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Ausgabe:

1910

Spalte:

233-235

Autor/Hrsg.:

Mommert, Carl

Titel/Untertitel:

Zur Chronologie des Lebens Jesu 1910

Rezensent:

Bauer, Walter

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jüngere Darftellung zu betrachten haben' (68). Ich gebe
nur ein Beifpiel für feine Art (S. 62): Matthäus hat im
9. Kapitel eine Anzahl von Wundern und anderen Begebenheiten
erzählt, von denen Markus an der entsprechenden
Stelle (2,1—22) eine Auswahl gebracht
hat. Nun folgt bei Matthäus die Ausfendung der Jünger,
wobei die Worte vorkommen 9,37.38: ,Die Ernte ift reich,
aber der Arbeiter find wenige. So bittet denn den
Herrn der Ernte, daß er Arbeiter zu feiner Ernte hergebe
'. Markus dagegen bringt die Gefchichte vom Ahren-
ausraufen (2,23—28), die Matthäus erft 12,1—8 hat. Der
einleuchtende Grund ift: ,. . . die Jünger füllten mit den
Körnern ihren Hunger. Es muß alfo um die Zeit der
Ernte gewefen fein. Da diefer Zeitpunkt auch in dem
Bilde vorausgefetzt wird, das der Heiland bei Matthäus
a. a. O. gebraucht, ift die Abweichung leicht zu erklären.
Markus hat bei dem Gleichnis an ein wirkliches Erntefeld
gedacht und dementfprechend fofort den Abfchnitt
Matth. 12,1 ff. mitgeteilt'.

Das letzte Kapitel der Schrift führt den Titel: Zur
Chronologie der Synoptiker. Es ift verftändlich, daß B.
bei feiner großen Schätzung des erften Evangeliums
diefes um die authentifche Auskunft angeht. Danach hat
Jefus ein Jahr gewirkt, womit Johannes übereinftimmt,
da 6,4 das rb otdoya Gloffe ift (S. 71—75)-

Marburg/Heffen. Walter Bauer.

Mommert, Canon. D. Carl, Ritter des hl. Grabes, Zur
Chronologie des Lebens Jefu. Leipzig, E. Haberland
1909. (VII, 202 S.) gr. 8° M. 4-

Schon das Vorwort des Buches erfüllt den Lefer mit
bangen Ahnungen. Der Verfaffer Hellt nicht nur gleich
auf dem erften Blatt das Refultat der zu erwartenden
Unterfuchungen feil, fondern beginnt auch fofort, Gelehrte
, die anderer Anficht find, als Anhänger einer alten
Ketzerfabel zu diskreditieren. Uberfliegt man die folgenden
Seiten, fo verflärken fleh die dufteren Erwartungen beträchtlich
. Wir erfahren, daß die Wiffenfchaft der Kirche
lediglich Dienfte zu leiden, nicht aber eigenmächtige
Entfcheidungen zu fällen hat (S. 12 f.), und daß die Frage
nach der Dauer des Lebens und der öffentlichen Wirk-
famkeit Jefu durch die Jentcntia communis der Kirche
längft entfehieden fei (S. 1—11). M. marfchiert alfo von
vornherein mit gebundener Marfchroute. Dazu gefellen
fich andere Momente, welche die Lektüre der Schrift
zu einem äußerft mäßigen Genuß geftalten. Ich rechne
hierher die Gewohnheit des Verfaffers, fort und fort
feitenweife andere Autoren zu Wort kommen zu laffen.
Ein gutes Drittel des Buches mag aus derartigen Zitaten
beliehen, die M., wenn fie nicht feine Meinung wiedergeben
, mit einer Fülle von Ausrufungs- und Fragezeichen
fowie, teilweife reichlich platten, Bemerkungen durchwirkt.
Dazu kommen maffenhafte Druckfehler, deren Zahl fich
fteigert, wenn Griechifches das Deutfche ablöft. Die Art
der Reklame ferner, die es dem Verfaffer geftattet, nicht
nur fein Bild den Ausführungen vorauszufchicken, fondern
fogar, ihnen mit fortlaufender Paginierung einen, auch
ins Inhaltsverzeichnis aufgenommenen Anhang mit Urteilen
über feine bisher erfchienenen Werke beizufügen,
fagt meinem Gefchmack wenig zu und bürgert fich
hoffentlich nicht ein. Direkt unangenehm wirkt die Behandlung
der Gegner. Sie find urteilslos, unwiffend und
oberflächlich, treiben ,fogen.' Wiffenfchaft, erfetzen die
ihnen fehlenden pofitiven Kenntniffe durch ,edle Dreiftig-
keit und fchöne Worte' (26), heißen Querköpfe, Moder-
niften, ja ,moderne Heiden' (171) und rufen den Abfcheu
jedes verftändigen Menfchen wach (9). Ja, M. verfteigt
fich fo weit, anders Denkenden zu unterftellen, fie fpeku-
lierten mit Bewußtfein auf die Befchränktheit und Unkenntnis
ihrer Lefer (24, 26). Nimmt man hinzu, daß
M. die proteftantifche Forfchung fo gut wie völlig ignoriert
und feine ganze Kraft der Bekämpfung katholifcher
i Gegner widmet, fo ift man in fchwerer Verfuchung, von

jeglichem Eingehen auf das Buch abzufehen und die Aus-
} einanderfetzung mit ihm für eine interne Angelegenheit
i der Vertreter katholifcher Wiffenfchaft zu erklären.

