern von aller
Parteifucht, ausfchließlich der Sache und der Wahrheit,
wie fie feiner Überzeugung lieh darfteilte. Der Schwerpunkt
feiner Wirkfamkeit lag nicht in der Schriftftellerei;
das akademifche Lehramt war fein Arbeitsgebiet. Gleichwohl
haben wir ihm wertvolle größere Werke zu verdanken
. Neben einer Gefchichte des Gottesdienftes in
Baden, einem Entwurf der Liturgik fei vor allem feines
Handbuchs der geiftlichen Beredfamkeit (1886) gedacht,
einer der gediegenften und glänzendften Leiftungen der
neueren Homiletik. War es der Titel, der Viele nur
kirchliche Rhetorik in dem Werke vermuten ließ, war
es die allerdings ftark hervortretende künftlerifche Behandlung
der Predigtlehre, — welches der Grund auch
fei, es ift um der evangelifchen Kirche willen, um der
Ausbildung und Pflege der Predigt willen fehl zu beklagen
, daß das vorzügliche Buch in weiten Kreifen
derer, für die es gefchrieben wurde, unbekannt geblieben
ift. Möge den ,Beiträgen' ein günftigeres Gefchick
befchieden fein.
In den ,Heinrich Julius Holtzmann, meinem lieben
alten Lehrer, Kollegen und Freunde' gewidmeten Beiträgen
hat der Entfchlafene uns fein Teftament hinter-
laffen. Durch das ,Vorwort' weht es wie eine Ahnung,
daß es feine letzte Gabe fei, und daß fein Erdentag bald
fich neigen werde. Die Beiträge beftehen aus 21 Arbeiten
, teils Vorträgen, meiftenteils Auffätzen, die in
verfchiedenen Zeitfchriften, besonders in der Zeitfchrift
für praktifche Theologie, veröffentlicht wurden. Nach
dem ,Vorwort' follen fie Zeugnis geben von dem Geift,
in dem der Vollendete die praktifche Theologie aufgefaßt
und betrieben hat. Sie entfprechen auch, meint der
Verfaffer mit Recht, einem Bedürfnis unferer Zeit, das
nach Hilfen ausfehaut, die einer feften und klaren Ge-
famtanfehauung von dem Ganzen entflammen und nicht
fowohl Fertiges, Zugerichtetes zu fofortigem praktifchem
Gebrauch darbieten, als vielmehr Anregungen zu eigener
Indiehandnahme der Aufgaben und zu felbftändiger Bewältigung
der Probleme.
Die ,Beiträge' führen uns durch faft alle Gebiete der
: praktifchen Theologie. In den fünf erften Auffätzen
tritt der Verfaffer für die praktifche Theologie als eine
felbftändige, wiffenfchaftliche theologifche Disziplin, wie
für ihre Bedeutung in der Gegenwart mit beredten Wor-
I ten ein, für die Kritik in ihrer praktifch religiöfen Be-
! deutung, für Theorie und Praxis, Theorie und Gefchichte
i mit befonderer Berückfichtigung der Predigt und der
Homiletik. In den fieben folgenden Abhandlungen
fleht die Predigt felbft im Mittelpunkt; wir heben die
Auffätze: (Über den Begriff der Erbauung' und ,die
i homiletifche Behandlung des Wiederkunftsgedankens'
! als Perlen in der Reihe hervor. Der Religionsunterricht
! wird in fechs Auffätzen behandelt; die Abhandlungen:
j ,Frömmigkeit und Religionsunterricht', Erörterungen über
| die biblifche Schöpfungserzählung, über die Berechtigung
! der Behandlung des Alten Teftaments im evangelifchen
| Religionsunterricht, über die Neuteftamentlichen Wunder-
I erzählungen, — find befonderer Beachtung wert. In den
| drei letzten Gaben werden die liturgifchen Ausdrucksformen
im Glaubensbekenntnis und Lied, Äußere und
Innere Miffion in ihrem Verhältnis zur praktifchen
1 Theologie und (in eigentümlicher Ausführung) die
feelforgerliche Erfahrung behandelt.
Des näheren auf den Inhalt der einzelnen Stücke
! einzugehen, ift hier nicht der Ort. Die gegebenen Hin-
J weifungen mögen ihren Zweck erfüllen, die Lefer auf
I die .Beiträge' aufmerkfam zu machen. Sie find ficher-
lich nicht veraltet und werden auch nicht bald veralten.
Das ehrende Gedächtnis des edlen Entfchlafenen mögen
fie an ihrem Teile wach erhalten und im Segen fort-
j wirken zu praktifch-fruchtbarem Studium der praktifchen
Theologie.
Charakteriftifch für den Verfaffer ift der Schlußfatz
des Vorwortes: ,In allem wollen diefe Auffätze nur be-
fcheidene Beiträge zur praktifchen Theologie darbieten.
Wer diefe für ein Großes hält, wird dem Verfaffer die
Nachficht des Jn magnis volnisse sat est' gern zubilligen
'.
Marburg. E. Chr. Achiles.
Baumgarten, Prof. D. O., Die perlönlichen ErforderniTfe des
geiftlichen Berufs. Oeffentliche Vorlefung. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1910. (III, 62 S.) gr. 8° M. —80
B. bietet eine akademifche Vorlefung genau nach der
| Nachfchrift eines Studenten; es fchien ihm von Wert,
j auch den momentanen Eindruck des gefprochenen Wortes
feftzuhalten. Eine Einleitung orientiert über die näheren
I Abrichten; er will Anfänger, die vielleicht für den Beruf
j nicht taugen, warnen, verlchweigt alfo die Schwierigkeiten
j und Nöte desfelben nicht: .lieber foll die Kirche einen
Mangel aushalten als einen Überfluß an unwürdigen,
unluftigen und unbegabten Dienern'. In 6 Kapiteln ftellt
er dann feine Forderungen auf: der Geiftliche muß körperlich
gefund, ein intellektuell begabter Menfch, ein Ge-
mütsmenfeh, ein Willensmenfch, ein religiöfer Menfch,
ein heilsgewiffer Chrift fein. Das find fcharf pointierte
Sätze, deren Meinung erft durch die Ausführung recht
deutlich wird; in nicht ganz wenigen Fällen werden fie
in diefer erheblich eingefchränkt. Kap. I geht fehr praktifch
auch auf nervöfe Überarbeitung und Stoffwechfel-
• krankheit ein; nicht minder ift die Betonung guter Umgangsformen
zu begrüßen. Kap. III verlieht unter Ge-
mütsmenfehen .Menfchen mit einer großen Energie des
In- und Beifichfeins und der Reaktion auf Eindrücke' und
fchildert ergreifend Laft und Luft, die folche Wefensart
mit fich bringt. Kap. V erklärt die Studienzeit für eine
für die religiöfe Anlage höchft kritifche Zeit und wirft
die Frage nach einem religiöfen Gegengewicht gegen
das theologifche Studium auf: eine Formulierung, der
ich zwar auch ein Gegengewicht wünfehte, die aber
: unfraglich ein fehr gutes Recht für fich hat. Im letzten