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Ausgabe:

1910 Nr. 7

Spalte:

213-215

Autor/Hrsg.:

Erhardt, Franz

Titel/Untertitel:

Die Philosophie des Spinoza im Lichte der Kritik 1910

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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2i3 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 7. 2i4

Quellenmaterial wird ihm nichts wefentliches entgangen j mehr werde eine derartige Kritik erft dann fruchtbar werden,
fein. Schade nur, daß der ganze Apparat von dogmati- wenn fie fich außerdem zu zeigen bemühe, in welcher
fchen und perfönlichen Streitfchriften jener Epifode i Richtung die wahre Löfung der Probleme zu finden fein
höchft langweilig ift; nur Dreiers gründliche Erörterung' j dürfte. Die Kritik gehe damit von felbft in die fyftemati-
hebt fich einigermaßen über den Durchfchnitt empor; fche Unterfuchung über. Als Beifpiel fei Spinozas Lehre
aber wer möchte heute ihre 778 Seiten als Begründung von der Unendlichkeit Gottes herausgegriffen. Dem unbe-
des Synkretismus lefen! Dem Verfaffer fei Dank für fangenen Denken muß der Begriff einer Subftanz, die aus
feine Selbftverleugnung, mit der er uns den Inhalt diefer | einer unendlichen Menge unendlicher Attribute befteht,
fynkretiftifchen Streitfchrift dargelegt hat! Schade nur, j als höchft willkürliche Spekulation erfcheinen. Bedürfen
daß er als Schriftfteller für die Synkretiften gar zu offen wir wiffenfchaftlich überhaupt der Annahme einer gött-
Partei nimmt, zwar nicht wegen ihrer dogmatifchen Po- 1 liehen Welturfache, fo brauchen wir fie nur zum Zweck
fition (denn diefe muß heute jedem Kenner der Dogmen- j der Erklärung des gegebenen Weltinhalts. Dann aber
gefchichte jener Zeit als unbrauchbar einleuchten), ! dürfen wir Gott nur folche Eigenfchaften zufchreiben,
wohl aber wegen ihrer praktifch-friedfertigen Tendenz, i die durch die Tatfachen der P> fahrung gefordert werden,
Auch der Wert diefer Tendenz ift ein relativer; denn ; und wir haben durchaus keinen Grund, ohne weiteres
fie ift auf eine unhaltbare dogmatifche Theorie gegründet, die Unendlichkeit im wiffenfehaftlichen Sinne des Wortes
und in praxi hat das Toleranzftreben der Synkretiften zu den Eigenfchaften Gottes zu rechnen. Befonders ein-
dem Indifferentismus in Sachen der Konfeffionen vor- : gehende Behandlung erfährt Spinozas pfychophyfifcher
gearbeitet: der Synkretismus bildet das Eingangstor , Parallelismus und die damit verbundene Ablehnung aller
zum Subjektivismus des Pietismus und der Aufklärung. 1 Wechselwirkung zwifchen materiellen und geiftigen Vor-
Der Gleichgültigkeit gegen die Konfeffion war es zuzu- [ gängen. Spinozas ganze Polemik kommt ihrem prin-
fchreiben, daß foviel Perfönlichkeiten von Fürflen aus zipiellen Inhalte nach auf den Satz hinaus, daß eine
lutherifchen Kreifen — katholifch wurden, befonders Einwirkung der Seele auf den Leib unverftändlich ift.
aus dem welfifchen Haufe. Aber darum haben wir noch kein Recht, feine Unmög-

In der Darfteilung hält fich der Verfaffer nicht immer lichkeit zu behaupten. Auch die Einwirkung eines Körauf
der Höhe wiffenfchaftlich vornehmer Diktion; der ( pers auf den andern ift uns kaum beffer verftändlich.
Ton fällt manchmal ins burfchikofe, fo wenn er S. 44 1 Nicht auf Grund allgemeiner Erwägungen, fondern nur
von lutherifchen .Provinzialpäpften' fpricht; S. 55 von !, an der Hand der Erfahrung kann man feftftellen, zwifchen
,Gepauke', S. 100 von .Scheuklappen der Theologie'. Im | welchen Dingen und welchen Arten von Dingen kaufale
übrigen ift das Buch frifch und flott gefchrieben und Beziehungen beftehen (S. 339 ff.). In große Schwierig-
der mutige Verfaffer bingt es fertig, daß man diefen an keiten verwickelt fich aber der Parallehsmus in der
fich fchrecklich langweiligen Stoff von Anfang bis Ende Lehre von den Affekten als Affektionen des Körpers
mit einem gewifffn Intereffe lefen kann. Möchte er feine j und der Herrfchaft des Geiftes über fie. Die letztere
Fähigkeit der Quellenerfchließung und feine hoch zu fordert nämlich unbedingt, daß die Seele die Fähigkeit
fchätzende Geftaltungskraft auf lohnendere Themata • befitzt, irgendwie auf den Körper einzuwirken. Auch
richten! Es gibt noch viel fchöne Arbeiten auf dem i aus diefem Grunde ift es daher falfch, zu glauben, die
Gebiete der oftpreußifchen Kirchengefchichte zu liefern. Lehre Spinozas müffe fchon um ihres moniflifchen Cha-
Nur muß der Verfaffer feine Animofität gegen die lu- rakters willen dem Kartefianifchen Dualismus an wiffen-
therifchen Konfeflionstheologen zurückhalten und nicht fchaftlichem Werte überlegen fein (S. 356). Der forg-
vergeffen, daß das Volkstum Oftpreußens noch bis heute fältig durchgeführten fachlichen Kritik des Verf.s in
lutherifch ift, ,bis auf die Knochen', wie ein mir be- weiteren Einzelheiten nachzugehen, würde viel zu weit
freundeter Geiftlicher dort es charakterinert. Die ortho- führen.