Leider dürfte das nicht mehr angängig fein, nachdem
nun einmal ein Exemplar des Werkes an die Theol.
Litztg. gelangt ift. Und, wenn man auch M/s ftolzem Be-
i wußtfein, die Wiffenfchaft gefördert zu haben, nach dem
, bisher Dargelegten wenig Vertrauen entgegenbringen
'■ wird, fo befteht doch die Möglichkeit, daß feine Arbeit
i auch für folche, die auf durchaus anderem Boden flehen,
! einigen Nutzen abwerfen könne. Bedauerlicherweife muß
' ich von meiner Auffaffung von Wiffenfchaft aus M's Buch
1 völlig wertlos nennen. Enthielte es wenigftens eine
einigermaßen abgerundete und lesbare Gefchichte der Be-
i hantilung der einfehlägigen Probleme in der katholifchen
Kirche! Aber nichts dergleichen; vielmehr wird gegen
j diefelben ganz wenigen Leute fortgefetzt polemifiert. Inder
j Beibringung des Materials aus der altchriftlichen Literatur
ift M. eingeftandenermaßen gänzlich abhängig von allgemein
zugänglichen Materiabammlungen, die er noch
nicht einmal zu vervollftändigen bemüht ift. Seine Beweisführung
ift oftmals von folcher Kindlichkeit, daß
er in ,gut geleiteten katholifchen Elementarfchulen' damit
wohl reüffieren, im proteftantifchen Lager dagegen
fich wohl felber keinen Erfolg verfprechen wird.

' Von Anfang bis zu Ende begleitet uns die zum
Überdruß variierte Idee, daß alle auf die Chronologie des
Lebens Jefu bezüglichen Dinge von Urbeginn an Gegen-
ftand des brennendften Intereffes für Angehörige und
Jünger waren, daß die Apoftel ihre authentifche Kenntnis
in Predigt und Unterricht weit über die Grenzen Palä-
ftinas hinaus verbreiteten und daß eine lückenlofe Tradition
von ihnen bis auf die Gegenwart reiche, hier wohl
geborgen unter dem breiten Schild des gelehrten und

j gründlichen M. und feiner Gefinnungsgenoffen. Auf
diefem Glauben, deffen Äußerungen manchmal
direkt komifch anmuten (169: Jef. von Anfand an
alljährlich im Freundeskreis feinen Geburtstag in hervorragender
Weife feiernd; 170: Petrus und Paulus in Rom
mit Kalenderangelegenheiten befchäftigt), ruht alles. Der
Maßftab der ,Erblehre' ift der einzig giltige. Ihn hand-
haben nennt M. hiftorifch forfchen. Was ihm nicht ent-
fpricht, hat eigentlich keine Exiftenzberechtigung. Mag

! eine Anficht noch fo alt fein und von noch fo vielen
geteilt werden, der ftrenge Wächter über die Reinheit
der Uberlieferung bleibt ungerührt: .Kirchenlehre', dekretiert
er, war fie trotzdem nicht. Und mag fie der hl.
Irenäus vertreten, fo ift er eben ein Querkopf, den fein
.Gelehrtenftolz auf Abwege' gebracht hat, und gehört
zur Schar der ,Verirrten' (97—99). Daß M. fich keine
irgendwie tiefer dringende Mühe gibt, das Aufkom men
abweichender Vorftellungen zu begreifen, ift felbft-
verftändlich. Für die bei Irenäus und anderen fich findende
hochintereffante Theorie von der drei Jahre wefent-

i lieh überfteigenden Dauer der Wirkfamkeit Jefu hat er

. gerade eine halbe Seite übrig (141).

Einzelheiten angehend — nur weniges kann zur

•■ Sprache gebracht werden — bemerke ich, daß M. nicht

: feiten verftaubte apologetifche Ladenhüter vor dem Lefer
ausbreitet und ihm aufzureden fucht (z. B. 60—62 bez. der 15

! Tiberiusjahre, 192—195 in unfäglich dürftiger Ausführung

; bez. des Zenfus). Selbftändiger ift er an anderen Punkten,
wenn er z. B. S. 22 35—37, freilich ohne den Schatten
eines Beweifes, zu Joh. 18,28 behauptet rb jcäoya könne fo-
viel wie das ,Ofterbrot' bedeuten, oder S. 34 zu Joh.

11,49 verlautbart, der ,Hohepriefter diefes Jahres' _ d. h.

,zur Zeit der Hohenpriefter Annas und Kaiphas' _ erkläre
fich daraus, daß ,auch damals die hohepriefterliche
Würde . . . jährlich ihren Inhaber wechfelte', während
doch aus dem fonft (185) fo gepriefenen Jofephus her-

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