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Ausgabe:

1910 Nr. 7

Spalte:

219

Autor/Hrsg.:

Sägmüller, Johannes Baptist

Titel/Untertitel:

Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts. 2., verm. u. verb. Aufl 1910

Rezensent:

Hoffmann, H.

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219

Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 7.

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Bifchofswahlrecht dankbar zu fein. Es ift die erfte, welche
er felbft zu feiner in kurzer Zeit zur höchften Blüte gelangten
Sammlung kirchenrechtlicher Abhandlungen bei-
gefteuert hat.

Pofen. H. v. Hoffmann.

Sägmüller, Prof. Dr. Johannes Baptifl, Lehrbuch des ka-
thulilchen Kirchenrechts. Zweite, vermehrte und verbef-
ferte Auflage. Freiburg i. B., Herder 1909. (XV, 931
S.) gr. 8° M. i2.6o; geb. M. 15 —

Fünf Jahre nach der erften ift die zweite Auflage des
Sägmüllerfchen Lehrbuches erfchienen. Verf. hat in
großem Umfange Veränderungen und Verbefferungen
vorgenommen. Der Band hat infolgedeffen an Stärke
erheblich zugenommen. Es ift auf das Sägmüllerfche
Lehrbuch hinzuweifen, weil es, wo das Verhältnis zur
evangelifchen Kirche und zum Staate in Frage kommt,
fich möglichfter Objektivität befleißigt. Es ift auch wohl
das erfte deutfche Lehrbuch, welches in eingehenderer
Weife die teilweife einfchneidenden Reformen der Kurie
und des Eherechtes durch Pius X. enthält.

Pofen. H. v. Hoffmann.

Beck, Konfi!t.-Rat Hermann, Das kirchliche Leben der evan-
gelilch-lutherilchen Kirche in Bayern, dargeftellt. (Evan-
gelifche Kirchenkunde. Das kirchliche Leben der deut-
fchen evangelifchen Landeskirchen. Herausgegeben von
P. Drews. 4. Teil.) Tübingen, J. C. B. Mohr 1909.
(VIII, 300 S.) gr. 8° M. 6.40; geb. M. 7.50

Von dem von Paul Drews herausgegebenen Sammelwerke
,Evangelifche Kirchenkunde' ift nun der 4. Band
erfchienen, der das kirchliche Leben der evanglifch-
lutherifchen Kirche Bayerns darftellt und von Konfiftorial-
rat Hermann Beck in Bayreuth verfaßt ift. Die Bearbeitung
diefes Teiles hätte kaum in berufnere Hände gelegt werden
können. Seit einigen Jahrzehnten im Dienfte der bayrifchen
Landeskirche an verschiedenen Orten und in verfchiedenen
Feigenfchaften tätig, als Landpfarrer und als Stadtpfarrer,
als Dekan und als Konfiftorialrat, verfügte der Verfaffer ohnedies
fchon über eine eingehende Kenntnis der in Betracht
kommenden Verhältniffe; in feiner gegenwärtigen Stellung
waren ihm aber viele amtliche Quellen leichter zugänglich
als anderen. Befonders benützte er die kirchlichen Jahresberichte
, die alle 4 Jahre von den Pfarrämtern über die
inneren und äußeren Verhältniffe ihrer Gemeinden zu er-
ftatten find, und denen die Dekane zufammenfaffende
Berichte hinzuzufügen haben. Dazu kommt, daß der
Verfaffer in hohem Maße die Gabe klarer, flüfflger und
überfichtlicher Darfteilung befitzt. So hat er nicht bloß
ein ftofflich inhaltreiches, fondern auch ein durch feine F'orm
anziehendes Buch gefchrieben, das man gerne und mit
Genuß lieft. Endlich ift er auch ein Mann von ruhig
abwägendem und gerechtem Urteil und zeigt befonders
auch in theologifchen und kirchenpolitifchen Fragen eine
Unbefangenheit und Weitherzigkeit, die man bei Männern
in leitender kirchlicher Stellung um fo höher fchätzt, je
feltener man fie bei ihnen zu finden gewohnt ift. Mit
großer Objektivität Hellt er die Vorgänge und Zuftände
dar, ohne jedoch mit feinem eignen Urteil ganz zurückzuhalten
, wenn es auch oft nur zwifchen den Zeilen
zu lefen ift.