doxen Theologen haben aber, trotz all ihrer fchulmäßigen j Der erfle Teil des Buches enthält die .Formelle
Verbohrtheit, doch das Erbe der Reformation, unferer 1 Kritik', die zuerft gegen Spinozas deduktiv-geometrifche
deutfehen lutherifchen Reformation, beffer bewahrt als ; Methode fich wendet, und dann die einzelnen Lehrfätze
ihre Gegner. 1 von Spinozas .Ethik' auf ihre logifche Beweiskraft hin

Für die zweite Auflage bitte ich, einige Druckfehler prüft. Von dem Ideal mathematifcher Gewißheit, das
zu korrigieren: S. 19, Z. 33 fleht 1846 (flatt 1646), S. 43, Spinoza in formeller Beziehung fich zum Ziele fetzte, ift
Z. 30 Andrea (flatt Andreä), S. 52, Z. 3 Antogoniften, er in Wirklichkeit weit entfernt geblieben. Vielmehr dient
(flatt Antagoniflen), S. 86, Z. 20 ,scholasticitl (flatt: scho- die geometrifche Form eigentlich nur dazu, die Darfteilung
lasticis), S. 111 Z. i« ,inchoovit' (flatt inchoavtt), S. 117. überaus fchwerfällig und die Lektüre höchft mühfam zu
Z. 14 .Origines' (flatt Origenes), S. 119, Z. Ii ,«*' (flatt | machen. Die Möglichkeit und zugleich die apodiktifche
et). S. 105 Z. 10 muß es wohl heißen: .Mitteilung der ; Gewißheit der geometrifchen Sätze beruht auf der Klargöttlichen
Idiome'. heit und Deutlichkeit der Anfchauung, die wir

vom

Der Verfaffer hat uns eine Fortfetzung feiner Arbeit Räume haben. Sie ift daher eine formale deduktive

verfprochen. Möge er den Mut behalten, fie fertig zu und zugleich in bekanntem Sinne von der Erfahrung

ftellen; unferes Dankes für feine Muhe kann er ge- unabhängige Wiffenfchaft. Mit der Philofophie verhält

wiß fein. ff fich wefentlich anders. Ihr Objekt ift die gegebene

Göttinnen P. Tfchackert. Wirklichkeit in dem umfaffendflen Sinne des Worts. Sie

Rüningen.___- kann daher )hr Materjal „icht a priori erzeugen, fondern

Erhardt, Prof Franz Die Philofophie Oes Spinoza im muß es aus der Erfahrung näher kennen lernen, ehe fie

. . . . ' '. ' tj o • 1 a ,E« ,VTrT verfluchen darf, den We tinha t phi ofophifch zu deuten

Lichte der Kritik. Leipzig, O. R. Reisland 1908. (VIII, und zu erk,är'n (S6gff) In de? vielumftrUtcnen K«S

502 S.) gr. 8° m- 9 | der Auffaffung der Attribute bei Spinoza nimmt der
Den Grundflock diefes Buches bildet der zweite Verf. eine mittlere Stellung ein zwifchen der fubjekti-
Teü, der eine fachliche Kritik der Lehre Spinozas ent- vift.fchen Anficht nach welcher die Attribute der Sub-
hält und nacheinander feine Lehre von Gott, feine Natur- ftanz, Denken und Ausdehnung, nur fubjektive Auffaffungs-
philofophie, feine Pfychologie und Erkenntnislehre, feine weifen find die unfer Verfland ,an die Subftanz heranbringt'
Ethik und Rehgionsphilofophie der kritifchen Prüfung und der objektw-re^iftifchen Anficht, nach welcher die
unterwirft. Der Verf. geht jedoch dabei von der An- Attribute als wirklich ex.flierende Eigenfchaften der Sub-
ficht aus, um ein philofophifcr.es Syflem in bezug auf ftanz zukommen. Die erftere Anficht ift berechtigt, fo-
feinen fachlichen Gehalt zu kritifieren, genüge es nicht, fern Gott in feinem metaphyfifchen Wefen durchaus einbloß
Schwächen und Mängel als folche aufzudecken; viel- ne.thch ift, und jede Vielheit von Eigenfchaften von fich