Der Verfaffer fchildert zuerft das Kirchengebiet. Die
bayrifche Landeskirche ift ja, wie das Königreich Bayern
felbft, ein aus fehr verfchiedenen Beftandteilen zufammen-
gewachfenes Gebilde, das nicht gerade leicht zu einer
hhnheit zu verfchmelzen war und jetzt noch deutliche
Spuren der urfprünglichen Verfchiedenheit der einzelnen
Teile zeigt. Schon hier fallen manche Streiflichter auch
auf außerkirchliche Zuftände, wie denn überhaupt die
Zufammenhänge mehrfach hervorgehoben werden, die

zwifchen dem kirchlichen Leben und dem allgemeinen
Geiftesleben, fowie den wirtfchaftlichen Verhältniffen be-
i flehen, fo daß die Kirchenkunde in manchen Partien
des Buches zur Volkskunde wird. Die Darfteilung der
i Kirchenverfaffung und ihrer Entwicklungsgefchichte, die
! den Inhalt des 2. Kapitels bildet, bringt nicht lauter Erfreuliches
. Die bayrifche Landeskirche ift noch immer
fehr abhängig von der Staatsgewalt. Das Oberkonfiftorium
j ift eine dem Staatsminifterium unterftellte ,Behörde', und
die Bedeutung der Generalfynode ift eine mehr als be-
: fcheidene. Merkwürdig ift es, daß die auf eine freiere
! Stellung der kirchlichen Organe gerichteten Beftrebungen
öfters fchon bei dem Kirchenregiment felbft wenig Entgegenkommen
und Unterftützung fanden. Vielleicht wird
das in Zukunft beffer werden.

Der Verfaffer fchildert fodann den geifllichen Stand,
feine Stellung, feine Aufgaben und feine Tätigkeit, fowie
j das Gemeindeleben, wie es in der kirchlichen Sitte und
[ den gottesdienftlichen Ordnungen, und wie es in der
I Selbftbetätigung, teils in der verfaffungsmäßig organi-
j Herten, teils in der freien Liebestätigkeit, zum Ausdruck
kommt. In den letzten Kapiteln wird dann
das Verhältnis der proteftantifchen Kirche zu den
übrigen Religionsgemeinfchaften und zu den fonftigen
! Faktoren des öffentlichen Lebens, der Schule, den fozi-
: alen Verbänden ufw. dargeftellt, und endlich noch eingehend
der Zuftand der Religiofität und Sittlichkeit in den Ge-
i meinden gefchildert. Befonders auf dem letzteren Gebiet
j wird die Darftellung immer mit manchen Schwierigkeiten
zu kämpfen haben. Wie wenig ficher find hier dieSchlüffe,
die man aus der Statiftik und den auf diefem Weg erkennbaren
Tatfachen ziehen kann. Und wie fchwer ift es,
zufammenfaffende Urteile über größere Volkskreife zu
fällen. Der Verfaffer hat aber auch hier feine Aufgabe
gefchickt anzufaffen und glücklich zu löfen gewußt.
| Er hat vor allem differenziert, zwifchen Stadt- und Landgemeinden
, und unter den letzteren wieder zwifchen
folchen mit wefentlich ackerbautreibender Bevölkerung
und folchen, die vorwiegend aus Induftriearbeitern beliehen
, unterfchieden, und er hat auch die verfchiedenen
Provinzen in ihrer Eigenart zu kennzeichnen
gefucht. Er hat fleh überhaupt vor dem leidigen Gene-
ralifieren möglichft gehütet und fich im Schlüffeziehen
und Urteilen der Vorficht befleißigt. Die Einftreuung
' vieler Einzelheiten gibt zugleich ein anfehauliches Bild
j und regt zu eignem Nachdenken an. Von dem ftatiftifchen
i Material, das mit Recht nicht allzu reichlich verwertet ift,
; will ich nur hervorheben, daß in den Jahren 1898—1907
die Klingelbeuteleinlage von 17 Pf. auf 20 Pf. auf den Kopf
j gediegen id, während gleichzeitig die Kommunikanten-
| Ziffer von 67, 68 v. H. auf 63, 50 v. H. gefunken id, alfo
eine Zunahme des Kirchenbefuchs und zugleich eine
| Abnahme der Teilnahme am hl. Abendmahl, wobei man
freilich zugeben muß, daß die Steigerung der Klingel-
| beuteleinlage keinen abfolut ficheren Maßdab für die
Zunahme des Kirchenbefuchs bildet. Aber es dürfte doch
in den genannten Zahlen eine wirkliche Tatfache hervortreten
, die zu mancherlei Betrachtungen Veranlaffung gibt.

Um zufammenzufaffen: Wer die bayrifche Landeskirche
nicht kennt, kann fie aus dem Buche kennenlernen.
| Wer fie kennt, wird das Bekannte anziehend dargedellt
! finden und feine Kenntniffe vielfach ergänzt fehen; er
wird im einzelnen manches anders beurteilen (wie ich
z. B. meinerfeits nicht einfehe, was das Epiphanienfed
dadurch verlieren follte, daß es auf einen Sonntag verlegt
wird); er wird bei der Schilderung der provinziellen
Eigentümlichkeiten nicht alle Landesteile gleichmäßig be-
rückfichtigt finden (mit befonderer Liebe fcheint Oberfranken
behandelt zu fein), aber er wird das entworfene
' Bild im ganzen als ein wohlgetroffenes bezeichnen müffen.

Augsburg. J. Hans.